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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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Die wilde Hatz
Die wilde L)atz
Wer da Odem hat. der blase
Jetzt aus vollen Lungen Tusch;
Man begieße sich die Nase,
Denn der Doktor Wirth spricht: Kusch I
Im Gefühle, der Gewalten
Blickt er um sich her im Rund --
Ja, was soll man davon halten?
Halten soll der Mensch den Mundi Unterm Tisch reibt man die Hände:
Welch ein Fressen fürs Geschäft!
Und dann legt man los am Ende;
Hei, wie alles leise und kläfft!
Hetzen dürfen frisch die Roten,
Daß es nur so knallt und kracht;
Dahingegen wird verboten,
Was von rechts sich mausig macht. Denkt ihr noch an das verfluchte.
Blutbesudelte "System"?
Was man damals grollend duchte,
Heute findet mein's bequem.
Damals ward ein grimmig Rauschen -
Linker Hand im Blätterwald;
Heute kannst du froh erlauschen,
Wie ein süßes Säuseln hallt. Und man pfeift auf alle Klagen,
Selbst auf Bayerns Wutgeschrei;
So etwas kann stolz ertragen,
Wer ein Kanzler der Partei.
Seht, wie er aus welken Kranze
Unverzagt sich Blumen bricht;
"Kurz und gut", spricht er, "die janze
Richtung paszt uns eben nicht!" Zwar es stinkt ganz infernalisch,
Weil man plötzlich hat sein Herz
Offenbart als so moralisch,
Äugelnd selig himmelwärts.
Und man fühlt sich stolz "gestaltend",
Fluchend auf das Schwarzweißrot;
Und man fühlt sich "staatserhaltend" --
Donnerwetter Schwerenot I Bayern seinerseits pfeift wieder,
Heil ihm! seine eigene Weis',
Und vom Dache blickt hernieder
Hilflos der beliebte Greis.
Mag das Deutsche Reich zerfallen!
Freudig hört und unbeirrt
Der Entente Loblied schallen:
Deutschlands großer Kanzler Wirth!

Paul Marncke


Weltspiegel

Zwischen Wiesbaden und Griesbach. Das bisher übrigens nur von einer
Seite her bekannt gegebene Wiesbadener Abkommen zwischen den Ministern
Rathenau und Loucheur im einzelnen zu würdigen, würde den Raum einer
Denkschrift verlangen, eine Kritik gar nur den wenigen Männern zustehen, die
entweder an den Verhandlungen teilgenommen und das Wünschenswerte mit dem
Erreichten vergleichen können oder die das gesamte Wirtschaftsleben Deutschlands
sowohl wie Frankreichs aus eigener Tätigkeit genau kennen. Ohnehin bekommt
sehr vieles in dem Abkommen den rechten Sinn erst durch die Art der praktischen
Ausführung, deren Möglichkeiten wie die ganze Zukunft Deutschlands ungewiß
sind. Im ganzen aber läßt sich sagen, daß es von der Abstraktion des Versailler
Vertrages und seinen im Reiche der Phantasie ausschweifenden Forderungen zu
einer realen Zusammenarbeit beider Länder einen sehr bedeutenden Schritt darstellt.
Beigetragen zum Gelingen dieser Einigung hat zweifellos die Enttäuschung
Frankreichs über den deutsch-amerikanischen Friedensschluß, die dem "Temps" das
trübsinnige Geständnis entlockte: "Ansangend mit einem Weltbündnis sind wir
jetzt schließlich, man muß den Mut haben es einzugestehen, gewissermaßen zu
einer Isolierung gekommen. Sicherlich liegt die Schuld daran nicht ganz allein
bei uns: weder die Ereignisse noch die Männer außerhalb unseres Landes haben


Die wilde Hatz
Die wilde L)atz
Wer da Odem hat. der blase
Jetzt aus vollen Lungen Tusch;
Man begieße sich die Nase,
Denn der Doktor Wirth spricht: Kusch I
Im Gefühle, der Gewalten
Blickt er um sich her im Rund —
Ja, was soll man davon halten?
Halten soll der Mensch den Mundi Unterm Tisch reibt man die Hände:
Welch ein Fressen fürs Geschäft!
Und dann legt man los am Ende;
Hei, wie alles leise und kläfft!
Hetzen dürfen frisch die Roten,
Daß es nur so knallt und kracht;
Dahingegen wird verboten,
Was von rechts sich mausig macht. Denkt ihr noch an das verfluchte.
Blutbesudelte „System"?
Was man damals grollend duchte,
Heute findet mein's bequem.
Damals ward ein grimmig Rauschen -
Linker Hand im Blätterwald;
Heute kannst du froh erlauschen,
Wie ein süßes Säuseln hallt. Und man pfeift auf alle Klagen,
Selbst auf Bayerns Wutgeschrei;
So etwas kann stolz ertragen,
Wer ein Kanzler der Partei.
Seht, wie er aus welken Kranze
Unverzagt sich Blumen bricht;
„Kurz und gut", spricht er, „die janze
Richtung paszt uns eben nicht!" Zwar es stinkt ganz infernalisch,
Weil man plötzlich hat sein Herz
Offenbart als so moralisch,
Äugelnd selig himmelwärts.
Und man fühlt sich stolz „gestaltend",
Fluchend auf das Schwarzweißrot;
Und man fühlt sich „staatserhaltend" —
Donnerwetter Schwerenot I Bayern seinerseits pfeift wieder,
Heil ihm! seine eigene Weis',
Und vom Dache blickt hernieder
Hilflos der beliebte Greis.
Mag das Deutsche Reich zerfallen!
Freudig hört und unbeirrt
Der Entente Loblied schallen:
Deutschlands großer Kanzler Wirth!

Paul Marncke


Weltspiegel

Zwischen Wiesbaden und Griesbach. Das bisher übrigens nur von einer
Seite her bekannt gegebene Wiesbadener Abkommen zwischen den Ministern
Rathenau und Loucheur im einzelnen zu würdigen, würde den Raum einer
Denkschrift verlangen, eine Kritik gar nur den wenigen Männern zustehen, die
entweder an den Verhandlungen teilgenommen und das Wünschenswerte mit dem
Erreichten vergleichen können oder die das gesamte Wirtschaftsleben Deutschlands
sowohl wie Frankreichs aus eigener Tätigkeit genau kennen. Ohnehin bekommt
sehr vieles in dem Abkommen den rechten Sinn erst durch die Art der praktischen
Ausführung, deren Möglichkeiten wie die ganze Zukunft Deutschlands ungewiß
sind. Im ganzen aber läßt sich sagen, daß es von der Abstraktion des Versailler
Vertrages und seinen im Reiche der Phantasie ausschweifenden Forderungen zu
einer realen Zusammenarbeit beider Länder einen sehr bedeutenden Schritt darstellt.
Beigetragen zum Gelingen dieser Einigung hat zweifellos die Enttäuschung
Frankreichs über den deutsch-amerikanischen Friedensschluß, die dem „Temps" das
trübsinnige Geständnis entlockte: „Ansangend mit einem Weltbündnis sind wir
jetzt schließlich, man muß den Mut haben es einzugestehen, gewissermaßen zu
einer Isolierung gekommen. Sicherlich liegt die Schuld daran nicht ganz allein
bei uns: weder die Ereignisse noch die Männer außerhalb unseres Landes haben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/327>, abgerufen am 04.07.2024.