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Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr.

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Theater der Reichshauptstadt

Hilfsbuch a. a. O. S. 74/5 abgedruckt und von Herrn Professor Horten in Bonn
inhaltlich eingehend im Neuen Orient (1917 S. 293) behandelt:

Ich bin ein Bruder Bektaschi, von Gottessehnsucht trunken,
Ich bin des Frömmlers Feind, im Schau'n des Freundes tief versunken.
1.
Ich streifte jede Fessel ab von irdischem Begehren,
Ich bin ein schlichter Zecher nur, zufrieden im Entbehren.
3.
Im Weinhaus dieser Welt bin ich vom Streben frei geworden,
Uns lockt der Gott"Summe Trank, uns vom Bektaschi-Orden.
4.
Ja, unser ist der Rätselschatz und Nedschefs Stein der Weisen,
Mit offnen Augen wähn ich mich in fernen Sphärenkreisen.
6.
Der Weiße Falke bin ich, der Erleuchtung Himmelszeiehen,
Des heil'gen Vogels Nestgenoss', ein Derwisch ohnegleichen.
5.
Mein Jnn'res offenbar' ich Ihm, nicht kann es Zweifel geben
Für mich, der mannhaft seinem Freund zu opfern denkt sein Leben.
7.
Die Seele setz' ich, Hilmi, ein, um Allah zu erkennen.
In seinem Licht, dem Falter gleich, will ich mit Lust verbrennen!



Theater der Reichshauptstadt
Uarl Hermann Böhmer von

jie Mar Reinhardt, der seine Eigenart aus London bezogen hatte,
wurde der Maler in wachsendem Maße Herrscher der Bühnen.
Der französische Impressionismus hatte die Augen für neue Farbig-
keit geöffnet. Das Zeitalter der Mechanik ließ die junge Generation
alles Pathetische unvereinbar mit ihrem Fühlen empfinden. Der
Naturalismus und Individualismus drängten nach eigenem, gro߬
zügigem Ausdruck. Damals wurden Reinhardts temperamentvolle Aufführungen
freudig begrüßt.

Das Malerische wurde allmählich Selbstzweck. Die Dichtung und das
Wort erfuhren eine unerhörte Vernachlässigung. DaS Streben nach großer Auf¬
machung führte zum "Großen Schauspielhaus", das zum Berliner Mausoleum
Reinhardts und seiner Art werden sollte. Theater rann ohne Dichtung nicht
bestehen. Auch war Reinhardt nicht künstlerische Persönlichkeit genug, um sich
eine SchauiPielertruppe von einheitlichem Gepräge zu schaffen. Die Größen, die
er um sich sammelte, suchten zu möglichster Eigenart zu gelangen, wodurch ein
Slilwirrwarr entstand, an dem jede Ausführun g zugrunde gehen mußte.

Der leitende Gedanke bum Plan des Großen Schauspielhauses entsprang
einer erhofften Wirkung, die einmal ein Lehrer seinen Jungens klar machte, indem
er erst vom Pult aus, dann in der Klaffenmitte stehend vortrug. Im letzten
Fall ergab sich ein unmittelbareres, stärkeres Miterleben der Dichtung bei den
Schülern. Im Großen Schauspielhaus hat nun aber schon ein Zuschauer nach
wenigen Reihen einen Wall von Menschen zwischen sich und den Spielern, so daß


Theater der Reichshauptstadt

Hilfsbuch a. a. O. S. 74/5 abgedruckt und von Herrn Professor Horten in Bonn
inhaltlich eingehend im Neuen Orient (1917 S. 293) behandelt:

Ich bin ein Bruder Bektaschi, von Gottessehnsucht trunken,
Ich bin des Frömmlers Feind, im Schau'n des Freundes tief versunken.
1.
Ich streifte jede Fessel ab von irdischem Begehren,
Ich bin ein schlichter Zecher nur, zufrieden im Entbehren.
3.
Im Weinhaus dieser Welt bin ich vom Streben frei geworden,
Uns lockt der Gott«Summe Trank, uns vom Bektaschi-Orden.
4.
Ja, unser ist der Rätselschatz und Nedschefs Stein der Weisen,
Mit offnen Augen wähn ich mich in fernen Sphärenkreisen.
6.
Der Weiße Falke bin ich, der Erleuchtung Himmelszeiehen,
Des heil'gen Vogels Nestgenoss', ein Derwisch ohnegleichen.
5.
Mein Jnn'res offenbar' ich Ihm, nicht kann es Zweifel geben
Für mich, der mannhaft seinem Freund zu opfern denkt sein Leben.
7.
Die Seele setz' ich, Hilmi, ein, um Allah zu erkennen.
In seinem Licht, dem Falter gleich, will ich mit Lust verbrennen!



Theater der Reichshauptstadt
Uarl Hermann Böhmer von

jie Mar Reinhardt, der seine Eigenart aus London bezogen hatte,
wurde der Maler in wachsendem Maße Herrscher der Bühnen.
Der französische Impressionismus hatte die Augen für neue Farbig-
keit geöffnet. Das Zeitalter der Mechanik ließ die junge Generation
alles Pathetische unvereinbar mit ihrem Fühlen empfinden. Der
Naturalismus und Individualismus drängten nach eigenem, gro߬
zügigem Ausdruck. Damals wurden Reinhardts temperamentvolle Aufführungen
freudig begrüßt.

Das Malerische wurde allmählich Selbstzweck. Die Dichtung und das
Wort erfuhren eine unerhörte Vernachlässigung. DaS Streben nach großer Auf¬
machung führte zum „Großen Schauspielhaus", das zum Berliner Mausoleum
Reinhardts und seiner Art werden sollte. Theater rann ohne Dichtung nicht
bestehen. Auch war Reinhardt nicht künstlerische Persönlichkeit genug, um sich
eine SchauiPielertruppe von einheitlichem Gepräge zu schaffen. Die Größen, die
er um sich sammelte, suchten zu möglichster Eigenart zu gelangen, wodurch ein
Slilwirrwarr entstand, an dem jede Ausführun g zugrunde gehen mußte.

Der leitende Gedanke bum Plan des Großen Schauspielhauses entsprang
einer erhofften Wirkung, die einmal ein Lehrer seinen Jungens klar machte, indem
er erst vom Pult aus, dann in der Klaffenmitte stehend vortrug. Im letzten
Fall ergab sich ein unmittelbareres, stärkeres Miterleben der Dichtung bei den
Schülern. Im Großen Schauspielhaus hat nun aber schon ein Zuschauer nach
wenigen Reihen einen Wall von Menschen zwischen sich und den Spielern, so daß


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[0244] Theater der Reichshauptstadt Hilfsbuch a. a. O. S. 74/5 abgedruckt und von Herrn Professor Horten in Bonn inhaltlich eingehend im Neuen Orient (1917 S. 293) behandelt: Ich bin ein Bruder Bektaschi, von Gottessehnsucht trunken, Ich bin des Frömmlers Feind, im Schau'n des Freundes tief versunken. 1. Ich streifte jede Fessel ab von irdischem Begehren, Ich bin ein schlichter Zecher nur, zufrieden im Entbehren. 3. Im Weinhaus dieser Welt bin ich vom Streben frei geworden, Uns lockt der Gott«Summe Trank, uns vom Bektaschi-Orden. 4. Ja, unser ist der Rätselschatz und Nedschefs Stein der Weisen, Mit offnen Augen wähn ich mich in fernen Sphärenkreisen. 6. Der Weiße Falke bin ich, der Erleuchtung Himmelszeiehen, Des heil'gen Vogels Nestgenoss', ein Derwisch ohnegleichen. 5. Mein Jnn'res offenbar' ich Ihm, nicht kann es Zweifel geben Für mich, der mannhaft seinem Freund zu opfern denkt sein Leben. 7. Die Seele setz' ich, Hilmi, ein, um Allah zu erkennen. In seinem Licht, dem Falter gleich, will ich mit Lust verbrennen! Theater der Reichshauptstadt Uarl Hermann Böhmer von jie Mar Reinhardt, der seine Eigenart aus London bezogen hatte, wurde der Maler in wachsendem Maße Herrscher der Bühnen. Der französische Impressionismus hatte die Augen für neue Farbig- keit geöffnet. Das Zeitalter der Mechanik ließ die junge Generation alles Pathetische unvereinbar mit ihrem Fühlen empfinden. Der Naturalismus und Individualismus drängten nach eigenem, gro߬ zügigem Ausdruck. Damals wurden Reinhardts temperamentvolle Aufführungen freudig begrüßt. Das Malerische wurde allmählich Selbstzweck. Die Dichtung und das Wort erfuhren eine unerhörte Vernachlässigung. DaS Streben nach großer Auf¬ machung führte zum „Großen Schauspielhaus", das zum Berliner Mausoleum Reinhardts und seiner Art werden sollte. Theater rann ohne Dichtung nicht bestehen. Auch war Reinhardt nicht künstlerische Persönlichkeit genug, um sich eine SchauiPielertruppe von einheitlichem Gepräge zu schaffen. Die Größen, die er um sich sammelte, suchten zu möglichster Eigenart zu gelangen, wodurch ein Slilwirrwarr entstand, an dem jede Ausführun g zugrunde gehen mußte. Der leitende Gedanke bum Plan des Großen Schauspielhauses entsprang einer erhofften Wirkung, die einmal ein Lehrer seinen Jungens klar machte, indem er erst vom Pult aus, dann in der Klaffenmitte stehend vortrug. Im letzten Fall ergab sich ein unmittelbareres, stärkeres Miterleben der Dichtung bei den Schülern. Im Großen Schauspielhaus hat nun aber schon ein Zuschauer nach wenigen Reihen einen Wall von Menschen zwischen sich und den Spielern, so daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 80, 1921, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341913_338432/244>, abgerufen am 27.06.2024.