Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1837.164. Der faule Heinz. Heinz war faul, und obgleich er weiter nichts zu thun hatte, als seine Ziege täglich auf die Weide zu treiben, so seufzte er dennoch, wenn er nach vollbrachtem Tagewerk Abends nach Hause kam, und sprach 'es ist in Wahrheit eine schwere Last und ein mühseliges Geschäft so eine Ziege Jahr aus Jahr ein bis in den späten Herbst ins Feld zu treiben. Und wenn man sich noch dabei hinlegen und schlafen könnte! aber nein, da muß man die Augen auf haben, damit sie die jungen Bäume nicht beschädigt, durch die Hecke in einen Garten dringt, oder gar davon läuft. Wie soll da einer zur Ruhe kommen, und seines Lebens froh werden!' Er setzte sich, sammelte seine Gedanken, und überlegte wie er sich von dieser Bürde frei machen könnte. Lange war alles Nachsinnen vergeblich, plötzlich fiels ihm wie Schuppen von den Augen. 'Jch weiß was ich thue,' rief er aus, 'ich heirathe die dicke Trine; die hat auch eine Ziege und kann meine mit austreiben, so brauche ich mich nicht länger zu quälen.' Heinz erhob sich also, setzte seine müden Glieder in Bewegung, gieng queer über die Straße, denn weiter war der Weg nicht, zu den Eltern der dicken Trine, und hielt um ihre arbeitsame und tugendreiche Tochter an. Die Eltern besannen sich nicht lange, und willigten 164. Der faule Heinz. Heinz war faul, und obgleich er weiter nichts zu thun hatte, als seine Ziege taͤglich auf die Weide zu treiben, so seufzte er dennoch, wenn er nach vollbrachtem Tagewerk Abends nach Hause kam, und sprach ‘es ist in Wahrheit eine schwere Last und ein muͤhseliges Geschaͤft so eine Ziege Jahr aus Jahr ein bis in den spaͤten Herbst ins Feld zu treiben. Und wenn man sich noch dabei hinlegen und schlafen koͤnnte! aber nein, da muß man die Augen auf haben, damit sie die jungen Baͤume nicht beschaͤdigt, durch die Hecke in einen Garten dringt, oder gar davon laͤuft. Wie soll da einer zur Ruhe kommen, und seines Lebens froh werden!’ Er setzte sich, sammelte seine Gedanken, und uͤberlegte wie er sich von dieser Buͤrde frei machen koͤnnte. Lange war alles Nachsinnen vergeblich, ploͤtzlich fiels ihm wie Schuppen von den Augen. ‘Jch weiß was ich thue,’ rief er aus, ‘ich heirathe die dicke Trine; die hat auch eine Ziege und kann meine mit austreiben, so brauche ich mich nicht laͤnger zu quaͤlen.’ Heinz erhob sich also, setzte seine muͤden Glieder in Bewegung, gieng queer uͤber die Straße, denn weiter war der Weg nicht, zu den Eltern der dicken Trine, und hielt um ihre arbeitsame und tugendreiche Tochter an. Die Eltern besannen sich nicht lange, und willigten <TEI> <text> <body> <pb n="340" facs="#f0356"/> <div n="1"> <head> <hi rendition="#b">164.<lb/> Der faule Heinz.</hi> </head><lb/> <p><hi rendition="#in">H</hi>einz war faul, und obgleich er weiter nichts zu thun hatte, als seine Ziege taͤglich auf die Weide zu treiben, so seufzte er dennoch, wenn er nach vollbrachtem Tagewerk Abends nach Hause kam, und sprach ‘es ist in Wahrheit eine schwere Last und ein muͤhseliges Geschaͤft so eine Ziege Jahr aus Jahr ein bis in den spaͤten Herbst ins Feld zu treiben. Und wenn man sich noch dabei hinlegen und schlafen koͤnnte! aber nein, da muß man die Augen auf haben, damit sie die jungen Baͤume nicht beschaͤdigt, durch die Hecke in einen Garten dringt, oder gar davon laͤuft. Wie soll da einer zur Ruhe kommen, und seines Lebens froh werden!’ Er setzte sich, sammelte seine Gedanken, und uͤberlegte wie er sich von dieser Buͤrde frei machen koͤnnte. Lange war alles Nachsinnen vergeblich, ploͤtzlich fiels ihm wie Schuppen von den Augen. ‘Jch weiß was ich thue,’ rief er aus, ‘ich heirathe die dicke Trine; die hat auch eine Ziege und kann meine mit austreiben, so brauche ich mich nicht laͤnger zu quaͤlen.’</p><lb/> <p>Heinz erhob sich also, setzte seine muͤden Glieder in Bewegung, gieng queer uͤber die Straße, denn weiter war der Weg nicht, zu den Eltern der dicken Trine, und hielt um ihre arbeitsame und tugendreiche Tochter an. Die Eltern besannen sich nicht lange, und willigten </p> </div> </body> </text> </TEI> [340/0356]
164.
Der faule Heinz.
Heinz war faul, und obgleich er weiter nichts zu thun hatte, als seine Ziege taͤglich auf die Weide zu treiben, so seufzte er dennoch, wenn er nach vollbrachtem Tagewerk Abends nach Hause kam, und sprach ‘es ist in Wahrheit eine schwere Last und ein muͤhseliges Geschaͤft so eine Ziege Jahr aus Jahr ein bis in den spaͤten Herbst ins Feld zu treiben. Und wenn man sich noch dabei hinlegen und schlafen koͤnnte! aber nein, da muß man die Augen auf haben, damit sie die jungen Baͤume nicht beschaͤdigt, durch die Hecke in einen Garten dringt, oder gar davon laͤuft. Wie soll da einer zur Ruhe kommen, und seines Lebens froh werden!’ Er setzte sich, sammelte seine Gedanken, und uͤberlegte wie er sich von dieser Buͤrde frei machen koͤnnte. Lange war alles Nachsinnen vergeblich, ploͤtzlich fiels ihm wie Schuppen von den Augen. ‘Jch weiß was ich thue,’ rief er aus, ‘ich heirathe die dicke Trine; die hat auch eine Ziege und kann meine mit austreiben, so brauche ich mich nicht laͤnger zu quaͤlen.’
Heinz erhob sich also, setzte seine muͤden Glieder in Bewegung, gieng queer uͤber die Straße, denn weiter war der Weg nicht, zu den Eltern der dicken Trine, und hielt um ihre arbeitsame und tugendreiche Tochter an. Die Eltern besannen sich nicht lange, und willigten
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Zitationshilfe: | Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder und Hausmärchen. 3. Aufl. Bd. 2. Göttingen, 1837, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen02_1837/356>, abgerufen am 03.03.2025. |