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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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Die deutsche Arbeiterbewegung in der Gegenwart

das Urteil, daß durch ihn den Tschechen nicht nur ihre Vormachtstellung, sondern
schrankenlose Herrschaft völkerrechtlich verbürgt wird. /

So sieht es einstweilen mit dem Minoritätenschutz aus: bei sechs von den ab¬
getretenen Gebieten fehlt jeder Schutz, in den beiden anderen ist er unzureichend.

Was folgt aus alledem?

Täuschen wir uns doch keinen Augenblick darüber: die Deutschen dieser acht
Gebiete sind vom Körper des Volkes und Reiches getrennt, weil man die einzelne
Rute leichter zerbrechen kann als das ganze Bündel.

Die Deutschen dieser abgesprengten Grenzlande sind alle bedroht und schwere
Kämpfe stehen ihnen bevor, meist haben sie schon begonnen.

Es liegt auf der Hand, wie sehr ihnen die Abwehr dadurch erschwert wird, daß
jede Gruppe isoliert ist und nur für sich arbeitet, wie sehr sie erleichtert werden würde,
falls sie nach einheitlichen Gesichtspunkten erfolgen könnte. Es müßte also eine
Stelle geschaffen werden, die von Berufs wegen alle Fragen zu bearbeiten hätte,
welche den Minoritätenschutz bei den Grenzdeutschen betreffen. Zu ihren Aus¬
gaben gehört es zunächst einmal, die reichsdeutsche Öffentlichkeit über alle Fälle, in
denen Grenzdeutsche vergewaltigt werden, zu informieren; die meisten Reichs¬
deutschen wissen noch nicht einmal, was auf dein Spiele steht, und stehen in sträf¬
licher Gleichgültigkeit beiseite.

Wie diese Stelle am besten zu schaffen sei, ob vom Staat aus oder --
vielleicht besser -- unabhängig vom Staat, braucht hier nicht erörtert zu werden.
Jetzt gilt es, die Notwendigkeit einer solchen Stelle anzuerkennen. Das weitere
wird sich finden.




Die deutsche Arbeiterbewegung in der Gegenwart
Paul Rüffer von

leit der Mitte des 19. Jahrhunderts -- veranlaßt durch den
Ibeginnenden Jndustrialisierungsprozeß -- entwickelte sich eine
"machtvoll einsetzende Arbeiterbewegung, die zunächst ihr Gepräge
"durch den Marxismus bekam. Karl Marx drückte dem werdenden
1 Proletariat drei scharf geschliffene Waffen in die Hand. Die
erste Waffe war die des Materialismus. Sie war dazu bestimmt, die Massen
aus der Atmosphäre der christlichen Weltanschauung zu lösen. Die zweite Waffe
war die des Klassenkampfes; sie hatte die Aufgabe, den rücksichtslosesten Kampf
für die Erringung der Diktatur des Proletariats zu führen. Die dritte Waffe
endlich war die der internationalen Gesinnung, die dazu bestimmt war, die
nationale Gesinnung zu bekämpfen und dem internationalen Geist die Bahn zu
brechen. Ferdinand Lassalle brachte zunächst mit Erfolg die antinationale Note
in der deutschen Arbeiterbewegung zur Geltung. Er steckte der deutschen Arbeiter¬
schaft ein internationales Ziel. Es war die Erringung des gleichen, geheimen
und direkten Wahlrechts; denn, heißt es in seinem berühmt gewordenen Ant¬
wortschreiben: "Das ist das Ziel, das ihr erringen müßt; ein anderes gibt
es nicht!" ' - ^


Die deutsche Arbeiterbewegung in der Gegenwart

das Urteil, daß durch ihn den Tschechen nicht nur ihre Vormachtstellung, sondern
schrankenlose Herrschaft völkerrechtlich verbürgt wird. /

So sieht es einstweilen mit dem Minoritätenschutz aus: bei sechs von den ab¬
getretenen Gebieten fehlt jeder Schutz, in den beiden anderen ist er unzureichend.

Was folgt aus alledem?

Täuschen wir uns doch keinen Augenblick darüber: die Deutschen dieser acht
Gebiete sind vom Körper des Volkes und Reiches getrennt, weil man die einzelne
Rute leichter zerbrechen kann als das ganze Bündel.

Die Deutschen dieser abgesprengten Grenzlande sind alle bedroht und schwere
Kämpfe stehen ihnen bevor, meist haben sie schon begonnen.

Es liegt auf der Hand, wie sehr ihnen die Abwehr dadurch erschwert wird, daß
jede Gruppe isoliert ist und nur für sich arbeitet, wie sehr sie erleichtert werden würde,
falls sie nach einheitlichen Gesichtspunkten erfolgen könnte. Es müßte also eine
Stelle geschaffen werden, die von Berufs wegen alle Fragen zu bearbeiten hätte,
welche den Minoritätenschutz bei den Grenzdeutschen betreffen. Zu ihren Aus¬
gaben gehört es zunächst einmal, die reichsdeutsche Öffentlichkeit über alle Fälle, in
denen Grenzdeutsche vergewaltigt werden, zu informieren; die meisten Reichs¬
deutschen wissen noch nicht einmal, was auf dein Spiele steht, und stehen in sträf¬
licher Gleichgültigkeit beiseite.

Wie diese Stelle am besten zu schaffen sei, ob vom Staat aus oder —
vielleicht besser — unabhängig vom Staat, braucht hier nicht erörtert zu werden.
Jetzt gilt es, die Notwendigkeit einer solchen Stelle anzuerkennen. Das weitere
wird sich finden.




Die deutsche Arbeiterbewegung in der Gegenwart
Paul Rüffer von

leit der Mitte des 19. Jahrhunderts — veranlaßt durch den
Ibeginnenden Jndustrialisierungsprozeß — entwickelte sich eine
»machtvoll einsetzende Arbeiterbewegung, die zunächst ihr Gepräge
»durch den Marxismus bekam. Karl Marx drückte dem werdenden
1 Proletariat drei scharf geschliffene Waffen in die Hand. Die
erste Waffe war die des Materialismus. Sie war dazu bestimmt, die Massen
aus der Atmosphäre der christlichen Weltanschauung zu lösen. Die zweite Waffe
war die des Klassenkampfes; sie hatte die Aufgabe, den rücksichtslosesten Kampf
für die Erringung der Diktatur des Proletariats zu führen. Die dritte Waffe
endlich war die der internationalen Gesinnung, die dazu bestimmt war, die
nationale Gesinnung zu bekämpfen und dem internationalen Geist die Bahn zu
brechen. Ferdinand Lassalle brachte zunächst mit Erfolg die antinationale Note
in der deutschen Arbeiterbewegung zur Geltung. Er steckte der deutschen Arbeiter¬
schaft ein internationales Ziel. Es war die Erringung des gleichen, geheimen
und direkten Wahlrechts; denn, heißt es in seinem berühmt gewordenen Ant¬
wortschreiben: „Das ist das Ziel, das ihr erringen müßt; ein anderes gibt
es nicht!" ' - ^


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[0142] Die deutsche Arbeiterbewegung in der Gegenwart das Urteil, daß durch ihn den Tschechen nicht nur ihre Vormachtstellung, sondern schrankenlose Herrschaft völkerrechtlich verbürgt wird. / So sieht es einstweilen mit dem Minoritätenschutz aus: bei sechs von den ab¬ getretenen Gebieten fehlt jeder Schutz, in den beiden anderen ist er unzureichend. Was folgt aus alledem? Täuschen wir uns doch keinen Augenblick darüber: die Deutschen dieser acht Gebiete sind vom Körper des Volkes und Reiches getrennt, weil man die einzelne Rute leichter zerbrechen kann als das ganze Bündel. Die Deutschen dieser abgesprengten Grenzlande sind alle bedroht und schwere Kämpfe stehen ihnen bevor, meist haben sie schon begonnen. Es liegt auf der Hand, wie sehr ihnen die Abwehr dadurch erschwert wird, daß jede Gruppe isoliert ist und nur für sich arbeitet, wie sehr sie erleichtert werden würde, falls sie nach einheitlichen Gesichtspunkten erfolgen könnte. Es müßte also eine Stelle geschaffen werden, die von Berufs wegen alle Fragen zu bearbeiten hätte, welche den Minoritätenschutz bei den Grenzdeutschen betreffen. Zu ihren Aus¬ gaben gehört es zunächst einmal, die reichsdeutsche Öffentlichkeit über alle Fälle, in denen Grenzdeutsche vergewaltigt werden, zu informieren; die meisten Reichs¬ deutschen wissen noch nicht einmal, was auf dein Spiele steht, und stehen in sträf¬ licher Gleichgültigkeit beiseite. Wie diese Stelle am besten zu schaffen sei, ob vom Staat aus oder — vielleicht besser — unabhängig vom Staat, braucht hier nicht erörtert zu werden. Jetzt gilt es, die Notwendigkeit einer solchen Stelle anzuerkennen. Das weitere wird sich finden. Die deutsche Arbeiterbewegung in der Gegenwart Paul Rüffer von leit der Mitte des 19. Jahrhunderts — veranlaßt durch den Ibeginnenden Jndustrialisierungsprozeß — entwickelte sich eine »machtvoll einsetzende Arbeiterbewegung, die zunächst ihr Gepräge »durch den Marxismus bekam. Karl Marx drückte dem werdenden 1 Proletariat drei scharf geschliffene Waffen in die Hand. Die erste Waffe war die des Materialismus. Sie war dazu bestimmt, die Massen aus der Atmosphäre der christlichen Weltanschauung zu lösen. Die zweite Waffe war die des Klassenkampfes; sie hatte die Aufgabe, den rücksichtslosesten Kampf für die Erringung der Diktatur des Proletariats zu führen. Die dritte Waffe endlich war die der internationalen Gesinnung, die dazu bestimmt war, die nationale Gesinnung zu bekämpfen und dem internationalen Geist die Bahn zu brechen. Ferdinand Lassalle brachte zunächst mit Erfolg die antinationale Note in der deutschen Arbeiterbewegung zur Geltung. Er steckte der deutschen Arbeiter¬ schaft ein internationales Ziel. Es war die Erringung des gleichen, geheimen und direkten Wahlrechts; denn, heißt es in seinem berühmt gewordenen Ant¬ wortschreiben: „Das ist das Ziel, das ihr erringen müßt; ein anderes gibt es nicht!" ' - ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/142>, abgerufen am 29.06.2024.