German Schleifheim von Sulsfort [i. e. Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von]: Der Abentheurliche Simplicissimus Teutsch. Monpelgart [i. e. Nürnberg], 1669.Deß Abentheurl. Simplicissimi und eins von seinen allerbesten Gliedmassen mangel-te/ sahe mein Herr gleich/ warumb der Vorschnei- der stutzte; Er wolte fürwahr den Spott nicht ha- ben/ daß man ihm einen einäugigen Kalbskopff auff- zustellen/ das Hertz haben solte! Der Koch muste vor die Tafel/ und die so auffgetragen hatten/ wurden mit ihm examinirt; zuletzt kame das Facit über den armen Simplicium herauß/ daß nemlich ihme der Kopff mit beyden Augen auffzutragen gegeben wor- den wäre/ wie es aber weiter gangen/ darvon wuste niemand zu sagen. Mein Herr fragte/ meines Be- dünckens mit einer schröcklichen Mine, wohin ich mit dem Kalbs-Aug kommen wäre? geschwind wischte ich mit meinem Leffel wieder auß dem Sack/ gab dem Kalbskopff den andern Fang/ und wiese kurtz und gut/ was man von mir wissen wolte/ massen ich das ander Aug/ gleich wie das erste/ in einem Huy verschlang: Par Dieu, sagte mein Herr/ dieser Act schmeckt besser/ als zehen Kälber! Die anwesende Herren lohten diesen Außspruch/ und nenneten meine That/ die ich auß Einfalt begangen/ eine Wunder- kluge Erfindung/ und Vorbedeutung künfftiger Dapfferkeit und unerschrockenen Resolution. Also daß ich vor dißmal meiner Straff/ durch Widerho- lung eben deß jenigen/ damit ich solche verdient hat- te/ nicht allein glücklich entgieng/ sondern auch von etlichen kurtzweiligen Possenreissern/ Fuchsschwän- tzern und Tisch-Räthen/ diß Lob erlangte/ ich hätte weislich gehandelt/ daß ich beyde Augen zusammen logirt/ damit sie gleich wie in dieser/ also auch in je- ner Welt einander Hülff u[n]d Gesellschafft leisten könten/ worzu sie dann anfänglich von der Natur ge- widmet
Deß Abentheurl. Simpliciſſimi und eins von ſeinen allerbeſten Gliedmaſſen mangel-te/ ſahe mein Herꝛ gleich/ warumb der Vorſchnei- der ſtutzte; Er wolte fuͤrwahr den Spott nicht ha- ben/ daß man ihm einen einaͤugigen Kalbskopff auff- zuſtellen/ das Hertz haben ſolte! Der Koch muſte vor die Tafel/ und die ſo auffgetragen hatten/ wurden mit ihm examinirt; zuletzt kame das Facit uͤber den armen Simplicium herauß/ daß nemlich ihme der Kopff mit beyden Augen auffzutragen gegeben wor- den waͤre/ wie es aber weiter gangen/ darvon wuſte niemand zu ſagen. Mein Herꝛ fragte/ meines Be- duͤnckens mit einer ſchroͤcklichen Mine, wohin ich mit dem Kalbs-Aug kommen waͤre? geſchwind wiſchte ich mit meinem Leffel wieder auß dem Sack/ gab dem Kalbskopff den andern Fang/ und wieſe kurtz und gut/ was man von mir wiſſen wolte/ maſſen ich das ander Aug/ gleich wie das erſte/ in einem Huy verſchlang: Par Dieu, ſagte mein Herꝛ/ dieſer Act ſchmeckt beſſer/ als zehen Kaͤlber! Die anweſende Herꝛen lohten dieſen Außſpruch/ und nenneten meine That/ die ich auß Einfalt begangen/ eine Wunder- kluge Erfindung/ und Vorbedeutung kuͤnfftiger Dapfferkeit und unerſchrockenen Reſolution. Alſo daß ich vor dißmal meiner Straff/ durch Widerho- lung eben deß jenigen/ damit ich ſolche verdient hat- te/ nicht allein gluͤcklich entgieng/ ſondern auch von etlichen kurtzweiligen Poſſenreiſſern/ Fuchsſchwaͤn- tzern und Tiſch-Raͤthen/ diß Lob erlangte/ ich haͤtte weislich gehandelt/ daß ich beyde Augen zuſammen logirt/ damit ſie gleich wie in dieſer/ alſo auch in je- ner Welt einander Huͤlff u[n]d Geſellſchafft leiſten koͤnten/ worzu ſie dann anfaͤnglich von der Natur ge- widmet
<TEI> <text> <body> <div n="2"> <p><pb facs="#f0110" n="104"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Deß Abentheurl. <hi rendition="#aq">Simpliciſſimi</hi></hi></fw><lb/> und eins von ſeinen allerbeſten Gliedmaſſen mangel-<lb/> te/ ſahe mein Herꝛ gleich/ warumb der Vorſchnei-<lb/> der ſtutzte; Er wolte fuͤrwahr den Spott nicht ha-<lb/> ben/ daß man ihm einen einaͤugigen Kalbskopff auff-<lb/> zuſtellen/ das Hertz haben ſolte! Der Koch muſte<lb/> vor die Tafel/ und die ſo auffgetragen hatten/ wurden<lb/> mit ihm <hi rendition="#aq">examini</hi>rt; zuletzt kame das <hi rendition="#aq">Facit</hi> uͤber den<lb/> armen <hi rendition="#aq">Simplicium</hi> herauß/ daß nemlich ihme der<lb/> Kopff mit beyden Augen auffzutragen gegeben wor-<lb/> den waͤre/ wie es aber weiter gangen/ darvon wuſte<lb/> niemand zu ſagen. Mein Herꝛ fragte/ meines Be-<lb/> duͤnckens mit einer ſchroͤcklichen <hi rendition="#aq">Mine,</hi> wohin ich mit<lb/> dem Kalbs-Aug kommen waͤre? geſchwind wiſchte<lb/> ich mit meinem Leffel wieder auß dem Sack/ gab<lb/> dem Kalbskopff den andern Fang/ und wieſe kurtz<lb/> und gut/ was man von mir wiſſen wolte/ maſſen ich<lb/> das ander Aug/ gleich wie das erſte/ in einem Huy<lb/> verſchlang: <hi rendition="#aq">Par Dieu,</hi> ſagte mein Herꝛ/ dieſer <hi rendition="#aq">Act</hi><lb/> ſchmeckt beſſer/ als zehen Kaͤlber! Die anweſende<lb/> Herꝛen lohten dieſen Außſpruch/ und nenneten meine<lb/> That/ die ich auß Einfalt begangen/ eine Wunder-<lb/> kluge Erfindung/ und Vorbedeutung kuͤnfftiger<lb/> Dapfferkeit und unerſchrockenen <hi rendition="#aq">Reſolution.</hi> Alſo<lb/> daß ich vor dißmal meiner Straff/ durch Widerho-<lb/> lung eben deß jenigen/ damit ich ſolche verdient hat-<lb/> te/ nicht allein gluͤcklich entgieng/ ſondern auch von<lb/> etlichen kurtzweiligen Poſſenreiſſern/ Fuchsſchwaͤn-<lb/> tzern und Tiſch-Raͤthen/ diß Lob erlangte/ ich haͤtte<lb/> weislich gehandelt/ daß ich beyde Augen zuſammen<lb/> logirt/ damit ſie gleich wie in dieſer/ alſo auch in je-<lb/> ner Welt einander Huͤlff u<supplied>n</supplied>d Geſellſchafft leiſten<lb/> koͤnten/ worzu ſie dann anfaͤnglich von der Natur ge-<lb/> <fw place="bottom" type="catch">widmet</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [104/0110]
Deß Abentheurl. Simpliciſſimi
und eins von ſeinen allerbeſten Gliedmaſſen mangel-
te/ ſahe mein Herꝛ gleich/ warumb der Vorſchnei-
der ſtutzte; Er wolte fuͤrwahr den Spott nicht ha-
ben/ daß man ihm einen einaͤugigen Kalbskopff auff-
zuſtellen/ das Hertz haben ſolte! Der Koch muſte
vor die Tafel/ und die ſo auffgetragen hatten/ wurden
mit ihm examinirt; zuletzt kame das Facit uͤber den
armen Simplicium herauß/ daß nemlich ihme der
Kopff mit beyden Augen auffzutragen gegeben wor-
den waͤre/ wie es aber weiter gangen/ darvon wuſte
niemand zu ſagen. Mein Herꝛ fragte/ meines Be-
duͤnckens mit einer ſchroͤcklichen Mine, wohin ich mit
dem Kalbs-Aug kommen waͤre? geſchwind wiſchte
ich mit meinem Leffel wieder auß dem Sack/ gab
dem Kalbskopff den andern Fang/ und wieſe kurtz
und gut/ was man von mir wiſſen wolte/ maſſen ich
das ander Aug/ gleich wie das erſte/ in einem Huy
verſchlang: Par Dieu, ſagte mein Herꝛ/ dieſer Act
ſchmeckt beſſer/ als zehen Kaͤlber! Die anweſende
Herꝛen lohten dieſen Außſpruch/ und nenneten meine
That/ die ich auß Einfalt begangen/ eine Wunder-
kluge Erfindung/ und Vorbedeutung kuͤnfftiger
Dapfferkeit und unerſchrockenen Reſolution. Alſo
daß ich vor dißmal meiner Straff/ durch Widerho-
lung eben deß jenigen/ damit ich ſolche verdient hat-
te/ nicht allein gluͤcklich entgieng/ ſondern auch von
etlichen kurtzweiligen Poſſenreiſſern/ Fuchsſchwaͤn-
tzern und Tiſch-Raͤthen/ diß Lob erlangte/ ich haͤtte
weislich gehandelt/ daß ich beyde Augen zuſammen
logirt/ damit ſie gleich wie in dieſer/ alſo auch in je-
ner Welt einander Huͤlff und Geſellſchafft leiſten
koͤnten/ worzu ſie dann anfaͤnglich von der Natur ge-
widmet
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/grimmelshausen_simplicissimus_1669 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/grimmelshausen_simplicissimus_1669/110 |
Zitationshilfe: | German Schleifheim von Sulsfort [i. e. Grimmelshausen, Hans Jakob Christoffel von]: Der Abentheurliche Simplicissimus Teutsch. Monpelgart [i. e. Nürnberg], 1669, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimmelshausen_simplicissimus_1669/110>, abgerufen am 23.07.2024. |