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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.

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Drinnen und draußen

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Stinnes.

Aus dem Vielen, was in den
letzten Wochen über die führende Persönlich¬
keit des deutschen Wirtschaftslebens anläßlich
seines Eintritts in die Politik geschrieben
worden ist, ragt durch sachliche Nüchternheit
hervor, was Alfred. Lansburgh im Juniheft
seiner Zeitschrift "Die Ban!" schreibt:

"Im Gegensatz zur öffentlichen Meinung,
die den Stinnesschen Despotismus früher
duldete, heute aber bekämpft, ist der Volks¬
wirt der Ansicht, daß das kapitalistische
Prinzip, das hier in seiner höchsten Durch¬
bildung erscheint, gerade jetzt weniger schädlich
ist als je zuvor. An der durch die Revolution,
die aufgestachelte Begehrlichkeit der Massen,
die schlechte Finanzpolitik und die Geldwirt¬
schaft korrumpierten deutschen Wirtschaft ist
nicht mehr viel zu verderben. Wenn etwas
diese Wirtschaft noch retten und zu der
Leistungsfähigkeit emporzüchten kann, die der
Friedensvertrag und die Übervölkerung Deutsch¬
lands notwendig machen, so ist es gerade
diejenige Wirtschaftsform, die vor dem Kriege
aus sozialen Gründen, insbesondere im Hin¬
blick auf die freie Tätigkeit eines kräftigen
gewerblichen Mittelstandes, auf das schärfste
bekämpft werden mußte, nämlich die Kon¬
zentration und der Großbetrieb. Die deutsche
Wirtschaft muß heute rein rationalistisch
arbeiten und kann sich den Luxus der
Sentimentalität und der weitgetriebenem
sozialen Rücksichtnahme nicht mehr erlauben.
Das ist sehr traurig, aber es ist das Schicksal
aller Revolutionen, daß sie den Versuch, ihre
Ideale gewaltsam durchzusetzen, mit dem
Verlust eines Teils des vorher schon positiv
Erreichten bezahlen müssen. Viele Rücksichten,
die uns früher zum Kampf gegen das gro߬
kapitalistische Prinzip zwangen, bestehen heute
nicht mehr. Ist doch gerade der wertvollste
Teil des selbständigen Mittelstandes, dessen
Erhaltung ehemals eine Frage des Staats¬
wohls war, schon längst durch den Krieg,
durch die aus der Geldentwertung geborene
öffentliche Bewirtschaftung und durch den
Stacheldraht der unzähligen Bcvormundungs-
paragraphen, die nur dem Schwindel eine
freie Entfaltungsmöglichkeit lassen, erdrosselt

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worden . . . Damit verschwinden Rück¬
sichten, die sich früher dem Ultra¬
kapitalisten in den Weg stellten, und
geben dem Prinzip Stinnes den Weg frei.
Alles, was man heute noch hoffen und
fördern darf, ist, daß die Jndustriemagnatcn,
an welche die wirtschaftliche Hegemonie fallen
wird, sobald Sozialisierung und Planwirt¬
schaft an sich selbst zugrunde gegangen sein
werden, tüchtige Männer sind, die ihre Macht
mit Verstand nutzen und die auch soviel
soziale Rücksicht üben, wie die Überlegen¬
heit, die sie der deutschen Produktion um
jeden Preis verschaffen müssen, zu üben irgend
gestattet. Zum mindesten was die Tüchtigkeit
betrifft, können wir ganz zufrieden sein, daß
es Stinnes und kein beliebiger die Macht des
Geldes wahllos mißbrauchender Dutzendmensch
ist, der unserer Zeit den Stempel aufdrückt,
denn niemand wird dem rastlosen Manne
Weitblick und organisatorische Fähigkeiten ab¬
sprechen können".

Ein neuer Verbraucher.

Der künftige
Historiker wird bei Erforschung der Folgen
des Krieges und der Revolution für die
russische Volkswirtschaft vor allem auf eine
neuartige, sehr mcrkwürdigeErscheinung stoßen:
auf die Entstehung einer neuen Konsumcnten-
schicht in Person der russischen Bauernschaft.
Ungefähr seit Anfang 1916, besonders
aber nach der Revolution, d. h. mit der
immer weiter steigenden Teuerung, begann
ein unaufhaltsamer Zustrom von Geld auf
das flache Land. Die Industrie, ti? fast
ausschließlich auf Kriegslieferung eingestellt
war und die nach der Revolution unter
unaufhörlichen Streiks, unter der Verteuerung
der Arbeitskräfte und unter dem Rückgang
der Produktivität zu leiden hat, ^ die
Industrie konnte dem flachen Lande nur einen
geringen Teil der von ihm benötigten Waren
liefern, und auch das nur zu beträchtlich er¬
höhten Preisen. Die Bauern, die aus der
Stadt alles um vielfach gesteigerte Preise
erhielten, begannen auch die Preise für ihre
Produkte in die Höhe zu treiben; augen¬
blicklich haben diese Preise bekanntlich eine
geradezu märchenhafte Höhe erreicht. Das

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Drinnen und draußen

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Stinnes.

Aus dem Vielen, was in den
letzten Wochen über die führende Persönlich¬
keit des deutschen Wirtschaftslebens anläßlich
seines Eintritts in die Politik geschrieben
worden ist, ragt durch sachliche Nüchternheit
hervor, was Alfred. Lansburgh im Juniheft
seiner Zeitschrift „Die Ban!" schreibt:

„Im Gegensatz zur öffentlichen Meinung,
die den Stinnesschen Despotismus früher
duldete, heute aber bekämpft, ist der Volks¬
wirt der Ansicht, daß das kapitalistische
Prinzip, das hier in seiner höchsten Durch¬
bildung erscheint, gerade jetzt weniger schädlich
ist als je zuvor. An der durch die Revolution,
die aufgestachelte Begehrlichkeit der Massen,
die schlechte Finanzpolitik und die Geldwirt¬
schaft korrumpierten deutschen Wirtschaft ist
nicht mehr viel zu verderben. Wenn etwas
diese Wirtschaft noch retten und zu der
Leistungsfähigkeit emporzüchten kann, die der
Friedensvertrag und die Übervölkerung Deutsch¬
lands notwendig machen, so ist es gerade
diejenige Wirtschaftsform, die vor dem Kriege
aus sozialen Gründen, insbesondere im Hin¬
blick auf die freie Tätigkeit eines kräftigen
gewerblichen Mittelstandes, auf das schärfste
bekämpft werden mußte, nämlich die Kon¬
zentration und der Großbetrieb. Die deutsche
Wirtschaft muß heute rein rationalistisch
arbeiten und kann sich den Luxus der
Sentimentalität und der weitgetriebenem
sozialen Rücksichtnahme nicht mehr erlauben.
Das ist sehr traurig, aber es ist das Schicksal
aller Revolutionen, daß sie den Versuch, ihre
Ideale gewaltsam durchzusetzen, mit dem
Verlust eines Teils des vorher schon positiv
Erreichten bezahlen müssen. Viele Rücksichten,
die uns früher zum Kampf gegen das gro߬
kapitalistische Prinzip zwangen, bestehen heute
nicht mehr. Ist doch gerade der wertvollste
Teil des selbständigen Mittelstandes, dessen
Erhaltung ehemals eine Frage des Staats¬
wohls war, schon längst durch den Krieg,
durch die aus der Geldentwertung geborene
öffentliche Bewirtschaftung und durch den
Stacheldraht der unzähligen Bcvormundungs-
paragraphen, die nur dem Schwindel eine
freie Entfaltungsmöglichkeit lassen, erdrosselt

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worden . . . Damit verschwinden Rück¬
sichten, die sich früher dem Ultra¬
kapitalisten in den Weg stellten, und
geben dem Prinzip Stinnes den Weg frei.
Alles, was man heute noch hoffen und
fördern darf, ist, daß die Jndustriemagnatcn,
an welche die wirtschaftliche Hegemonie fallen
wird, sobald Sozialisierung und Planwirt¬
schaft an sich selbst zugrunde gegangen sein
werden, tüchtige Männer sind, die ihre Macht
mit Verstand nutzen und die auch soviel
soziale Rücksicht üben, wie die Überlegen¬
heit, die sie der deutschen Produktion um
jeden Preis verschaffen müssen, zu üben irgend
gestattet. Zum mindesten was die Tüchtigkeit
betrifft, können wir ganz zufrieden sein, daß
es Stinnes und kein beliebiger die Macht des
Geldes wahllos mißbrauchender Dutzendmensch
ist, der unserer Zeit den Stempel aufdrückt,
denn niemand wird dem rastlosen Manne
Weitblick und organisatorische Fähigkeiten ab¬
sprechen können".

Ein neuer Verbraucher.

Der künftige
Historiker wird bei Erforschung der Folgen
des Krieges und der Revolution für die
russische Volkswirtschaft vor allem auf eine
neuartige, sehr mcrkwürdigeErscheinung stoßen:
auf die Entstehung einer neuen Konsumcnten-
schicht in Person der russischen Bauernschaft.
Ungefähr seit Anfang 1916, besonders
aber nach der Revolution, d. h. mit der
immer weiter steigenden Teuerung, begann
ein unaufhaltsamer Zustrom von Geld auf
das flache Land. Die Industrie, ti? fast
ausschließlich auf Kriegslieferung eingestellt
war und die nach der Revolution unter
unaufhörlichen Streiks, unter der Verteuerung
der Arbeitskräfte und unter dem Rückgang
der Produktivität zu leiden hat, ^ die
Industrie konnte dem flachen Lande nur einen
geringen Teil der von ihm benötigten Waren
liefern, und auch das nur zu beträchtlich er¬
höhten Preisen. Die Bauern, die aus der
Stadt alles um vielfach gesteigerte Preise
erhielten, begannen auch die Preise für ihre
Produkte in die Höhe zu treiben; augen¬
blicklich haben diese Preise bekanntlich eine
geradezu märchenhafte Höhe erreicht. Das

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[0392] Drinnen und draußen Drinnen und draußen Stinnes. Aus dem Vielen, was in den letzten Wochen über die führende Persönlich¬ keit des deutschen Wirtschaftslebens anläßlich seines Eintritts in die Politik geschrieben worden ist, ragt durch sachliche Nüchternheit hervor, was Alfred. Lansburgh im Juniheft seiner Zeitschrift „Die Ban!" schreibt: „Im Gegensatz zur öffentlichen Meinung, die den Stinnesschen Despotismus früher duldete, heute aber bekämpft, ist der Volks¬ wirt der Ansicht, daß das kapitalistische Prinzip, das hier in seiner höchsten Durch¬ bildung erscheint, gerade jetzt weniger schädlich ist als je zuvor. An der durch die Revolution, die aufgestachelte Begehrlichkeit der Massen, die schlechte Finanzpolitik und die Geldwirt¬ schaft korrumpierten deutschen Wirtschaft ist nicht mehr viel zu verderben. Wenn etwas diese Wirtschaft noch retten und zu der Leistungsfähigkeit emporzüchten kann, die der Friedensvertrag und die Übervölkerung Deutsch¬ lands notwendig machen, so ist es gerade diejenige Wirtschaftsform, die vor dem Kriege aus sozialen Gründen, insbesondere im Hin¬ blick auf die freie Tätigkeit eines kräftigen gewerblichen Mittelstandes, auf das schärfste bekämpft werden mußte, nämlich die Kon¬ zentration und der Großbetrieb. Die deutsche Wirtschaft muß heute rein rationalistisch arbeiten und kann sich den Luxus der Sentimentalität und der weitgetriebenem sozialen Rücksichtnahme nicht mehr erlauben. Das ist sehr traurig, aber es ist das Schicksal aller Revolutionen, daß sie den Versuch, ihre Ideale gewaltsam durchzusetzen, mit dem Verlust eines Teils des vorher schon positiv Erreichten bezahlen müssen. Viele Rücksichten, die uns früher zum Kampf gegen das gro߬ kapitalistische Prinzip zwangen, bestehen heute nicht mehr. Ist doch gerade der wertvollste Teil des selbständigen Mittelstandes, dessen Erhaltung ehemals eine Frage des Staats¬ wohls war, schon längst durch den Krieg, durch die aus der Geldentwertung geborene öffentliche Bewirtschaftung und durch den Stacheldraht der unzähligen Bcvormundungs- paragraphen, die nur dem Schwindel eine freie Entfaltungsmöglichkeit lassen, erdrosselt worden . . . Damit verschwinden Rück¬ sichten, die sich früher dem Ultra¬ kapitalisten in den Weg stellten, und geben dem Prinzip Stinnes den Weg frei. Alles, was man heute noch hoffen und fördern darf, ist, daß die Jndustriemagnatcn, an welche die wirtschaftliche Hegemonie fallen wird, sobald Sozialisierung und Planwirt¬ schaft an sich selbst zugrunde gegangen sein werden, tüchtige Männer sind, die ihre Macht mit Verstand nutzen und die auch soviel soziale Rücksicht üben, wie die Überlegen¬ heit, die sie der deutschen Produktion um jeden Preis verschaffen müssen, zu üben irgend gestattet. Zum mindesten was die Tüchtigkeit betrifft, können wir ganz zufrieden sein, daß es Stinnes und kein beliebiger die Macht des Geldes wahllos mißbrauchender Dutzendmensch ist, der unserer Zeit den Stempel aufdrückt, denn niemand wird dem rastlosen Manne Weitblick und organisatorische Fähigkeiten ab¬ sprechen können". Ein neuer Verbraucher. Der künftige Historiker wird bei Erforschung der Folgen des Krieges und der Revolution für die russische Volkswirtschaft vor allem auf eine neuartige, sehr mcrkwürdigeErscheinung stoßen: auf die Entstehung einer neuen Konsumcnten- schicht in Person der russischen Bauernschaft. Ungefähr seit Anfang 1916, besonders aber nach der Revolution, d. h. mit der immer weiter steigenden Teuerung, begann ein unaufhaltsamer Zustrom von Geld auf das flache Land. Die Industrie, ti? fast ausschließlich auf Kriegslieferung eingestellt war und die nach der Revolution unter unaufhörlichen Streiks, unter der Verteuerung der Arbeitskräfte und unter dem Rückgang der Produktivität zu leiden hat, ^ die Industrie konnte dem flachen Lande nur einen geringen Teil der von ihm benötigten Waren liefern, und auch das nur zu beträchtlich er¬ höhten Preisen. Die Bauern, die aus der Stadt alles um vielfach gesteigerte Preise erhielten, begannen auch die Preise für ihre Produkte in die Höhe zu treiben; augen¬ blicklich haben diese Preise bekanntlich eine geradezu märchenhafte Höhe erreicht. Das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337236/392>, abgerufen am 28.06.2024.