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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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Drinnen und draußen

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vermeiden, irgend einen Stoff aus der
deutschen Geschichte zu bringen -- oder wenn
es sich um einen solchen wirklich einmal
handelt, wie im König Jerome -- dann wird
eines der traurigsten Kapitel der deutschen
Vergangenheit angeschnitten. Gewiß gibt es
noch Ausnahmen, aber wer einigermaßen
aufmerksam die Entwicklung des deutschen
Films in den letzten Monaten verfolgt hat,
wird feststellen müssen, daß die Tendenz
unzweifelhaft dahin geht, sich immer mehr
von allein deutschen Stoss zu entfernen.

Die Stätten, an denen die Filme auf¬
genommen werden, z, B. das Gebiet der "Asa"
bei Tempelhof, sind Plätze intensivster Arbeit
und hohen Könnens, Eine Welt für sich ist
dort entstanden. Aber: man baut eine ganze
orientalische Stadt auf. In "waschecht nach¬
gebildeten Tudorstil" wird die rechte Szenerie
des ,,meri')- viel HiiAisnct" mit dem Inneren
der Westminster-Abtei und naturgetreuen
Straßen und Gassen Alt-Englands entworfen!
Aus' gewissenhaften Studien und freier
Architcktenphantasic steigen imposante Bilder,
archaische Bauten aus hellenischer Urzeit auf!
Dazu gehört ein gut Stück technischer und
künstlerischer Reife, um solche Probleme be¬
friedigend lösen zu können.

Ist es denn aber nötig, wirklich so weit
zu gehen und in allen Erdteilen und bei allen
Nationen Anleihen zu machen? bietet nicht
die, deutsche Geschichte Stoff genug und sind
Deutschlands Berge, Städte und Wälder nicht
ausreichend, um einen deutschen historischen
Filu schassen zu können? ES bleibt auf
anderen Gebieten immer noch Platz genug,
um Verbindung mit der Welt aufrechtzuerhalten
und aus andere Weise dem Volke Kenntnis
über cmßerdeutschc Verhältnisse -- der Historie
und der Gegenwart -- zu geben! Wir brauchen
deshalb nicht im einseitigen Dünkel uns ab¬
zuschließen.

Aber wir haben heute so bitter nötig, unser
Ansehen als Volk in der Welt wieder her¬
zustellen. Mittel dazu sind uns herzlich wenig
in die Hand gegeben. Eines der wirksamsten
ist aber ohne Zweifel im Filu gelegen. Wir
haben ja im Krieg am eigenen Leibe verspürt,
zu welch einem gefährlichen Kampfmittel er
in geschickter Hand werden kann. Die Entente
hat sich seiner im Kriege und schon vorher

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meisterhaft zum Schaden Deutschlands bedient.
DerdcutscheFilin kann heute mit daran arbeiten,
unseren guten Ruf wieder herzustellen, oder
wenigstens im lebenden Bild beweisen, daß
Deutschland keineswegs das Volt der Hunnen
und Barbaren ist; daß seine Geschichte und
seine Landschaft mit allen fremden Ländern
einen Vergleich aushalten kann. Nie und
nimmer ist aber der jetzt beschrittene Weg der
richtige. Mit Anleihen aus fremder Ver¬
gangenheit, mit Bildern für historische Dar¬
stellungen -- wenn auch nur nachgeahmten --
aus fremden Ländern, die dann als deutsches
Erzeugnis hinausgehen, kann man wohl
Zeugnis ablegen von technischem und künstle¬
rischem Augenblickskönnen, nicht jedoch von
einer ruhmreichen, eigenartigen und bewunde-
rungswürdigen Vergangenheit und Geschichte.

R.
Die Tagung der Kantgesellschaft in Halle.

Ein Philosophenkongreß in unserer unruhigen
und gar nicht Philosophisch aufgelegten Zeit:
das will etwas heißen. Der ebenfalls für
die Pfingstwoche in Halle anberaumte Neu¬
philologentag ward auf denHerbst verschoben;
die Kantgesellschaft hielt durch -- allerdings
mit Zusammenziehung der geplanten vier
Tage auf zwei.

Der eigentlichen Tagung ging die soge¬
nannte Als Ob-Konferenz voraus: Freunde
der "Philosophie des Als Ob" hatten be¬
sondere Einladungen ergehen lassen, um
über ihre Probleme zu verhandeln. "Nicht
um sich huldigen zu lassen, sondern um zu
lernen", war Professor Baihinger, der greise
Schöpfer des Fiktionalismus, wie man diese
Richtung auch nennt, selbst erschienen und
eröffnete die Konferenz. Im Mittelpunkte
des Interesses stand die philosophische Er¬
örterung der Relativitätstheorie. Über ihr
waltete ein Unstern: Einstein selbst, der
sein Erscheinen zugesagt hatte, sowie der
Referent des Themas waren verhindert, so
daß nur der Korreferent und die Diskussion
blieb. Es war Professor Kraus von der
Prager deutschen Universität. Er sprach aus¬
gezeichnet über "Fiktion und Hypothese in
der Einsteinschen Relativitätstheorie". Die
vielberufene und zum Stein des Anstoßes
gewordene "Relativität der Gleichzeitigkeit"

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Drinnen und draußen

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vermeiden, irgend einen Stoff aus der
deutschen Geschichte zu bringen — oder wenn
es sich um einen solchen wirklich einmal
handelt, wie im König Jerome — dann wird
eines der traurigsten Kapitel der deutschen
Vergangenheit angeschnitten. Gewiß gibt es
noch Ausnahmen, aber wer einigermaßen
aufmerksam die Entwicklung des deutschen
Films in den letzten Monaten verfolgt hat,
wird feststellen müssen, daß die Tendenz
unzweifelhaft dahin geht, sich immer mehr
von allein deutschen Stoss zu entfernen.

Die Stätten, an denen die Filme auf¬
genommen werden, z, B. das Gebiet der „Asa"
bei Tempelhof, sind Plätze intensivster Arbeit
und hohen Könnens, Eine Welt für sich ist
dort entstanden. Aber: man baut eine ganze
orientalische Stadt auf. In „waschecht nach¬
gebildeten Tudorstil" wird die rechte Szenerie
des ,,meri')- viel HiiAisnct" mit dem Inneren
der Westminster-Abtei und naturgetreuen
Straßen und Gassen Alt-Englands entworfen!
Aus' gewissenhaften Studien und freier
Architcktenphantasic steigen imposante Bilder,
archaische Bauten aus hellenischer Urzeit auf!
Dazu gehört ein gut Stück technischer und
künstlerischer Reife, um solche Probleme be¬
friedigend lösen zu können.

Ist es denn aber nötig, wirklich so weit
zu gehen und in allen Erdteilen und bei allen
Nationen Anleihen zu machen? bietet nicht
die, deutsche Geschichte Stoff genug und sind
Deutschlands Berge, Städte und Wälder nicht
ausreichend, um einen deutschen historischen
Filu schassen zu können? ES bleibt auf
anderen Gebieten immer noch Platz genug,
um Verbindung mit der Welt aufrechtzuerhalten
und aus andere Weise dem Volke Kenntnis
über cmßerdeutschc Verhältnisse — der Historie
und der Gegenwart — zu geben! Wir brauchen
deshalb nicht im einseitigen Dünkel uns ab¬
zuschließen.

Aber wir haben heute so bitter nötig, unser
Ansehen als Volk in der Welt wieder her¬
zustellen. Mittel dazu sind uns herzlich wenig
in die Hand gegeben. Eines der wirksamsten
ist aber ohne Zweifel im Filu gelegen. Wir
haben ja im Krieg am eigenen Leibe verspürt,
zu welch einem gefährlichen Kampfmittel er
in geschickter Hand werden kann. Die Entente
hat sich seiner im Kriege und schon vorher

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meisterhaft zum Schaden Deutschlands bedient.
DerdcutscheFilin kann heute mit daran arbeiten,
unseren guten Ruf wieder herzustellen, oder
wenigstens im lebenden Bild beweisen, daß
Deutschland keineswegs das Volt der Hunnen
und Barbaren ist; daß seine Geschichte und
seine Landschaft mit allen fremden Ländern
einen Vergleich aushalten kann. Nie und
nimmer ist aber der jetzt beschrittene Weg der
richtige. Mit Anleihen aus fremder Ver¬
gangenheit, mit Bildern für historische Dar¬
stellungen — wenn auch nur nachgeahmten —
aus fremden Ländern, die dann als deutsches
Erzeugnis hinausgehen, kann man wohl
Zeugnis ablegen von technischem und künstle¬
rischem Augenblickskönnen, nicht jedoch von
einer ruhmreichen, eigenartigen und bewunde-
rungswürdigen Vergangenheit und Geschichte.

R.
Die Tagung der Kantgesellschaft in Halle.

Ein Philosophenkongreß in unserer unruhigen
und gar nicht Philosophisch aufgelegten Zeit:
das will etwas heißen. Der ebenfalls für
die Pfingstwoche in Halle anberaumte Neu¬
philologentag ward auf denHerbst verschoben;
die Kantgesellschaft hielt durch — allerdings
mit Zusammenziehung der geplanten vier
Tage auf zwei.

Der eigentlichen Tagung ging die soge¬
nannte Als Ob-Konferenz voraus: Freunde
der „Philosophie des Als Ob" hatten be¬
sondere Einladungen ergehen lassen, um
über ihre Probleme zu verhandeln. „Nicht
um sich huldigen zu lassen, sondern um zu
lernen", war Professor Baihinger, der greise
Schöpfer des Fiktionalismus, wie man diese
Richtung auch nennt, selbst erschienen und
eröffnete die Konferenz. Im Mittelpunkte
des Interesses stand die philosophische Er¬
örterung der Relativitätstheorie. Über ihr
waltete ein Unstern: Einstein selbst, der
sein Erscheinen zugesagt hatte, sowie der
Referent des Themas waren verhindert, so
daß nur der Korreferent und die Diskussion
blieb. Es war Professor Kraus von der
Prager deutschen Universität. Er sprach aus¬
gezeichnet über „Fiktion und Hypothese in
der Einsteinschen Relativitätstheorie". Die
vielberufene und zum Stein des Anstoßes
gewordene „Relativität der Gleichzeitigkeit"

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[0085] Drinnen und draußen vermeiden, irgend einen Stoff aus der deutschen Geschichte zu bringen — oder wenn es sich um einen solchen wirklich einmal handelt, wie im König Jerome — dann wird eines der traurigsten Kapitel der deutschen Vergangenheit angeschnitten. Gewiß gibt es noch Ausnahmen, aber wer einigermaßen aufmerksam die Entwicklung des deutschen Films in den letzten Monaten verfolgt hat, wird feststellen müssen, daß die Tendenz unzweifelhaft dahin geht, sich immer mehr von allein deutschen Stoss zu entfernen. Die Stätten, an denen die Filme auf¬ genommen werden, z, B. das Gebiet der „Asa" bei Tempelhof, sind Plätze intensivster Arbeit und hohen Könnens, Eine Welt für sich ist dort entstanden. Aber: man baut eine ganze orientalische Stadt auf. In „waschecht nach¬ gebildeten Tudorstil" wird die rechte Szenerie des ,,meri')- viel HiiAisnct" mit dem Inneren der Westminster-Abtei und naturgetreuen Straßen und Gassen Alt-Englands entworfen! Aus' gewissenhaften Studien und freier Architcktenphantasic steigen imposante Bilder, archaische Bauten aus hellenischer Urzeit auf! Dazu gehört ein gut Stück technischer und künstlerischer Reife, um solche Probleme be¬ friedigend lösen zu können. Ist es denn aber nötig, wirklich so weit zu gehen und in allen Erdteilen und bei allen Nationen Anleihen zu machen? bietet nicht die, deutsche Geschichte Stoff genug und sind Deutschlands Berge, Städte und Wälder nicht ausreichend, um einen deutschen historischen Filu schassen zu können? ES bleibt auf anderen Gebieten immer noch Platz genug, um Verbindung mit der Welt aufrechtzuerhalten und aus andere Weise dem Volke Kenntnis über cmßerdeutschc Verhältnisse — der Historie und der Gegenwart — zu geben! Wir brauchen deshalb nicht im einseitigen Dünkel uns ab¬ zuschließen. Aber wir haben heute so bitter nötig, unser Ansehen als Volk in der Welt wieder her¬ zustellen. Mittel dazu sind uns herzlich wenig in die Hand gegeben. Eines der wirksamsten ist aber ohne Zweifel im Filu gelegen. Wir haben ja im Krieg am eigenen Leibe verspürt, zu welch einem gefährlichen Kampfmittel er in geschickter Hand werden kann. Die Entente hat sich seiner im Kriege und schon vorher meisterhaft zum Schaden Deutschlands bedient. DerdcutscheFilin kann heute mit daran arbeiten, unseren guten Ruf wieder herzustellen, oder wenigstens im lebenden Bild beweisen, daß Deutschland keineswegs das Volt der Hunnen und Barbaren ist; daß seine Geschichte und seine Landschaft mit allen fremden Ländern einen Vergleich aushalten kann. Nie und nimmer ist aber der jetzt beschrittene Weg der richtige. Mit Anleihen aus fremder Ver¬ gangenheit, mit Bildern für historische Dar¬ stellungen — wenn auch nur nachgeahmten — aus fremden Ländern, die dann als deutsches Erzeugnis hinausgehen, kann man wohl Zeugnis ablegen von technischem und künstle¬ rischem Augenblickskönnen, nicht jedoch von einer ruhmreichen, eigenartigen und bewunde- rungswürdigen Vergangenheit und Geschichte. R. Die Tagung der Kantgesellschaft in Halle. Ein Philosophenkongreß in unserer unruhigen und gar nicht Philosophisch aufgelegten Zeit: das will etwas heißen. Der ebenfalls für die Pfingstwoche in Halle anberaumte Neu¬ philologentag ward auf denHerbst verschoben; die Kantgesellschaft hielt durch — allerdings mit Zusammenziehung der geplanten vier Tage auf zwei. Der eigentlichen Tagung ging die soge¬ nannte Als Ob-Konferenz voraus: Freunde der „Philosophie des Als Ob" hatten be¬ sondere Einladungen ergehen lassen, um über ihre Probleme zu verhandeln. „Nicht um sich huldigen zu lassen, sondern um zu lernen", war Professor Baihinger, der greise Schöpfer des Fiktionalismus, wie man diese Richtung auch nennt, selbst erschienen und eröffnete die Konferenz. Im Mittelpunkte des Interesses stand die philosophische Er¬ örterung der Relativitätstheorie. Über ihr waltete ein Unstern: Einstein selbst, der sein Erscheinen zugesagt hatte, sowie der Referent des Themas waren verhindert, so daß nur der Korreferent und die Diskussion blieb. Es war Professor Kraus von der Prager deutschen Universität. Er sprach aus¬ gezeichnet über „Fiktion und Hypothese in der Einsteinschen Relativitätstheorie". Die vielberufene und zum Stein des Anstoßes gewordene „Relativität der Gleichzeitigkeit"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/85>, abgerufen am 29.06.2024.