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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr.

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Weltspiegel

Rang!" schrie er. "Hier sind alle Menschen gleich!" In demselben Augenblick
kam gerade Karl Marx um die Ecke und strich sich den Bart nachdenklich. So¬
fort fiel der Sozialist auf die Knie und berührte den Staub mit der Stirn. "O
Meister!" schrie er. "O mein Meister, mein Meister!" -- Das Buch über die
Frauen behandelt die Frauenfrage satirisch, und zwar wird die Frau als dem
Mann geistig überlegen dargestellt; sie ist durch die Not ähnlich Ivie die Juden
erfinderisch, klug, schlau geworden, sie "macht" den Mann, der auch nichts besseres
verdient. "The American Credo" endlich, dessen Einführung von reichlich 100
Seiten von Mencken stammt, während das übrige George Jean Nathan zum Ver¬
fasser hat, versucht eine Auslegung der "amerikanischen Seele", eine Art "be¬
schreibende gesellschafts-wissenschaftliche Seelenkunde". Dem Amerikaner von
heute werden darin verschiedene Anmaßungen abgezogen. Er ist unfreier als
irgendein anderer Teil der Menschheit, besonders im Punkte persönlicher Freiheit,
aber selbst seine politische Freiheit verfällt immer mehr dem Dogma, daß die
amerikanische Demokratie tugendhaft und gesetzlich ist, wahrend die Regiermigs-
form der unglücklichen "andern" böse und abschreckend bleibt. Er ist ein Streber
in seiner und der Gesellschaft der Völker, unersättlich ehrgeizig und doch unheilbar
furchtsam, er ist künstlich duldsam und von Natur der größte Tyrann auf Gottes
Erde, überwiegend mit Wilson voll "Moral", aber ohne Ehre, also ein "militare
Moralist". Eine Pöbelseele, in der Gefühl leicht zum Wahnwitz entartet, der
Idealismus nicht eine Leidenschaft, sondern ein Geschäft, der Verfolgung und-
Lynching ein Kitzel ist, die fertige Meinungen am liebsten hat und sich an be¬
glückenden Theorien ergötzt, während das praktische amerikanische Leben recht ver¬
schiedene Wege geht. Mencken findet immer neue Belege für seine Untersuchung
und neue Wendungen in seiner Darstellung, er ist ernst und ergötzlich zugleich.
Dabei ist sein Ziel ein besseres Amerika, ein echtes "America of the Americans",
das all die Schlacken seines Kolonialismus abwirft und sich mutig auf sein eigenes
Leben besinnt, dessen Kultur eine Bereicherung der Weltkultur ist.




Weltspiegel

Die Bereinigten Staaten von Europa. Es ist das Unglück Europas, daß
an seinem "Weltkrieg" die "Welt" eben nur sehr wenig und lediglich als Ge¬
winner und tertius Muclens beteiligt gewesen ist. Es könnte jeder aus der
Erkenntnis dieser Tatsache die warnende Lehre entnehmen, daß es eben nicht
mehr die Welt bedeutet. Und dies heißt nichts anderes, als daß ihm über kurz
oder lang Wettbewerber erwachsen, mit denen es zu rechnen haben wird. Voraus¬
gesetzt, daß der oft vorausgesagte, aber immer wieder vermiedene japanisch¬
amerikanische Krieg, der sich, da England notgedrungen mit dem Sieger kämpfen
müßte, zu einem wirklichen Weltkrieg auswachsen könnte, nicht ausgefochten wird.
Wie lange wird es noch dauern, daß der gelbe Osten europäische Erzeugnisse
grundsätzlich boykottiert? Wie lange noch, daß Indien tatsächlich englisch bleibt,
daß der nordafrikanische Islam, der zum Beispiel in Abesstnien große Fortschritte


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Rang!" schrie er. „Hier sind alle Menschen gleich!" In demselben Augenblick
kam gerade Karl Marx um die Ecke und strich sich den Bart nachdenklich. So¬
fort fiel der Sozialist auf die Knie und berührte den Staub mit der Stirn. „O
Meister!" schrie er. „O mein Meister, mein Meister!" — Das Buch über die
Frauen behandelt die Frauenfrage satirisch, und zwar wird die Frau als dem
Mann geistig überlegen dargestellt; sie ist durch die Not ähnlich Ivie die Juden
erfinderisch, klug, schlau geworden, sie „macht" den Mann, der auch nichts besseres
verdient. „The American Credo" endlich, dessen Einführung von reichlich 100
Seiten von Mencken stammt, während das übrige George Jean Nathan zum Ver¬
fasser hat, versucht eine Auslegung der „amerikanischen Seele", eine Art „be¬
schreibende gesellschafts-wissenschaftliche Seelenkunde". Dem Amerikaner von
heute werden darin verschiedene Anmaßungen abgezogen. Er ist unfreier als
irgendein anderer Teil der Menschheit, besonders im Punkte persönlicher Freiheit,
aber selbst seine politische Freiheit verfällt immer mehr dem Dogma, daß die
amerikanische Demokratie tugendhaft und gesetzlich ist, wahrend die Regiermigs-
form der unglücklichen „andern" böse und abschreckend bleibt. Er ist ein Streber
in seiner und der Gesellschaft der Völker, unersättlich ehrgeizig und doch unheilbar
furchtsam, er ist künstlich duldsam und von Natur der größte Tyrann auf Gottes
Erde, überwiegend mit Wilson voll „Moral", aber ohne Ehre, also ein „militare
Moralist". Eine Pöbelseele, in der Gefühl leicht zum Wahnwitz entartet, der
Idealismus nicht eine Leidenschaft, sondern ein Geschäft, der Verfolgung und-
Lynching ein Kitzel ist, die fertige Meinungen am liebsten hat und sich an be¬
glückenden Theorien ergötzt, während das praktische amerikanische Leben recht ver¬
schiedene Wege geht. Mencken findet immer neue Belege für seine Untersuchung
und neue Wendungen in seiner Darstellung, er ist ernst und ergötzlich zugleich.
Dabei ist sein Ziel ein besseres Amerika, ein echtes „America of the Americans",
das all die Schlacken seines Kolonialismus abwirft und sich mutig auf sein eigenes
Leben besinnt, dessen Kultur eine Bereicherung der Weltkultur ist.




Weltspiegel

Die Bereinigten Staaten von Europa. Es ist das Unglück Europas, daß
an seinem „Weltkrieg" die „Welt" eben nur sehr wenig und lediglich als Ge¬
winner und tertius Muclens beteiligt gewesen ist. Es könnte jeder aus der
Erkenntnis dieser Tatsache die warnende Lehre entnehmen, daß es eben nicht
mehr die Welt bedeutet. Und dies heißt nichts anderes, als daß ihm über kurz
oder lang Wettbewerber erwachsen, mit denen es zu rechnen haben wird. Voraus¬
gesetzt, daß der oft vorausgesagte, aber immer wieder vermiedene japanisch¬
amerikanische Krieg, der sich, da England notgedrungen mit dem Sieger kämpfen
müßte, zu einem wirklichen Weltkrieg auswachsen könnte, nicht ausgefochten wird.
Wie lange wird es noch dauern, daß der gelbe Osten europäische Erzeugnisse
grundsätzlich boykottiert? Wie lange noch, daß Indien tatsächlich englisch bleibt,
daß der nordafrikanische Islam, der zum Beispiel in Abesstnien große Fortschritte


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[0196] Weltspiegel Rang!" schrie er. „Hier sind alle Menschen gleich!" In demselben Augenblick kam gerade Karl Marx um die Ecke und strich sich den Bart nachdenklich. So¬ fort fiel der Sozialist auf die Knie und berührte den Staub mit der Stirn. „O Meister!" schrie er. „O mein Meister, mein Meister!" — Das Buch über die Frauen behandelt die Frauenfrage satirisch, und zwar wird die Frau als dem Mann geistig überlegen dargestellt; sie ist durch die Not ähnlich Ivie die Juden erfinderisch, klug, schlau geworden, sie „macht" den Mann, der auch nichts besseres verdient. „The American Credo" endlich, dessen Einführung von reichlich 100 Seiten von Mencken stammt, während das übrige George Jean Nathan zum Ver¬ fasser hat, versucht eine Auslegung der „amerikanischen Seele", eine Art „be¬ schreibende gesellschafts-wissenschaftliche Seelenkunde". Dem Amerikaner von heute werden darin verschiedene Anmaßungen abgezogen. Er ist unfreier als irgendein anderer Teil der Menschheit, besonders im Punkte persönlicher Freiheit, aber selbst seine politische Freiheit verfällt immer mehr dem Dogma, daß die amerikanische Demokratie tugendhaft und gesetzlich ist, wahrend die Regiermigs- form der unglücklichen „andern" böse und abschreckend bleibt. Er ist ein Streber in seiner und der Gesellschaft der Völker, unersättlich ehrgeizig und doch unheilbar furchtsam, er ist künstlich duldsam und von Natur der größte Tyrann auf Gottes Erde, überwiegend mit Wilson voll „Moral", aber ohne Ehre, also ein „militare Moralist". Eine Pöbelseele, in der Gefühl leicht zum Wahnwitz entartet, der Idealismus nicht eine Leidenschaft, sondern ein Geschäft, der Verfolgung und- Lynching ein Kitzel ist, die fertige Meinungen am liebsten hat und sich an be¬ glückenden Theorien ergötzt, während das praktische amerikanische Leben recht ver¬ schiedene Wege geht. Mencken findet immer neue Belege für seine Untersuchung und neue Wendungen in seiner Darstellung, er ist ernst und ergötzlich zugleich. Dabei ist sein Ziel ein besseres Amerika, ein echtes „America of the Americans", das all die Schlacken seines Kolonialismus abwirft und sich mutig auf sein eigenes Leben besinnt, dessen Kultur eine Bereicherung der Weltkultur ist. Weltspiegel Die Bereinigten Staaten von Europa. Es ist das Unglück Europas, daß an seinem „Weltkrieg" die „Welt" eben nur sehr wenig und lediglich als Ge¬ winner und tertius Muclens beteiligt gewesen ist. Es könnte jeder aus der Erkenntnis dieser Tatsache die warnende Lehre entnehmen, daß es eben nicht mehr die Welt bedeutet. Und dies heißt nichts anderes, als daß ihm über kurz oder lang Wettbewerber erwachsen, mit denen es zu rechnen haben wird. Voraus¬ gesetzt, daß der oft vorausgesagte, aber immer wieder vermiedene japanisch¬ amerikanische Krieg, der sich, da England notgedrungen mit dem Sieger kämpfen müßte, zu einem wirklichen Weltkrieg auswachsen könnte, nicht ausgefochten wird. Wie lange wird es noch dauern, daß der gelbe Osten europäische Erzeugnisse grundsätzlich boykottiert? Wie lange noch, daß Indien tatsächlich englisch bleibt, daß der nordafrikanische Islam, der zum Beispiel in Abesstnien große Fortschritte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_339148/196>, abgerufen am 04.07.2024.