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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr.

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Deutschlands Beruf

Deutschlands Beruf
Leow-Fränkel von

ir haben den Krieg verloren. Die Ursachen materieller und praktisch-
technischer Art ausführlich zu erörtern, kann nicht meine Aufgabe
sein. Ein Grund/ der wesentlich mitspricht, ist aber jedenfalls der,
daß im Verlauf des Kampfes, der die Anspannung aller
Kräfte -- sowohl der ideellen, wie materiellen -- gefordert, welche
Forderung aber nur bei Aufgebot unserer stärksten sittlichen Energien hätte erfüllt
werden können, das nationale Ethos, der deutsche Idealismus, ins Hinter¬
treffen geriet.

Der Krieg, der nach außen hin die KraftauSeinandersetzung der führenden
Wcltnationen in politischer Hinsicht brachte, hatte innerpolitisch den längst vor¬
handenen Zwiespalt der beiden feindlich gesinnten Lcbenstendenzen des Volkes:
der materiell-Positiven und Kantischen Weltanschauung aufs äußerste zugespitzt,
indem er das kämpfende Volk in zwei Parteien schied: die deutschen Idealisten,
die für die Ehre des Landes ihr letztes Herzblut verspritzen -- und die Opportunisten,
die möglichst schnell und billig zum Frieden gelangen wollten.

Nachdem die Patrioten -- getragen von jener Kraft, die Ausdruck und
Offenbarung des deutschen Idealismus, der völkischen Treue war -- in langen und
heißen Kämpfen Wunder an Mut vollbracht und jene Erfolge erzielt, vor denen
die Welt erbebte, gewannen die Materialisten, die alle Heldentaten mit
lähmendem Zweifel verfolgt, sich aber aus Vorsicht und Klugheit zuallererst in
den Schutz der deutschen Elite gestellt, im letzten, kritischen Stadium unseres
Verzweiflungskampfes unter dem Druck der Lage, die gegen den deutschen Mut
und Idealismus entschied, schließlich die Oberhemd, denn die Lebensfrage des
Volles: ob Schluß -- ob Fortgang deS Kampfes wurde am 9. November in
ihrem Sinne gelöst.

Der deutsche Idealismus, der damit nicht nur den Krieg, sondern, was die
logische Folge dieses Fiaskos war, nun auch den deutschen Frieden, dessen
enorme.Kosten er fast ausschließlich bezahlt, unwiderruflich verlor, da das Diktat
der Feinde, der Gläubiger einerseits -- und andererseits die Entmannung, der
blinde Selbstmordversuch der deutschen Rationalisten ihn jeder Bewegungsfreiheit,
Initiative beraubt, darf sich von dieser letzten, schmerzlichsten Niederlage nicht
völlig mutlos machen -- darf sich von den gewitzter, gewissenlosen Eigennutzpiratcn
nicht einfach überrennen und niedertreten lassen. Denn wie vorher der Krieg,
so wird die Zeit des Friedens nach dem Versailler Vertrag erneut zur Kraftprobe
drängen zwischen den beiden Parteien: den Egoisten und den Altruisten, weil die
moderne Kultur ganz und gar auf den Zweikampf, den ewigen Widerstreit geistiger
Lebensschöpfer und Platter Lebensgenießer, Lebensvcrnichter gestellt ist.

Wollen die Siegelbewahrer deutschen Kulturbcsitzes über den Abgrund der
Knechtschaft, der Demütigung, hinweg ihren Einfluß behaupten, so müssen sie,
unbekümmert um Schelsucht Spott und Verachtung der deutschen Opportunisten,
im Herzen unserer Nation jenen Impuls beleben, der einzig imstande ist, dem
krassen Materialismus und der Entsittlichung, die er herbeigeführt hat, energisch


Deutschlands Beruf

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Leow-Fränkel von

ir haben den Krieg verloren. Die Ursachen materieller und praktisch-
technischer Art ausführlich zu erörtern, kann nicht meine Aufgabe
sein. Ein Grund/ der wesentlich mitspricht, ist aber jedenfalls der,
daß im Verlauf des Kampfes, der die Anspannung aller
Kräfte — sowohl der ideellen, wie materiellen — gefordert, welche
Forderung aber nur bei Aufgebot unserer stärksten sittlichen Energien hätte erfüllt
werden können, das nationale Ethos, der deutsche Idealismus, ins Hinter¬
treffen geriet.

Der Krieg, der nach außen hin die KraftauSeinandersetzung der führenden
Wcltnationen in politischer Hinsicht brachte, hatte innerpolitisch den längst vor¬
handenen Zwiespalt der beiden feindlich gesinnten Lcbenstendenzen des Volkes:
der materiell-Positiven und Kantischen Weltanschauung aufs äußerste zugespitzt,
indem er das kämpfende Volk in zwei Parteien schied: die deutschen Idealisten,
die für die Ehre des Landes ihr letztes Herzblut verspritzen — und die Opportunisten,
die möglichst schnell und billig zum Frieden gelangen wollten.

Nachdem die Patrioten — getragen von jener Kraft, die Ausdruck und
Offenbarung des deutschen Idealismus, der völkischen Treue war — in langen und
heißen Kämpfen Wunder an Mut vollbracht und jene Erfolge erzielt, vor denen
die Welt erbebte, gewannen die Materialisten, die alle Heldentaten mit
lähmendem Zweifel verfolgt, sich aber aus Vorsicht und Klugheit zuallererst in
den Schutz der deutschen Elite gestellt, im letzten, kritischen Stadium unseres
Verzweiflungskampfes unter dem Druck der Lage, die gegen den deutschen Mut
und Idealismus entschied, schließlich die Oberhemd, denn die Lebensfrage des
Volles: ob Schluß — ob Fortgang deS Kampfes wurde am 9. November in
ihrem Sinne gelöst.

Der deutsche Idealismus, der damit nicht nur den Krieg, sondern, was die
logische Folge dieses Fiaskos war, nun auch den deutschen Frieden, dessen
enorme.Kosten er fast ausschließlich bezahlt, unwiderruflich verlor, da das Diktat
der Feinde, der Gläubiger einerseits — und andererseits die Entmannung, der
blinde Selbstmordversuch der deutschen Rationalisten ihn jeder Bewegungsfreiheit,
Initiative beraubt, darf sich von dieser letzten, schmerzlichsten Niederlage nicht
völlig mutlos machen — darf sich von den gewitzter, gewissenlosen Eigennutzpiratcn
nicht einfach überrennen und niedertreten lassen. Denn wie vorher der Krieg,
so wird die Zeit des Friedens nach dem Versailler Vertrag erneut zur Kraftprobe
drängen zwischen den beiden Parteien: den Egoisten und den Altruisten, weil die
moderne Kultur ganz und gar auf den Zweikampf, den ewigen Widerstreit geistiger
Lebensschöpfer und Platter Lebensgenießer, Lebensvcrnichter gestellt ist.

Wollen die Siegelbewahrer deutschen Kulturbcsitzes über den Abgrund der
Knechtschaft, der Demütigung, hinweg ihren Einfluß behaupten, so müssen sie,
unbekümmert um Schelsucht Spott und Verachtung der deutschen Opportunisten,
im Herzen unserer Nation jenen Impuls beleben, der einzig imstande ist, dem
krassen Materialismus und der Entsittlichung, die er herbeigeführt hat, energisch


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[0033] Deutschlands Beruf Deutschlands Beruf Leow-Fränkel von ir haben den Krieg verloren. Die Ursachen materieller und praktisch- technischer Art ausführlich zu erörtern, kann nicht meine Aufgabe sein. Ein Grund/ der wesentlich mitspricht, ist aber jedenfalls der, daß im Verlauf des Kampfes, der die Anspannung aller Kräfte — sowohl der ideellen, wie materiellen — gefordert, welche Forderung aber nur bei Aufgebot unserer stärksten sittlichen Energien hätte erfüllt werden können, das nationale Ethos, der deutsche Idealismus, ins Hinter¬ treffen geriet. Der Krieg, der nach außen hin die KraftauSeinandersetzung der führenden Wcltnationen in politischer Hinsicht brachte, hatte innerpolitisch den längst vor¬ handenen Zwiespalt der beiden feindlich gesinnten Lcbenstendenzen des Volkes: der materiell-Positiven und Kantischen Weltanschauung aufs äußerste zugespitzt, indem er das kämpfende Volk in zwei Parteien schied: die deutschen Idealisten, die für die Ehre des Landes ihr letztes Herzblut verspritzen — und die Opportunisten, die möglichst schnell und billig zum Frieden gelangen wollten. Nachdem die Patrioten — getragen von jener Kraft, die Ausdruck und Offenbarung des deutschen Idealismus, der völkischen Treue war — in langen und heißen Kämpfen Wunder an Mut vollbracht und jene Erfolge erzielt, vor denen die Welt erbebte, gewannen die Materialisten, die alle Heldentaten mit lähmendem Zweifel verfolgt, sich aber aus Vorsicht und Klugheit zuallererst in den Schutz der deutschen Elite gestellt, im letzten, kritischen Stadium unseres Verzweiflungskampfes unter dem Druck der Lage, die gegen den deutschen Mut und Idealismus entschied, schließlich die Oberhemd, denn die Lebensfrage des Volles: ob Schluß — ob Fortgang deS Kampfes wurde am 9. November in ihrem Sinne gelöst. Der deutsche Idealismus, der damit nicht nur den Krieg, sondern, was die logische Folge dieses Fiaskos war, nun auch den deutschen Frieden, dessen enorme.Kosten er fast ausschließlich bezahlt, unwiderruflich verlor, da das Diktat der Feinde, der Gläubiger einerseits — und andererseits die Entmannung, der blinde Selbstmordversuch der deutschen Rationalisten ihn jeder Bewegungsfreiheit, Initiative beraubt, darf sich von dieser letzten, schmerzlichsten Niederlage nicht völlig mutlos machen — darf sich von den gewitzter, gewissenlosen Eigennutzpiratcn nicht einfach überrennen und niedertreten lassen. Denn wie vorher der Krieg, so wird die Zeit des Friedens nach dem Versailler Vertrag erneut zur Kraftprobe drängen zwischen den beiden Parteien: den Egoisten und den Altruisten, weil die moderne Kultur ganz und gar auf den Zweikampf, den ewigen Widerstreit geistiger Lebensschöpfer und Platter Lebensgenießer, Lebensvcrnichter gestellt ist. Wollen die Siegelbewahrer deutschen Kulturbcsitzes über den Abgrund der Knechtschaft, der Demütigung, hinweg ihren Einfluß behaupten, so müssen sie, unbekümmert um Schelsucht Spott und Verachtung der deutschen Opportunisten, im Herzen unserer Nation jenen Impuls beleben, der einzig imstande ist, dem krassen Materialismus und der Entsittlichung, die er herbeigeführt hat, energisch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338800/33>, abgerufen am 23.11.2024.