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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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Über die Grientierung der deutschen Außenpolitik

Feige stirbt weg an sich selbst. Es wird nicht mehr Hemmung sein, wenn der
waffenlose Krieg beginnt.

sooft Franzosen in Europa dominieren, wird des Durcheinanders kein
Ende, und am Engländer sterben die Völker, die sich ihm geistig unterwerfen. Ruinen
und Leichen! Aber wir schreiten durch diese zerstörte Welt weiter und aufwärts,
weil Deutschland, das noch nie Fremdherrschaft länger als ein paar Jahre ertrug,
auch diesmal im Begriff ist, vom erbarmungslosen Feind zu lernen, und duldend
priscus. zu fühlen, daß seine Grenzen, seine Rechte heilig sind.




Über die Grientierung der deutschen Außenpolitik
Graf Bernstorff, eben. Deutschem Botschafter in Washington von

Nachdem in Heft 31/32 der Grenzboten Großadmiral v. Tirpitz
sein außenpolitisches Glaubensbekenntnis entwickelt hat, geben wir
heute einem führenden Vertreter der entgegengesetzten Weltanschauung
das Wort. Vielleicht ist Deutschland in eine Geschichtsperiode ein¬
getreten, in welcher außenpolitisch verschiedene Richtungen nebeneinander
bestehen werden, so wie z. B. England seine franko-russo-germanophilen
Politiker nebeneinander verwandte, oder wie der Große Kurfürst, um
zwischen den Mächten hochzukommen, verschiedener und abwechselnder
Orientierungen bedürfte. Es kommt dabei nur auf die innere Ge¬
schlossenhüt des Nationalwillens bei wechselnden Methoden an. Dies
vorausgeschickt, verzichten wir, im einzelnen zu den nachfolgenden Aus¬
D. R. führungen Stellung zu nehmen.

ter wie ich in einem heftigen, durch persönliche Angriffe gewürzten
Wahlkampfe von seinen Gegnern als "Reisender für den Völker¬
bund" bezeichnet worden ist, braucht vielleicht nicht mehr zu erklären,
daß er es für verfrüht halten würde, wenn wir schon heute eine
Entscheidung über die Orientierung der deutschen auswärtigen
Politik treffen wollten. Zunächst müssen wir uns auf den Völkerbund einstellen
und abwarten, ob einer unserer bisherigen Feinde uns die Hand zu einer poli¬
tischen Annäherung bietet. Die Leiden der Welt sind so groß, daß sie nur auf
internationalem Wege und durch internationale Mittel geheilt werden können.
Einzelne Staaten erscheinen machtlos der heutigen Weltkatastrophe gegenüber. Es
ist die höchste Zeit, daß ein führender Staatsmann alle Nationen zum gemein¬
samen wirtschaftlichen Aufbau aufruft und dadurch einem wahren, reformierten
Völkerbunde das Leben gibt. Die Orientierung unserer Politik in der Richtung
auf den notwendig zu erstrebenden wahren Völkerbund schließt indessen nicht aus,
daß mir theoretisch die Möglichkeit und den Wert der verschiedenen anderen
Orientierungen erörtern.

Mit besonderem Nachdruck wird seitens der Bohnischen Zeitung eine bestimmte
Orientierung unserer auswärtigen Politik verlangt, und zwar nach Frankreich hin.
Dabei wird behauptet, daß eine Verständigung mit Frankreich schon in Versailles


17-
Über die Grientierung der deutschen Außenpolitik

Feige stirbt weg an sich selbst. Es wird nicht mehr Hemmung sein, wenn der
waffenlose Krieg beginnt.

sooft Franzosen in Europa dominieren, wird des Durcheinanders kein
Ende, und am Engländer sterben die Völker, die sich ihm geistig unterwerfen. Ruinen
und Leichen! Aber wir schreiten durch diese zerstörte Welt weiter und aufwärts,
weil Deutschland, das noch nie Fremdherrschaft länger als ein paar Jahre ertrug,
auch diesmal im Begriff ist, vom erbarmungslosen Feind zu lernen, und duldend
priscus. zu fühlen, daß seine Grenzen, seine Rechte heilig sind.




Über die Grientierung der deutschen Außenpolitik
Graf Bernstorff, eben. Deutschem Botschafter in Washington von

Nachdem in Heft 31/32 der Grenzboten Großadmiral v. Tirpitz
sein außenpolitisches Glaubensbekenntnis entwickelt hat, geben wir
heute einem führenden Vertreter der entgegengesetzten Weltanschauung
das Wort. Vielleicht ist Deutschland in eine Geschichtsperiode ein¬
getreten, in welcher außenpolitisch verschiedene Richtungen nebeneinander
bestehen werden, so wie z. B. England seine franko-russo-germanophilen
Politiker nebeneinander verwandte, oder wie der Große Kurfürst, um
zwischen den Mächten hochzukommen, verschiedener und abwechselnder
Orientierungen bedürfte. Es kommt dabei nur auf die innere Ge¬
schlossenhüt des Nationalwillens bei wechselnden Methoden an. Dies
vorausgeschickt, verzichten wir, im einzelnen zu den nachfolgenden Aus¬
D. R. führungen Stellung zu nehmen.

ter wie ich in einem heftigen, durch persönliche Angriffe gewürzten
Wahlkampfe von seinen Gegnern als „Reisender für den Völker¬
bund" bezeichnet worden ist, braucht vielleicht nicht mehr zu erklären,
daß er es für verfrüht halten würde, wenn wir schon heute eine
Entscheidung über die Orientierung der deutschen auswärtigen
Politik treffen wollten. Zunächst müssen wir uns auf den Völkerbund einstellen
und abwarten, ob einer unserer bisherigen Feinde uns die Hand zu einer poli¬
tischen Annäherung bietet. Die Leiden der Welt sind so groß, daß sie nur auf
internationalem Wege und durch internationale Mittel geheilt werden können.
Einzelne Staaten erscheinen machtlos der heutigen Weltkatastrophe gegenüber. Es
ist die höchste Zeit, daß ein führender Staatsmann alle Nationen zum gemein¬
samen wirtschaftlichen Aufbau aufruft und dadurch einem wahren, reformierten
Völkerbunde das Leben gibt. Die Orientierung unserer Politik in der Richtung
auf den notwendig zu erstrebenden wahren Völkerbund schließt indessen nicht aus,
daß mir theoretisch die Möglichkeit und den Wert der verschiedenen anderen
Orientierungen erörtern.

Mit besonderem Nachdruck wird seitens der Bohnischen Zeitung eine bestimmte
Orientierung unserer auswärtigen Politik verlangt, und zwar nach Frankreich hin.
Dabei wird behauptet, daß eine Verständigung mit Frankreich schon in Versailles


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[0263] Über die Grientierung der deutschen Außenpolitik Feige stirbt weg an sich selbst. Es wird nicht mehr Hemmung sein, wenn der waffenlose Krieg beginnt. sooft Franzosen in Europa dominieren, wird des Durcheinanders kein Ende, und am Engländer sterben die Völker, die sich ihm geistig unterwerfen. Ruinen und Leichen! Aber wir schreiten durch diese zerstörte Welt weiter und aufwärts, weil Deutschland, das noch nie Fremdherrschaft länger als ein paar Jahre ertrug, auch diesmal im Begriff ist, vom erbarmungslosen Feind zu lernen, und duldend priscus. zu fühlen, daß seine Grenzen, seine Rechte heilig sind. Über die Grientierung der deutschen Außenpolitik Graf Bernstorff, eben. Deutschem Botschafter in Washington von Nachdem in Heft 31/32 der Grenzboten Großadmiral v. Tirpitz sein außenpolitisches Glaubensbekenntnis entwickelt hat, geben wir heute einem führenden Vertreter der entgegengesetzten Weltanschauung das Wort. Vielleicht ist Deutschland in eine Geschichtsperiode ein¬ getreten, in welcher außenpolitisch verschiedene Richtungen nebeneinander bestehen werden, so wie z. B. England seine franko-russo-germanophilen Politiker nebeneinander verwandte, oder wie der Große Kurfürst, um zwischen den Mächten hochzukommen, verschiedener und abwechselnder Orientierungen bedürfte. Es kommt dabei nur auf die innere Ge¬ schlossenhüt des Nationalwillens bei wechselnden Methoden an. Dies vorausgeschickt, verzichten wir, im einzelnen zu den nachfolgenden Aus¬ D. R. führungen Stellung zu nehmen. ter wie ich in einem heftigen, durch persönliche Angriffe gewürzten Wahlkampfe von seinen Gegnern als „Reisender für den Völker¬ bund" bezeichnet worden ist, braucht vielleicht nicht mehr zu erklären, daß er es für verfrüht halten würde, wenn wir schon heute eine Entscheidung über die Orientierung der deutschen auswärtigen Politik treffen wollten. Zunächst müssen wir uns auf den Völkerbund einstellen und abwarten, ob einer unserer bisherigen Feinde uns die Hand zu einer poli¬ tischen Annäherung bietet. Die Leiden der Welt sind so groß, daß sie nur auf internationalem Wege und durch internationale Mittel geheilt werden können. Einzelne Staaten erscheinen machtlos der heutigen Weltkatastrophe gegenüber. Es ist die höchste Zeit, daß ein führender Staatsmann alle Nationen zum gemein¬ samen wirtschaftlichen Aufbau aufruft und dadurch einem wahren, reformierten Völkerbunde das Leben gibt. Die Orientierung unserer Politik in der Richtung auf den notwendig zu erstrebenden wahren Völkerbund schließt indessen nicht aus, daß mir theoretisch die Möglichkeit und den Wert der verschiedenen anderen Orientierungen erörtern. Mit besonderem Nachdruck wird seitens der Bohnischen Zeitung eine bestimmte Orientierung unserer auswärtigen Politik verlangt, und zwar nach Frankreich hin. Dabei wird behauptet, daß eine Verständigung mit Frankreich schon in Versailles 17-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/263>, abgerufen am 29.06.2024.