Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Sozialisierung der Justiz imo der Rechtspflege?

eine Illusion, mit der zu rechnen nicht mehr in das Gebiet der Realpolitik fällt.
Die Verdienste von Jahrhunderten gehen nicht an einem Tage verloren. Wenn
Deutschland nach tiefem Fall sich wieder erhebt, so kann es dies Psychisch und physisch
nur ans der durch diese Verdienste geschaffenen Grundlage. Die gewärtige Generation
mag dies verkennen, künftige werden sich daran erinnern und die Treue halten.
ES kann nicht richtig sein, diese Prüfung auf Treue zu provozieren. Wer es tut,
muß schließlich trotz bester Gesinnung für das Reich Praktisch mit den Tendenzen
rechnen, die sich dnrch die ganze deutsche Geschichte hindurch als zerstörende
bewiesen haben.

So ist die Frage des monarchischen Gedankens für Deutschland sehr viel
verwickelter, als die Masse seiner Befürworter dies anzunehmen scheint. Es wär?
falsch, ihn deshalb nicht zu Pflegen. Schwierigkeiten sind dazu da, um über'
wunden zu werden. Aber es empfliehlt sich nicht, an ihre Uberwindunng heran-
zugehen in einem Zeitpunkt, da sie inner- und außerpvlitisch am allerschwierigsten
erscheinen. So lange es Deutsche giebt, die sich von der Vergangenheit nicht los¬
lösen können und das wird immer der weitüberwiegende Teil des ganzen
Volkes sein so lange werden sie des neuen Kaiserreichs harren. Unversiegbare
historische Werte sind in? Zusammenklang der Worte "Kaiser und Reich" enthalten.
Die praktische Politik aber darf sie nur benutzen, wenn sie sie nicht gleichzeitig
vernichten würde. So wie die Dinge liegen, muß die Kaiserfrage im Reiche, wenn
sie durch die bayerische Königsfragc aufgerollt werden sollte, vertagt werden^ auch
von den monarchisch gerichteten Parteien des Reichstags. Sie können das sehr
leicht tun, wenn sie sich diesfalls unbeschadet ihres grundsätzlich gegenteiligen Stand -
vnnktes an die Tatsache der Weimarer Verfassung halten. Sie müssen es tun,
wenn sie Politik auf weite Sicht treiben wollen, wenn sie den Glauben an
Deutschlands Zukunft haben lind deshalb ein starkes, innerlich einiges Kaiserreich
der Zukunft einer künstlichen monarchischen Bildung der Gegenwart vorziehen.




^ozialisierung der Justiz und der Rechtspflege?
Kammergerichtsrat ?r. Sontag von

Sieg der Sozialdemokratie in der Novemberrevolution N)>8
führte unter anderem zu der Forderung einer weitgehenden sozialen
I Ausgestaltung unserer gesamten ^ebenSemrichtungcn. Das für die
wirtschaftlichen Betriebe geprägte Schlagwort "Sozialisierung" der
Bergwerke, Fabriken usw. blieb aber in seiner Anwendung nicht
auf diese beschränkt, es wurde vielmehr auch u. a. die Forderung der Sozialisierung
der Justiz und der Rechtspflege erhoben. Was hat man sich hierunter vorzu¬
stellen? Sozialisierung in dem landläufigen Sinne heißt: Überführung eines
Betriebes aus der Privatwirtschaft in die Gemeinwirtschaft mit der Wirkung, daß


Sozialisierung der Justiz imo der Rechtspflege?

eine Illusion, mit der zu rechnen nicht mehr in das Gebiet der Realpolitik fällt.
Die Verdienste von Jahrhunderten gehen nicht an einem Tage verloren. Wenn
Deutschland nach tiefem Fall sich wieder erhebt, so kann es dies Psychisch und physisch
nur ans der durch diese Verdienste geschaffenen Grundlage. Die gewärtige Generation
mag dies verkennen, künftige werden sich daran erinnern und die Treue halten.
ES kann nicht richtig sein, diese Prüfung auf Treue zu provozieren. Wer es tut,
muß schließlich trotz bester Gesinnung für das Reich Praktisch mit den Tendenzen
rechnen, die sich dnrch die ganze deutsche Geschichte hindurch als zerstörende
bewiesen haben.

So ist die Frage des monarchischen Gedankens für Deutschland sehr viel
verwickelter, als die Masse seiner Befürworter dies anzunehmen scheint. Es wär?
falsch, ihn deshalb nicht zu Pflegen. Schwierigkeiten sind dazu da, um über'
wunden zu werden. Aber es empfliehlt sich nicht, an ihre Uberwindunng heran-
zugehen in einem Zeitpunkt, da sie inner- und außerpvlitisch am allerschwierigsten
erscheinen. So lange es Deutsche giebt, die sich von der Vergangenheit nicht los¬
lösen können und das wird immer der weitüberwiegende Teil des ganzen
Volkes sein so lange werden sie des neuen Kaiserreichs harren. Unversiegbare
historische Werte sind in? Zusammenklang der Worte „Kaiser und Reich" enthalten.
Die praktische Politik aber darf sie nur benutzen, wenn sie sie nicht gleichzeitig
vernichten würde. So wie die Dinge liegen, muß die Kaiserfrage im Reiche, wenn
sie durch die bayerische Königsfragc aufgerollt werden sollte, vertagt werden^ auch
von den monarchisch gerichteten Parteien des Reichstags. Sie können das sehr
leicht tun, wenn sie sich diesfalls unbeschadet ihres grundsätzlich gegenteiligen Stand -
vnnktes an die Tatsache der Weimarer Verfassung halten. Sie müssen es tun,
wenn sie Politik auf weite Sicht treiben wollen, wenn sie den Glauben an
Deutschlands Zukunft haben lind deshalb ein starkes, innerlich einiges Kaiserreich
der Zukunft einer künstlichen monarchischen Bildung der Gegenwart vorziehen.




^ozialisierung der Justiz und der Rechtspflege?
Kammergerichtsrat ?r. Sontag von

Sieg der Sozialdemokratie in der Novemberrevolution N)>8
führte unter anderem zu der Forderung einer weitgehenden sozialen
I Ausgestaltung unserer gesamten ^ebenSemrichtungcn. Das für die
wirtschaftlichen Betriebe geprägte Schlagwort „Sozialisierung" der
Bergwerke, Fabriken usw. blieb aber in seiner Anwendung nicht
auf diese beschränkt, es wurde vielmehr auch u. a. die Forderung der Sozialisierung
der Justiz und der Rechtspflege erhoben. Was hat man sich hierunter vorzu¬
stellen? Sozialisierung in dem landläufigen Sinne heißt: Überführung eines
Betriebes aus der Privatwirtschaft in die Gemeinwirtschaft mit der Wirkung, daß


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0308" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/338741"/>
          <fw type="header" place="top"> Sozialisierung der Justiz imo der Rechtspflege?</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1104" prev="#ID_1103"> eine Illusion, mit der zu rechnen nicht mehr in das Gebiet der Realpolitik fällt.<lb/>
Die Verdienste von Jahrhunderten gehen nicht an einem Tage verloren. Wenn<lb/>
Deutschland nach tiefem Fall sich wieder erhebt, so kann es dies Psychisch und physisch<lb/>
nur ans der durch diese Verdienste geschaffenen Grundlage. Die gewärtige Generation<lb/>
mag dies verkennen, künftige werden sich daran erinnern und die Treue halten.<lb/>
ES kann nicht richtig sein, diese Prüfung auf Treue zu provozieren. Wer es tut,<lb/>
muß schließlich trotz bester Gesinnung für das Reich Praktisch mit den Tendenzen<lb/>
rechnen, die sich dnrch die ganze deutsche Geschichte hindurch als zerstörende<lb/>
bewiesen haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1105"> So ist die Frage des monarchischen Gedankens für Deutschland sehr viel<lb/>
verwickelter, als die Masse seiner Befürworter dies anzunehmen scheint. Es wär?<lb/>
falsch, ihn deshalb nicht zu Pflegen. Schwierigkeiten sind dazu da, um über'<lb/>
wunden zu werden. Aber es empfliehlt sich nicht, an ihre Uberwindunng heran-<lb/>
zugehen in einem Zeitpunkt, da sie inner- und außerpvlitisch am allerschwierigsten<lb/>
erscheinen. So lange es Deutsche giebt, die sich von der Vergangenheit nicht los¬<lb/>
lösen können und das wird immer der weitüberwiegende Teil des ganzen<lb/>
Volkes sein so lange werden sie des neuen Kaiserreichs harren. Unversiegbare<lb/>
historische Werte sind in? Zusammenklang der Worte &#x201E;Kaiser und Reich" enthalten.<lb/>
Die praktische Politik aber darf sie nur benutzen, wenn sie sie nicht gleichzeitig<lb/>
vernichten würde. So wie die Dinge liegen, muß die Kaiserfrage im Reiche, wenn<lb/>
sie durch die bayerische Königsfragc aufgerollt werden sollte, vertagt werden^ auch<lb/>
von den monarchisch gerichteten Parteien des Reichstags. Sie können das sehr<lb/>
leicht tun, wenn sie sich diesfalls unbeschadet ihres grundsätzlich gegenteiligen Stand -<lb/>
vnnktes an die Tatsache der Weimarer Verfassung halten. Sie müssen es tun,<lb/>
wenn sie Politik auf weite Sicht treiben wollen, wenn sie den Glauben an<lb/>
Deutschlands Zukunft haben lind deshalb ein starkes, innerlich einiges Kaiserreich<lb/>
der Zukunft einer künstlichen monarchischen Bildung der Gegenwart vorziehen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> ^ozialisierung der Justiz und der Rechtspflege?<lb/><note type="byline"> Kammergerichtsrat ?r. Sontag</note> von</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1106" next="#ID_1107"> Sieg der Sozialdemokratie in der Novemberrevolution N)&gt;8<lb/>
führte unter anderem zu der Forderung einer weitgehenden sozialen<lb/>
I Ausgestaltung unserer gesamten ^ebenSemrichtungcn.  Das für die<lb/>
wirtschaftlichen Betriebe geprägte Schlagwort &#x201E;Sozialisierung" der<lb/>
Bergwerke, Fabriken usw. blieb aber in seiner Anwendung nicht<lb/>
auf diese beschränkt, es wurde vielmehr auch u. a. die Forderung der Sozialisierung<lb/>
der Justiz und der Rechtspflege erhoben. Was hat man sich hierunter vorzu¬<lb/>
stellen? Sozialisierung in dem landläufigen Sinne heißt: Überführung eines<lb/>
Betriebes aus der Privatwirtschaft in die Gemeinwirtschaft mit der Wirkung, daß</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0308] Sozialisierung der Justiz imo der Rechtspflege? eine Illusion, mit der zu rechnen nicht mehr in das Gebiet der Realpolitik fällt. Die Verdienste von Jahrhunderten gehen nicht an einem Tage verloren. Wenn Deutschland nach tiefem Fall sich wieder erhebt, so kann es dies Psychisch und physisch nur ans der durch diese Verdienste geschaffenen Grundlage. Die gewärtige Generation mag dies verkennen, künftige werden sich daran erinnern und die Treue halten. ES kann nicht richtig sein, diese Prüfung auf Treue zu provozieren. Wer es tut, muß schließlich trotz bester Gesinnung für das Reich Praktisch mit den Tendenzen rechnen, die sich dnrch die ganze deutsche Geschichte hindurch als zerstörende bewiesen haben. So ist die Frage des monarchischen Gedankens für Deutschland sehr viel verwickelter, als die Masse seiner Befürworter dies anzunehmen scheint. Es wär? falsch, ihn deshalb nicht zu Pflegen. Schwierigkeiten sind dazu da, um über' wunden zu werden. Aber es empfliehlt sich nicht, an ihre Uberwindunng heran- zugehen in einem Zeitpunkt, da sie inner- und außerpvlitisch am allerschwierigsten erscheinen. So lange es Deutsche giebt, die sich von der Vergangenheit nicht los¬ lösen können und das wird immer der weitüberwiegende Teil des ganzen Volkes sein so lange werden sie des neuen Kaiserreichs harren. Unversiegbare historische Werte sind in? Zusammenklang der Worte „Kaiser und Reich" enthalten. Die praktische Politik aber darf sie nur benutzen, wenn sie sie nicht gleichzeitig vernichten würde. So wie die Dinge liegen, muß die Kaiserfrage im Reiche, wenn sie durch die bayerische Königsfragc aufgerollt werden sollte, vertagt werden^ auch von den monarchisch gerichteten Parteien des Reichstags. Sie können das sehr leicht tun, wenn sie sich diesfalls unbeschadet ihres grundsätzlich gegenteiligen Stand - vnnktes an die Tatsache der Weimarer Verfassung halten. Sie müssen es tun, wenn sie Politik auf weite Sicht treiben wollen, wenn sie den Glauben an Deutschlands Zukunft haben lind deshalb ein starkes, innerlich einiges Kaiserreich der Zukunft einer künstlichen monarchischen Bildung der Gegenwart vorziehen. ^ozialisierung der Justiz und der Rechtspflege? Kammergerichtsrat ?r. Sontag von Sieg der Sozialdemokratie in der Novemberrevolution N)>8 führte unter anderem zu der Forderung einer weitgehenden sozialen I Ausgestaltung unserer gesamten ^ebenSemrichtungcn. Das für die wirtschaftlichen Betriebe geprägte Schlagwort „Sozialisierung" der Bergwerke, Fabriken usw. blieb aber in seiner Anwendung nicht auf diese beschränkt, es wurde vielmehr auch u. a. die Forderung der Sozialisierung der Justiz und der Rechtspflege erhoben. Was hat man sich hierunter vorzu¬ stellen? Sozialisierung in dem landläufigen Sinne heißt: Überführung eines Betriebes aus der Privatwirtschaft in die Gemeinwirtschaft mit der Wirkung, daß

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/308
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/308>, abgerufen am 27.12.2024.