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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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Zur Psychologie des wirklichen und des scheinbaren Mufikverständnisses

Die pathetische Note des Beschlusses des französischen Senats habe das Ver¬
trauen der Verbündeten auf die Widerstandskraft Frankreichs neu belebt. Die
maßgebenden parlamentarischen Kreise von Paris hielten das Scheitern der
Aktion sowohl der Zentralmächte als der Neutralen für sicher, eine Wieder¬
aufnahme derartiger Demarchen vor militärischer Entscheidung 1917 nicht wohl
für möglich. Mein Freund hat sich hinsichtlich der Stellung Englands in ähnlichem
Sinne geäußert. Nach seinen Darlegungen fühle sich Lloyd George nicht hin¬
reichend sicher. Er könne ein Einlenken nicht riskieren, ehe England nicht zu der
von ihm in Aussicht gestellten äußersten Anstrengung ausgeholt habe. Die
englische Admiralität rechne zwar jetzt schon mit einer Verschärfung des deutschen
Unterseebootkrieges. Sie sei wegen seiner eventuellen Rückschläge auf den
Handel und die Lebensmittelzufuhr Englands, sowie auf die Sicherheit der
militärischen Transportwege nach Frankreich besorgt. England werde dieses
Risiko jedoch auf sich nehmen. Es werde auf dem Festlande um so größere An¬
strengungen machen und alle Kräfte einsetzen, um ein Gelingen der kombinierten
englisch-französischen Frühjahrsaktion 1917 zu sichern. Der letzte Erfolg Nivelles
vor Verdun habe in starkem Maße dazu beigetragen, die Zuversicht der Ver¬
bündeten auf den Erfolg der beabsichtigten Aktionen zu erhöhen.




Zur Psychologie des wirklichen und des scheinbaren
Mufikverständnisses
Dr. R. Hohenemser von

er ist musikalisch? Die Beantwortung dieser Frage hat schon
viel Kopfzerbrechen verursacht, und Billroth, der berühmte
Arzt und zugleich verständnisvolle Freund von I. Brahms und
Ed. Hanslick, hat ihr eine besondere psycho-physiologische Studie
gewidmet (Wer ist musikalisch, nachgelassene Schrift von
Theodor Billroth, herausgeg. von Ed. Hanslick, Berlin, 189S). Freilich sind,
w interessante Einzelheiten er auch bietet, seine Ergebnisse wenig befriedigend
und nicht scharf umrissen, und daran hätte sich vermutlich nichts geändert, auch
wenn er nicht angesichts des nahen Todes gezwungen gewesen wäre, einen Teil
seiner Gedanken nur zu skizzieren. Immerhin kann uns die Schrift zum
Anknüpfungspunkt unserer Betrachtungen dienen.

Mit vollstem Recht hebt Billroth hervor, daß, da die Musik, wie sie sich
in unserem Kulturkreis ausgebildet hat, aus verschiedenartigen Elementen
besteht, erst das Zusammentreffen der Veranlagung für diese verschiedenen
Elemente den musikalischen Menschen ausmacht, daß also die musikalische Be¬
gabung mehrere Teilbegabungen in sich schließt. Wem z. B. der Sinn selbst


Zur Psychologie des wirklichen und des scheinbaren Mufikverständnisses

Die pathetische Note des Beschlusses des französischen Senats habe das Ver¬
trauen der Verbündeten auf die Widerstandskraft Frankreichs neu belebt. Die
maßgebenden parlamentarischen Kreise von Paris hielten das Scheitern der
Aktion sowohl der Zentralmächte als der Neutralen für sicher, eine Wieder¬
aufnahme derartiger Demarchen vor militärischer Entscheidung 1917 nicht wohl
für möglich. Mein Freund hat sich hinsichtlich der Stellung Englands in ähnlichem
Sinne geäußert. Nach seinen Darlegungen fühle sich Lloyd George nicht hin¬
reichend sicher. Er könne ein Einlenken nicht riskieren, ehe England nicht zu der
von ihm in Aussicht gestellten äußersten Anstrengung ausgeholt habe. Die
englische Admiralität rechne zwar jetzt schon mit einer Verschärfung des deutschen
Unterseebootkrieges. Sie sei wegen seiner eventuellen Rückschläge auf den
Handel und die Lebensmittelzufuhr Englands, sowie auf die Sicherheit der
militärischen Transportwege nach Frankreich besorgt. England werde dieses
Risiko jedoch auf sich nehmen. Es werde auf dem Festlande um so größere An¬
strengungen machen und alle Kräfte einsetzen, um ein Gelingen der kombinierten
englisch-französischen Frühjahrsaktion 1917 zu sichern. Der letzte Erfolg Nivelles
vor Verdun habe in starkem Maße dazu beigetragen, die Zuversicht der Ver¬
bündeten auf den Erfolg der beabsichtigten Aktionen zu erhöhen.




Zur Psychologie des wirklichen und des scheinbaren
Mufikverständnisses
Dr. R. Hohenemser von

er ist musikalisch? Die Beantwortung dieser Frage hat schon
viel Kopfzerbrechen verursacht, und Billroth, der berühmte
Arzt und zugleich verständnisvolle Freund von I. Brahms und
Ed. Hanslick, hat ihr eine besondere psycho-physiologische Studie
gewidmet (Wer ist musikalisch, nachgelassene Schrift von
Theodor Billroth, herausgeg. von Ed. Hanslick, Berlin, 189S). Freilich sind,
w interessante Einzelheiten er auch bietet, seine Ergebnisse wenig befriedigend
und nicht scharf umrissen, und daran hätte sich vermutlich nichts geändert, auch
wenn er nicht angesichts des nahen Todes gezwungen gewesen wäre, einen Teil
seiner Gedanken nur zu skizzieren. Immerhin kann uns die Schrift zum
Anknüpfungspunkt unserer Betrachtungen dienen.

Mit vollstem Recht hebt Billroth hervor, daß, da die Musik, wie sie sich
in unserem Kulturkreis ausgebildet hat, aus verschiedenartigen Elementen
besteht, erst das Zusammentreffen der Veranlagung für diese verschiedenen
Elemente den musikalischen Menschen ausmacht, daß also die musikalische Be¬
gabung mehrere Teilbegabungen in sich schließt. Wem z. B. der Sinn selbst


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[0149] Zur Psychologie des wirklichen und des scheinbaren Mufikverständnisses Die pathetische Note des Beschlusses des französischen Senats habe das Ver¬ trauen der Verbündeten auf die Widerstandskraft Frankreichs neu belebt. Die maßgebenden parlamentarischen Kreise von Paris hielten das Scheitern der Aktion sowohl der Zentralmächte als der Neutralen für sicher, eine Wieder¬ aufnahme derartiger Demarchen vor militärischer Entscheidung 1917 nicht wohl für möglich. Mein Freund hat sich hinsichtlich der Stellung Englands in ähnlichem Sinne geäußert. Nach seinen Darlegungen fühle sich Lloyd George nicht hin¬ reichend sicher. Er könne ein Einlenken nicht riskieren, ehe England nicht zu der von ihm in Aussicht gestellten äußersten Anstrengung ausgeholt habe. Die englische Admiralität rechne zwar jetzt schon mit einer Verschärfung des deutschen Unterseebootkrieges. Sie sei wegen seiner eventuellen Rückschläge auf den Handel und die Lebensmittelzufuhr Englands, sowie auf die Sicherheit der militärischen Transportwege nach Frankreich besorgt. England werde dieses Risiko jedoch auf sich nehmen. Es werde auf dem Festlande um so größere An¬ strengungen machen und alle Kräfte einsetzen, um ein Gelingen der kombinierten englisch-französischen Frühjahrsaktion 1917 zu sichern. Der letzte Erfolg Nivelles vor Verdun habe in starkem Maße dazu beigetragen, die Zuversicht der Ver¬ bündeten auf den Erfolg der beabsichtigten Aktionen zu erhöhen. Zur Psychologie des wirklichen und des scheinbaren Mufikverständnisses Dr. R. Hohenemser von er ist musikalisch? Die Beantwortung dieser Frage hat schon viel Kopfzerbrechen verursacht, und Billroth, der berühmte Arzt und zugleich verständnisvolle Freund von I. Brahms und Ed. Hanslick, hat ihr eine besondere psycho-physiologische Studie gewidmet (Wer ist musikalisch, nachgelassene Schrift von Theodor Billroth, herausgeg. von Ed. Hanslick, Berlin, 189S). Freilich sind, w interessante Einzelheiten er auch bietet, seine Ergebnisse wenig befriedigend und nicht scharf umrissen, und daran hätte sich vermutlich nichts geändert, auch wenn er nicht angesichts des nahen Todes gezwungen gewesen wäre, einen Teil seiner Gedanken nur zu skizzieren. Immerhin kann uns die Schrift zum Anknüpfungspunkt unserer Betrachtungen dienen. Mit vollstem Recht hebt Billroth hervor, daß, da die Musik, wie sie sich in unserem Kulturkreis ausgebildet hat, aus verschiedenartigen Elementen besteht, erst das Zusammentreffen der Veranlagung für diese verschiedenen Elemente den musikalischen Menschen ausmacht, daß also die musikalische Be¬ gabung mehrere Teilbegabungen in sich schließt. Wem z. B. der Sinn selbst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/149>, abgerufen am 29.06.2024.