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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr.

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politische Bildung des Studenten

Friedensschluß von England inspiriert worden ist, die Wegnahme unserer Kolomen
und unserer Handelsflotte, die Jnbeschlagnahme von Danzig und Memel, und die
dadurch versperrte Verbindung mit dem russischen Handel, hat uns noch immer nicht
die Augen geöffnet. Die Engländer verstecken sich wieder einmal geschickt hinter den
Frarizosen, deren Unrecht an uns die deutsche Volksstimmung gegen den alten Erb¬
feind schürt, wobei ihr kein genügender Raum bleibt, sich mit Englands in der Form
weniger rohen, aber im Wesen gefährlicheren Feindseligkeit zu beschäftigen. Es ist
meine feste Überzeugung, daß wir und der Kontinent von Europa, der ja mit uns
niedergebrochen ist, nur gesunden können, wenn wir die kalte egoistische Psyche
Englands erkennen und demgemäß handeln. Ich habe versucht, in dieser Richtung
durch meine -Erinnerungen' zu wirken. Nicht in der pathologischen Gesinnungsart
Frankreichs, sondern in der Weltpolitik Englands liegt der eigentliche Todeskeim für
Europa. Die Frage ist gestellt, ob die europäischen Staaten reif sind, Provinzen des
britischen Weltreichs zu werden.

General v. Caprivi, der vom Scheitel bis zur Sohle Preuße und Soldat war
und auch nur Soldat sein wollte, sagte mir in einem Gespräch, das ich mit ihm
über den Versailler Frieden von 1871 und einen solchen mit Frankreich nach einem
künftigen Kriege hatte: ,Wir dürfen Frankreich nicht vernichten? es muß voll
bestehen bleiben. Europa kann Frankreich und seine Kultur nicht entbehren/ Man
stelle sich einen englischen Staatsmann oder hohen Soldaten bei privater Beant¬
wortung einer ähnlichen Frage vor, und man wird den weltenweiten Unterschied
der Denkweise und Psyche zwischen uns und den Briten verstehen, der wie ich
stets bedauert habe, unüberbrückbar war und in Zukunft, soweit wir sie ahnen
können, auch bleiben wird."




politische Bildung des Studenten.
Professor Dr. Friedrich Tobler. von

MIs ist darüber geklagt worden, daß der deutsche Student gegenwärtig
I der Gefahr ausgesetzt sei, durch die Bildung studentischer Gruppen
von seiten der verschiedenen politischen Parteien einseitig in deren
Fahrwasser 'zu geraten. Die Gefahr darf nicht verkannt werden.
^Ebensowenig freilich die Tatsache, daß sie zu nennen schon den
Vorwurf politischer Unreife in sich schließt. Sagen wir milder: nicht den Vor¬
wurf der Unreife, sondern die Notwendigkeit einer Einführung.

Unter den heutigen Studenten ist jene breite Schicht nicht zu unterschätzen,
die den Krieg lange und ernst mitgemacht hat und in dieser Zeit eine mensch¬
liche Reife erfuhr, wie sie gleich lange Studienzeit schwerlich erzeugt haben dürfte.
Der Eifer des Nachholend begreifliche wirtschaftliche Sorgen, ebenso oft aber
auch eine fast krankhafte Verschlossenheit nach schwerem Erleben halten viele von
diesen, und nicht die schlechtesten, zurzeit von der Politik eher zurück. Schon
aber wächst neben ihnen ein jüngeres Geschlecht heran, dem das ernstere Er¬
lebnis der Umsturz war und das unter seinem Eindruck für sich und seinen Stand


politische Bildung des Studenten

Friedensschluß von England inspiriert worden ist, die Wegnahme unserer Kolomen
und unserer Handelsflotte, die Jnbeschlagnahme von Danzig und Memel, und die
dadurch versperrte Verbindung mit dem russischen Handel, hat uns noch immer nicht
die Augen geöffnet. Die Engländer verstecken sich wieder einmal geschickt hinter den
Frarizosen, deren Unrecht an uns die deutsche Volksstimmung gegen den alten Erb¬
feind schürt, wobei ihr kein genügender Raum bleibt, sich mit Englands in der Form
weniger rohen, aber im Wesen gefährlicheren Feindseligkeit zu beschäftigen. Es ist
meine feste Überzeugung, daß wir und der Kontinent von Europa, der ja mit uns
niedergebrochen ist, nur gesunden können, wenn wir die kalte egoistische Psyche
Englands erkennen und demgemäß handeln. Ich habe versucht, in dieser Richtung
durch meine -Erinnerungen' zu wirken. Nicht in der pathologischen Gesinnungsart
Frankreichs, sondern in der Weltpolitik Englands liegt der eigentliche Todeskeim für
Europa. Die Frage ist gestellt, ob die europäischen Staaten reif sind, Provinzen des
britischen Weltreichs zu werden.

General v. Caprivi, der vom Scheitel bis zur Sohle Preuße und Soldat war
und auch nur Soldat sein wollte, sagte mir in einem Gespräch, das ich mit ihm
über den Versailler Frieden von 1871 und einen solchen mit Frankreich nach einem
künftigen Kriege hatte: ,Wir dürfen Frankreich nicht vernichten? es muß voll
bestehen bleiben. Europa kann Frankreich und seine Kultur nicht entbehren/ Man
stelle sich einen englischen Staatsmann oder hohen Soldaten bei privater Beant¬
wortung einer ähnlichen Frage vor, und man wird den weltenweiten Unterschied
der Denkweise und Psyche zwischen uns und den Briten verstehen, der wie ich
stets bedauert habe, unüberbrückbar war und in Zukunft, soweit wir sie ahnen
können, auch bleiben wird."




politische Bildung des Studenten.
Professor Dr. Friedrich Tobler. von

MIs ist darüber geklagt worden, daß der deutsche Student gegenwärtig
I der Gefahr ausgesetzt sei, durch die Bildung studentischer Gruppen
von seiten der verschiedenen politischen Parteien einseitig in deren
Fahrwasser 'zu geraten. Die Gefahr darf nicht verkannt werden.
^Ebensowenig freilich die Tatsache, daß sie zu nennen schon den
Vorwurf politischer Unreife in sich schließt. Sagen wir milder: nicht den Vor¬
wurf der Unreife, sondern die Notwendigkeit einer Einführung.

Unter den heutigen Studenten ist jene breite Schicht nicht zu unterschätzen,
die den Krieg lange und ernst mitgemacht hat und in dieser Zeit eine mensch¬
liche Reife erfuhr, wie sie gleich lange Studienzeit schwerlich erzeugt haben dürfte.
Der Eifer des Nachholend begreifliche wirtschaftliche Sorgen, ebenso oft aber
auch eine fast krankhafte Verschlossenheit nach schwerem Erleben halten viele von
diesen, und nicht die schlechtesten, zurzeit von der Politik eher zurück. Schon
aber wächst neben ihnen ein jüngeres Geschlecht heran, dem das ernstere Er¬
lebnis der Umsturz war und das unter seinem Eindruck für sich und seinen Stand


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[0134] politische Bildung des Studenten Friedensschluß von England inspiriert worden ist, die Wegnahme unserer Kolomen und unserer Handelsflotte, die Jnbeschlagnahme von Danzig und Memel, und die dadurch versperrte Verbindung mit dem russischen Handel, hat uns noch immer nicht die Augen geöffnet. Die Engländer verstecken sich wieder einmal geschickt hinter den Frarizosen, deren Unrecht an uns die deutsche Volksstimmung gegen den alten Erb¬ feind schürt, wobei ihr kein genügender Raum bleibt, sich mit Englands in der Form weniger rohen, aber im Wesen gefährlicheren Feindseligkeit zu beschäftigen. Es ist meine feste Überzeugung, daß wir und der Kontinent von Europa, der ja mit uns niedergebrochen ist, nur gesunden können, wenn wir die kalte egoistische Psyche Englands erkennen und demgemäß handeln. Ich habe versucht, in dieser Richtung durch meine -Erinnerungen' zu wirken. Nicht in der pathologischen Gesinnungsart Frankreichs, sondern in der Weltpolitik Englands liegt der eigentliche Todeskeim für Europa. Die Frage ist gestellt, ob die europäischen Staaten reif sind, Provinzen des britischen Weltreichs zu werden. General v. Caprivi, der vom Scheitel bis zur Sohle Preuße und Soldat war und auch nur Soldat sein wollte, sagte mir in einem Gespräch, das ich mit ihm über den Versailler Frieden von 1871 und einen solchen mit Frankreich nach einem künftigen Kriege hatte: ,Wir dürfen Frankreich nicht vernichten? es muß voll bestehen bleiben. Europa kann Frankreich und seine Kultur nicht entbehren/ Man stelle sich einen englischen Staatsmann oder hohen Soldaten bei privater Beant¬ wortung einer ähnlichen Frage vor, und man wird den weltenweiten Unterschied der Denkweise und Psyche zwischen uns und den Briten verstehen, der wie ich stets bedauert habe, unüberbrückbar war und in Zukunft, soweit wir sie ahnen können, auch bleiben wird." politische Bildung des Studenten. Professor Dr. Friedrich Tobler. von MIs ist darüber geklagt worden, daß der deutsche Student gegenwärtig I der Gefahr ausgesetzt sei, durch die Bildung studentischer Gruppen von seiten der verschiedenen politischen Parteien einseitig in deren Fahrwasser 'zu geraten. Die Gefahr darf nicht verkannt werden. ^Ebensowenig freilich die Tatsache, daß sie zu nennen schon den Vorwurf politischer Unreife in sich schließt. Sagen wir milder: nicht den Vor¬ wurf der Unreife, sondern die Notwendigkeit einer Einführung. Unter den heutigen Studenten ist jene breite Schicht nicht zu unterschätzen, die den Krieg lange und ernst mitgemacht hat und in dieser Zeit eine mensch¬ liche Reife erfuhr, wie sie gleich lange Studienzeit schwerlich erzeugt haben dürfte. Der Eifer des Nachholend begreifliche wirtschaftliche Sorgen, ebenso oft aber auch eine fast krankhafte Verschlossenheit nach schwerem Erleben halten viele von diesen, und nicht die schlechtesten, zurzeit von der Politik eher zurück. Schon aber wächst neben ihnen ein jüngeres Geschlecht heran, dem das ernstere Er¬ lebnis der Umsturz war und das unter seinem Eindruck für sich und seinen Stand

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337640/134>, abgerufen am 29.06.2024.