Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812.

Bild:
<< vorherige Seite
Zu Sneewittchen. No. 53.

Dies Märchen gehört zu den bekanntesten,
doch wird in Gegenden, wo bestimmt hochdeutsch
herrscht, der plattdeutsche Namen beibehalten,
oder auch verdorben in Schliwitchen. Im Ein-
gang fällt es mit dem Märchen vom Machandel-
baum zusammen, noch näher in einer andern Re-
cension, wo sich die Königin, indem sie mit dem
König auf einem Jagdschlitten fährt, einen Apfel
schält und dabei in den Finger schneidet. Noch
ein anderer Eingang ist folgender; Ein Graf und
eine Gräfin fuhren an drei Haufen weißem Schnee
vorbei, da sagte der Graf: "ich wünsche mir ein
Mädchen, so weiß als dieser Schnee." Bald
darauf kamen sie an drei Gruben rothes Bluts,
da sprach er wieder: "ich wünsche mir ein Mäd-
chen, so roth an den Wangen, wie dies Blut."
Endlich flogen drei schwarze Raben vorüber, da
wünschte er sich ein Mädchen: "das Haare hat so
schwarz, wie diese Raben." Als sie noch eine
Weile gefahren, begegnete ihnen ein Mädchen, so
weiß wie Schnee, so roth wie Blut und so
schwarzhaarig, wie die Raben und das war das
Sneewittchen. Der Graf ließ es gleich in die
Kutsche sitzen und hatte es lieb, die Gräfin aber
sah es nicht gern und dachte nur, wie sie es wie-
der los werden könnte. Endlich ließ sie ihren
Handschuh hinausfallen, und befahl dem Snee-
wittchen ihn wieder zu suchen, in der Zeit aber
mußte der Kutscher geschwind fortfahren; nun ist
Sneewittchen allein und kommt zu den Zwergen
u. s. w. In einer andern Erzählung, ist das
bloß abweichend, daß die Königin mit dem Snee-
wittchen in den Wald fährt, und es bittet ihm
von den schönen Rosen, die da stehen, einen
Strauß abzubrechen, während es bricht, fährt sie
fort und läßt es allein. Endlich kennen wir noch
eine dritte Recension: Ein König verliert seine
Gemahlin, mit der er eine einzige Tochter Snee-
wittchen hat und nimmt eine andere, mit der er
drei Töchter bekommt. Diese haßt das Stiefkind,
auch wegen seiner wunderbaren Schönheit, und

un-
Zu Sneewittchen. No. 53.

Dies Maͤrchen gehoͤrt zu den bekannteſten,
doch wird in Gegenden, wo beſtimmt hochdeutſch
herrſcht, der plattdeutſche Namen beibehalten,
oder auch verdorben in Schliwitchen. Im Ein-
gang faͤllt es mit dem Maͤrchen vom Machandel-
baum zuſammen, noch naͤher in einer andern Re-
cenſion, wo ſich die Koͤnigin, indem ſie mit dem
Koͤnig auf einem Jagdſchlitten faͤhrt, einen Apfel
ſchaͤlt und dabei in den Finger ſchneidet. Noch
ein anderer Eingang iſt folgender; Ein Graf und
eine Graͤfin fuhren an drei Haufen weißem Schnee
vorbei, da ſagte der Graf: „ich wuͤnſche mir ein
Maͤdchen, ſo weiß als dieſer Schnee.“ Bald
darauf kamen ſie an drei Gruben rothes Bluts,
da ſprach er wieder: „ich wuͤnſche mir ein Maͤd-
chen, ſo roth an den Wangen, wie dies Blut.“
Endlich flogen drei ſchwarze Raben voruͤber, da
wuͤnſchte er ſich ein Maͤdchen: „das Haare hat ſo
ſchwarz, wie dieſe Raben.“ Als ſie noch eine
Weile gefahren, begegnete ihnen ein Maͤdchen, ſo
weiß wie Schnee, ſo roth wie Blut und ſo
ſchwarzhaarig, wie die Raben und das war das
Sneewittchen. Der Graf ließ es gleich in die
Kutſche ſitzen und hatte es lieb, die Graͤfin aber
ſah es nicht gern und dachte nur, wie ſie es wie-
der los werden koͤnnte. Endlich ließ ſie ihren
Handſchuh hinausfallen, und befahl dem Snee-
wittchen ihn wieder zu ſuchen, in der Zeit aber
mußte der Kutſcher geſchwind fortfahren; nun iſt
Sneewittchen allein und kommt zu den Zwergen
u. ſ. w. In einer andern Erzaͤhlung, iſt das
bloß abweichend, daß die Koͤnigin mit dem Snee-
wittchen in den Wald faͤhrt, und es bittet ihm
von den ſchoͤnen Roſen, die da ſtehen, einen
Strauß abzubrechen, waͤhrend es bricht, faͤhrt ſie
fort und laͤßt es allein. Endlich kennen wir noch
eine dritte Recenſion: Ein Koͤnig verliert ſeine
Gemahlin, mit der er eine einzige Tochter Snee-
wittchen hat und nimmt eine andere, mit der er
drei Toͤchter bekommt. Dieſe haßt das Stiefkind,
auch wegen ſeiner wunderbaren Schoͤnheit, und

un-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0454" n="XXXII"/>
        <div n="2">
          <head>Zu Sneewittchen. No. 53.</head><lb/>
          <p>Dies Ma&#x0364;rchen geho&#x0364;rt zu den bekannte&#x017F;ten,<lb/>
doch wird in Gegenden, wo be&#x017F;timmt hochdeut&#x017F;ch<lb/>
herr&#x017F;cht, der plattdeut&#x017F;che Namen beibehalten,<lb/>
oder auch verdorben in Schliwitchen. Im Ein-<lb/>
gang fa&#x0364;llt es mit dem Ma&#x0364;rchen vom Machandel-<lb/>
baum zu&#x017F;ammen, noch na&#x0364;her in einer andern Re-<lb/>
cen&#x017F;ion, wo &#x017F;ich die Ko&#x0364;nigin, indem &#x017F;ie mit dem<lb/>
Ko&#x0364;nig auf einem Jagd&#x017F;chlitten fa&#x0364;hrt, einen Apfel<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;lt und dabei in den Finger &#x017F;chneidet. Noch<lb/>
ein anderer Eingang i&#x017F;t folgender; Ein Graf und<lb/>
eine Gra&#x0364;fin fuhren an drei Haufen weißem Schnee<lb/>
vorbei, da &#x017F;agte der Graf: &#x201E;ich wu&#x0364;n&#x017F;che mir ein<lb/>
Ma&#x0364;dchen, &#x017F;o weiß als die&#x017F;er Schnee.&#x201C; Bald<lb/>
darauf kamen &#x017F;ie an drei Gruben rothes Bluts,<lb/>
da &#x017F;prach er wieder: &#x201E;ich wu&#x0364;n&#x017F;che mir ein Ma&#x0364;d-<lb/>
chen, &#x017F;o roth an den Wangen, wie dies Blut.&#x201C;<lb/>
Endlich flogen drei &#x017F;chwarze Raben voru&#x0364;ber, da<lb/>
wu&#x0364;n&#x017F;chte er &#x017F;ich ein Ma&#x0364;dchen: &#x201E;das Haare hat &#x017F;o<lb/>
&#x017F;chwarz, wie die&#x017F;e Raben.&#x201C; Als &#x017F;ie noch eine<lb/>
Weile gefahren, begegnete ihnen ein Ma&#x0364;dchen, &#x017F;o<lb/>
weiß wie Schnee, &#x017F;o roth wie Blut und &#x017F;o<lb/>
&#x017F;chwarzhaarig, wie die Raben und das war das<lb/>
Sneewittchen. Der Graf ließ es gleich in die<lb/>
Kut&#x017F;che &#x017F;itzen und hatte es lieb, die Gra&#x0364;fin aber<lb/>
&#x017F;ah es nicht gern und dachte nur, wie &#x017F;ie es wie-<lb/>
der los werden ko&#x0364;nnte. Endlich ließ &#x017F;ie ihren<lb/>
Hand&#x017F;chuh hinausfallen, und befahl dem Snee-<lb/>
wittchen ihn wieder zu &#x017F;uchen, in der Zeit aber<lb/>
mußte der Kut&#x017F;cher ge&#x017F;chwind fortfahren; nun i&#x017F;t<lb/>
Sneewittchen allein und kommt zu den Zwergen<lb/>
u. &#x017F;. w. In einer andern Erza&#x0364;hlung, i&#x017F;t das<lb/>
bloß abweichend, daß die Ko&#x0364;nigin mit dem Snee-<lb/>
wittchen in den Wald fa&#x0364;hrt, und es bittet ihm<lb/>
von den &#x017F;cho&#x0364;nen Ro&#x017F;en, die da &#x017F;tehen, einen<lb/>
Strauß abzubrechen, wa&#x0364;hrend es bricht, fa&#x0364;hrt &#x017F;ie<lb/>
fort und la&#x0364;ßt es allein. Endlich kennen wir noch<lb/>
eine dritte Recen&#x017F;ion: Ein Ko&#x0364;nig verliert &#x017F;eine<lb/>
Gemahlin, mit der er eine einzige Tochter Snee-<lb/>
wittchen hat und nimmt eine andere, mit der er<lb/>
drei To&#x0364;chter bekommt. Die&#x017F;e haßt das Stiefkind,<lb/>
auch wegen &#x017F;einer wunderbaren Scho&#x0364;nheit, und<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">un-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[XXXII/0454] Zu Sneewittchen. No. 53. Dies Maͤrchen gehoͤrt zu den bekannteſten, doch wird in Gegenden, wo beſtimmt hochdeutſch herrſcht, der plattdeutſche Namen beibehalten, oder auch verdorben in Schliwitchen. Im Ein- gang faͤllt es mit dem Maͤrchen vom Machandel- baum zuſammen, noch naͤher in einer andern Re- cenſion, wo ſich die Koͤnigin, indem ſie mit dem Koͤnig auf einem Jagdſchlitten faͤhrt, einen Apfel ſchaͤlt und dabei in den Finger ſchneidet. Noch ein anderer Eingang iſt folgender; Ein Graf und eine Graͤfin fuhren an drei Haufen weißem Schnee vorbei, da ſagte der Graf: „ich wuͤnſche mir ein Maͤdchen, ſo weiß als dieſer Schnee.“ Bald darauf kamen ſie an drei Gruben rothes Bluts, da ſprach er wieder: „ich wuͤnſche mir ein Maͤd- chen, ſo roth an den Wangen, wie dies Blut.“ Endlich flogen drei ſchwarze Raben voruͤber, da wuͤnſchte er ſich ein Maͤdchen: „das Haare hat ſo ſchwarz, wie dieſe Raben.“ Als ſie noch eine Weile gefahren, begegnete ihnen ein Maͤdchen, ſo weiß wie Schnee, ſo roth wie Blut und ſo ſchwarzhaarig, wie die Raben und das war das Sneewittchen. Der Graf ließ es gleich in die Kutſche ſitzen und hatte es lieb, die Graͤfin aber ſah es nicht gern und dachte nur, wie ſie es wie- der los werden koͤnnte. Endlich ließ ſie ihren Handſchuh hinausfallen, und befahl dem Snee- wittchen ihn wieder zu ſuchen, in der Zeit aber mußte der Kutſcher geſchwind fortfahren; nun iſt Sneewittchen allein und kommt zu den Zwergen u. ſ. w. In einer andern Erzaͤhlung, iſt das bloß abweichend, daß die Koͤnigin mit dem Snee- wittchen in den Wald faͤhrt, und es bittet ihm von den ſchoͤnen Roſen, die da ſtehen, einen Strauß abzubrechen, waͤhrend es bricht, faͤhrt ſie fort und laͤßt es allein. Endlich kennen wir noch eine dritte Recenſion: Ein Koͤnig verliert ſeine Gemahlin, mit der er eine einzige Tochter Snee- wittchen hat und nimmt eine andere, mit der er drei Toͤchter bekommt. Dieſe haßt das Stiefkind, auch wegen ſeiner wunderbaren Schoͤnheit, und un-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/454
Zitationshilfe: Grimm, Jacob; Grimm, Wilhelm: Kinder- und Haus-Märchen. Bd. 1. Berlin, 1812, S. XXXII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grimm_maerchen01_1812/454>, abgerufen am 18.12.2024.