Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Canossagang der deutschen Sozialdemokratie

Der Canossagang der deutschen Sozialdemokratie
Ein Epilog
Dr. Friedrich Thinae von

Die nachfolgenden, wertvollen Tatsachenzusammenstellungen des be¬
kannten Historikers glauben wir unsern Lesern nicht vorenthalten zu
dürfen, wiewohl wir uns seiner Beurteilung dieser Tatsachen nicht durch¬
D. Red. weg anschließen können.

Z"^
:K
WMiMlarallel dem im Friedensverträge von Versailles gekrönten Streben
der gesamten Entente, dem unterlegenen deutschen Volk ein Be¬
kenntnis seiner Kriegsschuld abzupressen: ein Bekenntnis, das zur
moralischen Rechtfertigung der diesem Volke auferlegten un¬
menschlichen Opfer und Lasten dienen sollte und dient, geht
das Streben des Ententesozialismus, auch der Sozialdemokratie ein Schuld¬
bekenntnis abzunötigen. Und zwar gleich ein doppeltes Schuldbekenntnis, ein
allgemeines deutsches, das die Verantwortlichkeit für den Krieg Deutschland zu¬
weist und ein spezielles sozialdemokratisches Schuldbekenntnis, das eine Mitschuld
der "kaiserlichen" Sozialdemokratie an dem Ausbruch und der Führung des Krieges
konstruiert. Die Gründe für das Verlangen des Ententesozialismus, innerhalb
dessen sich die Franzosen und Belgier durch besonders hartnäckiges Festhalten an
der doppelten Forderung hervortun, während die englischen Sozialisten der Schuld¬
frage ein geringeres Interesse entgegenbringen, sind durchsichtig genug: dem
deutschen Sozialismus, dem Sozialismus überhaupt sollte die Möglichkeit unter¬
bunden werden, um den den Mittelmächten auferlegten Gewaltfrieden, der doch
vor allem ein Verbrechen gegen die dem Sozialismus immanenten Grundsätze der
Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit vorstellt, zu bekämpfen. Wenn durch ein
Bekenntnis der deutschen Sozialdemokratie festgelegt ist, daß das deutsche Volk
den jahrelangen Krieg und damit auch die ganze Härte des Friedens¬
vertrages selbst verschuldet hat, und daß die deutsche Sozialdemokratie
daran mitschuldig ist, so ist jedes deutsche Streben nach einer Revision
des Friedensvertrages von vornherein lahmgelegt, einer Unterstützung dieses
Strebens durch den geeinigten Sozialismus, welchen die Entente wie nichts
anderes fürchtet, die Stoßkraft genommen. Indem also der französische und
belgische Sozialismus die deutsche Sozialdemokratie fortgesetzt zur Ablegung jenes
doppelten Schuldbekenntnisses drängte, besorgte er nur die Geschäfte des blut¬
rünstigen und rachedurstigen französischen und belgischen Chauvinismus. Natürlich
ist der Ententesozialismus klug genug, um seine Interessengemeinschaft mit dem
Chauvinismus und -- Kapitalismus jener Länder hinter der heuchlerischen Phrase
zu verstecken, daß erst ein volles Schuldbekenntnis der deutschen Sozialdemokratie
die Atmosphäre reinigen, die Wiederaufnahme der deutschen Sozialisten in die
verstorbene und begrabene Internationale rechtfertigen und ein gemeinsames Vor¬
gehen des neugeeinigten Sozialismus im Sinne der Völkerversöhnung ermöglichen
könne. Auf eine solche Argumentation konnte aber -nur der verstiegene ideologische
Doktrinarismus der Unabhängigen Sozialdemokratie hereinfallen. Diese hat sich
in der Tat das Geschrei des Ententesozialismus nach dem doppelten Schuld¬
bekenntnis der deutschen Sozialdemokratie von vornherein zu eigen gemacht, ja


Der Canossagang der deutschen Sozialdemokratie

Der Canossagang der deutschen Sozialdemokratie
Ein Epilog
Dr. Friedrich Thinae von

Die nachfolgenden, wertvollen Tatsachenzusammenstellungen des be¬
kannten Historikers glauben wir unsern Lesern nicht vorenthalten zu
dürfen, wiewohl wir uns seiner Beurteilung dieser Tatsachen nicht durch¬
D. Red. weg anschließen können.

Z«^
:K
WMiMlarallel dem im Friedensverträge von Versailles gekrönten Streben
der gesamten Entente, dem unterlegenen deutschen Volk ein Be¬
kenntnis seiner Kriegsschuld abzupressen: ein Bekenntnis, das zur
moralischen Rechtfertigung der diesem Volke auferlegten un¬
menschlichen Opfer und Lasten dienen sollte und dient, geht
das Streben des Ententesozialismus, auch der Sozialdemokratie ein Schuld¬
bekenntnis abzunötigen. Und zwar gleich ein doppeltes Schuldbekenntnis, ein
allgemeines deutsches, das die Verantwortlichkeit für den Krieg Deutschland zu¬
weist und ein spezielles sozialdemokratisches Schuldbekenntnis, das eine Mitschuld
der „kaiserlichen" Sozialdemokratie an dem Ausbruch und der Führung des Krieges
konstruiert. Die Gründe für das Verlangen des Ententesozialismus, innerhalb
dessen sich die Franzosen und Belgier durch besonders hartnäckiges Festhalten an
der doppelten Forderung hervortun, während die englischen Sozialisten der Schuld¬
frage ein geringeres Interesse entgegenbringen, sind durchsichtig genug: dem
deutschen Sozialismus, dem Sozialismus überhaupt sollte die Möglichkeit unter¬
bunden werden, um den den Mittelmächten auferlegten Gewaltfrieden, der doch
vor allem ein Verbrechen gegen die dem Sozialismus immanenten Grundsätze der
Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit vorstellt, zu bekämpfen. Wenn durch ein
Bekenntnis der deutschen Sozialdemokratie festgelegt ist, daß das deutsche Volk
den jahrelangen Krieg und damit auch die ganze Härte des Friedens¬
vertrages selbst verschuldet hat, und daß die deutsche Sozialdemokratie
daran mitschuldig ist, so ist jedes deutsche Streben nach einer Revision
des Friedensvertrages von vornherein lahmgelegt, einer Unterstützung dieses
Strebens durch den geeinigten Sozialismus, welchen die Entente wie nichts
anderes fürchtet, die Stoßkraft genommen. Indem also der französische und
belgische Sozialismus die deutsche Sozialdemokratie fortgesetzt zur Ablegung jenes
doppelten Schuldbekenntnisses drängte, besorgte er nur die Geschäfte des blut¬
rünstigen und rachedurstigen französischen und belgischen Chauvinismus. Natürlich
ist der Ententesozialismus klug genug, um seine Interessengemeinschaft mit dem
Chauvinismus und — Kapitalismus jener Länder hinter der heuchlerischen Phrase
zu verstecken, daß erst ein volles Schuldbekenntnis der deutschen Sozialdemokratie
die Atmosphäre reinigen, die Wiederaufnahme der deutschen Sozialisten in die
verstorbene und begrabene Internationale rechtfertigen und ein gemeinsames Vor¬
gehen des neugeeinigten Sozialismus im Sinne der Völkerversöhnung ermöglichen
könne. Auf eine solche Argumentation konnte aber -nur der verstiegene ideologische
Doktrinarismus der Unabhängigen Sozialdemokratie hereinfallen. Diese hat sich
in der Tat das Geschrei des Ententesozialismus nach dem doppelten Schuld¬
bekenntnis der deutschen Sozialdemokratie von vornherein zu eigen gemacht, ja


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0232" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/337873"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Canossagang der deutschen Sozialdemokratie</fw><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Der Canossagang der deutschen Sozialdemokratie<lb/>
Ein Epilog<lb/><note type="byline"> Dr. Friedrich Thinae</note> von </head><lb/>
          <note type="argument"> Die nachfolgenden, wertvollen Tatsachenzusammenstellungen des be¬<lb/>
kannten Historikers glauben wir unsern Lesern nicht vorenthalten zu<lb/>
dürfen, wiewohl wir uns seiner Beurteilung dieser Tatsachen nicht durch¬<lb/><note type="byline"> D. Red.</note> weg anschließen können. </note><lb/>
          <p xml:id="ID_825" next="#ID_826"> Z«^<lb/>
:K<lb/>
WMiMlarallel dem im Friedensverträge von Versailles gekrönten Streben<lb/>
der gesamten Entente, dem unterlegenen deutschen Volk ein Be¬<lb/>
kenntnis seiner Kriegsschuld abzupressen: ein Bekenntnis, das zur<lb/>
moralischen Rechtfertigung der diesem Volke auferlegten un¬<lb/>
menschlichen Opfer und Lasten dienen sollte und dient, geht<lb/>
das Streben des Ententesozialismus, auch der Sozialdemokratie ein Schuld¬<lb/>
bekenntnis abzunötigen. Und zwar gleich ein doppeltes Schuldbekenntnis, ein<lb/>
allgemeines deutsches, das die Verantwortlichkeit für den Krieg Deutschland zu¬<lb/>
weist und ein spezielles sozialdemokratisches Schuldbekenntnis, das eine Mitschuld<lb/>
der &#x201E;kaiserlichen" Sozialdemokratie an dem Ausbruch und der Führung des Krieges<lb/>
konstruiert. Die Gründe für das Verlangen des Ententesozialismus, innerhalb<lb/>
dessen sich die Franzosen und Belgier durch besonders hartnäckiges Festhalten an<lb/>
der doppelten Forderung hervortun, während die englischen Sozialisten der Schuld¬<lb/>
frage ein geringeres Interesse entgegenbringen, sind durchsichtig genug: dem<lb/>
deutschen Sozialismus, dem Sozialismus überhaupt sollte die Möglichkeit unter¬<lb/>
bunden werden, um den den Mittelmächten auferlegten Gewaltfrieden, der doch<lb/>
vor allem ein Verbrechen gegen die dem Sozialismus immanenten Grundsätze der<lb/>
Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit vorstellt, zu bekämpfen. Wenn durch ein<lb/>
Bekenntnis der deutschen Sozialdemokratie festgelegt ist, daß das deutsche Volk<lb/>
den jahrelangen Krieg und damit auch die ganze Härte des Friedens¬<lb/>
vertrages selbst verschuldet hat, und daß die deutsche Sozialdemokratie<lb/>
daran mitschuldig ist, so ist jedes deutsche Streben nach einer Revision<lb/>
des Friedensvertrages von vornherein lahmgelegt, einer Unterstützung dieses<lb/>
Strebens durch den geeinigten Sozialismus, welchen die Entente wie nichts<lb/>
anderes fürchtet, die Stoßkraft genommen. Indem also der französische und<lb/>
belgische Sozialismus die deutsche Sozialdemokratie fortgesetzt zur Ablegung jenes<lb/>
doppelten Schuldbekenntnisses drängte, besorgte er nur die Geschäfte des blut¬<lb/>
rünstigen und rachedurstigen französischen und belgischen Chauvinismus. Natürlich<lb/>
ist der Ententesozialismus klug genug, um seine Interessengemeinschaft mit dem<lb/>
Chauvinismus und &#x2014; Kapitalismus jener Länder hinter der heuchlerischen Phrase<lb/>
zu verstecken, daß erst ein volles Schuldbekenntnis der deutschen Sozialdemokratie<lb/>
die Atmosphäre reinigen, die Wiederaufnahme der deutschen Sozialisten in die<lb/>
verstorbene und begrabene Internationale rechtfertigen und ein gemeinsames Vor¬<lb/>
gehen des neugeeinigten Sozialismus im Sinne der Völkerversöhnung ermöglichen<lb/>
könne. Auf eine solche Argumentation konnte aber -nur der verstiegene ideologische<lb/>
Doktrinarismus der Unabhängigen Sozialdemokratie hereinfallen. Diese hat sich<lb/>
in der Tat das Geschrei des Ententesozialismus nach dem doppelten Schuld¬<lb/>
bekenntnis der deutschen Sozialdemokratie von vornherein zu eigen gemacht, ja</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0232] Der Canossagang der deutschen Sozialdemokratie Der Canossagang der deutschen Sozialdemokratie Ein Epilog Dr. Friedrich Thinae von Die nachfolgenden, wertvollen Tatsachenzusammenstellungen des be¬ kannten Historikers glauben wir unsern Lesern nicht vorenthalten zu dürfen, wiewohl wir uns seiner Beurteilung dieser Tatsachen nicht durch¬ D. Red. weg anschließen können. Z«^ :K WMiMlarallel dem im Friedensverträge von Versailles gekrönten Streben der gesamten Entente, dem unterlegenen deutschen Volk ein Be¬ kenntnis seiner Kriegsschuld abzupressen: ein Bekenntnis, das zur moralischen Rechtfertigung der diesem Volke auferlegten un¬ menschlichen Opfer und Lasten dienen sollte und dient, geht das Streben des Ententesozialismus, auch der Sozialdemokratie ein Schuld¬ bekenntnis abzunötigen. Und zwar gleich ein doppeltes Schuldbekenntnis, ein allgemeines deutsches, das die Verantwortlichkeit für den Krieg Deutschland zu¬ weist und ein spezielles sozialdemokratisches Schuldbekenntnis, das eine Mitschuld der „kaiserlichen" Sozialdemokratie an dem Ausbruch und der Führung des Krieges konstruiert. Die Gründe für das Verlangen des Ententesozialismus, innerhalb dessen sich die Franzosen und Belgier durch besonders hartnäckiges Festhalten an der doppelten Forderung hervortun, während die englischen Sozialisten der Schuld¬ frage ein geringeres Interesse entgegenbringen, sind durchsichtig genug: dem deutschen Sozialismus, dem Sozialismus überhaupt sollte die Möglichkeit unter¬ bunden werden, um den den Mittelmächten auferlegten Gewaltfrieden, der doch vor allem ein Verbrechen gegen die dem Sozialismus immanenten Grundsätze der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit vorstellt, zu bekämpfen. Wenn durch ein Bekenntnis der deutschen Sozialdemokratie festgelegt ist, daß das deutsche Volk den jahrelangen Krieg und damit auch die ganze Härte des Friedens¬ vertrages selbst verschuldet hat, und daß die deutsche Sozialdemokratie daran mitschuldig ist, so ist jedes deutsche Streben nach einer Revision des Friedensvertrages von vornherein lahmgelegt, einer Unterstützung dieses Strebens durch den geeinigten Sozialismus, welchen die Entente wie nichts anderes fürchtet, die Stoßkraft genommen. Indem also der französische und belgische Sozialismus die deutsche Sozialdemokratie fortgesetzt zur Ablegung jenes doppelten Schuldbekenntnisses drängte, besorgte er nur die Geschäfte des blut¬ rünstigen und rachedurstigen französischen und belgischen Chauvinismus. Natürlich ist der Ententesozialismus klug genug, um seine Interessengemeinschaft mit dem Chauvinismus und — Kapitalismus jener Länder hinter der heuchlerischen Phrase zu verstecken, daß erst ein volles Schuldbekenntnis der deutschen Sozialdemokratie die Atmosphäre reinigen, die Wiederaufnahme der deutschen Sozialisten in die verstorbene und begrabene Internationale rechtfertigen und ein gemeinsames Vor¬ gehen des neugeeinigten Sozialismus im Sinne der Völkerversöhnung ermöglichen könne. Auf eine solche Argumentation konnte aber -nur der verstiegene ideologische Doktrinarismus der Unabhängigen Sozialdemokratie hereinfallen. Diese hat sich in der Tat das Geschrei des Ententesozialismus nach dem doppelten Schuld¬ bekenntnis der deutschen Sozialdemokratie von vornherein zu eigen gemacht, ja

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/232
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/232>, abgerufen am 29.06.2024.