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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.

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Drinnen und draußen

Drinnen und draußen

[Beginn Spaltensatz]
Polens Friedensverhandlungen mit

Sowjet-Rußland.

Wie der "Matin" das
erste Blatt war, das, abgesehen von sozia¬
listischen Zeitungen, den Umschwung Frank¬
reichs in der Politik gegen Rußland an¬
zeigte, so betrachtet er es nun als seine
Aufgabe, Frankreichs Öffentlichkeit auf die
bevorstehenden Verhandlungen Polens mit
Nnfzlnnd vorzubereiten. Der Wunsch nach
Frieden, so führt sein Berichterstatter aus,
bestände in Polen ganz allgemein, was nicht
verwunderlich sei, da das Land längst nicht
nichr den triumphalen und großartigen Ein¬
druck mache, der dem Beobachter zu Anfang
I9l,9 aufgefallen sei. Die Teuerung habe
geradezu katastrophale Formen angenommen,
die einen beträchtlichen Politischen Einfluß
gewinnen könnten. Die französische Kohlen¬
krisis sei nichts im Vergleich zur polnischen.
Der Krieg koste zwei Milliarden monatlich
und sei eine der hauptsächlichsten Ursachen
der niedrigen polnischen Valuta. In der
Armee herrsche Typhus und der Gesundheits¬
dienst im Heere stehe riesigen Schwierig¬
keiten gegenüber. Dennoch befürchteten orien¬
tierte Persönlichkeiten, daß ein Friedens¬
schluß die Wirkung eines allgemeinen Pol¬
nischen Ausverkaufes haben und außerdem
das Feld für eine kolossale Frühlings¬
propaganda der Bolschewismen frei machen
würde. Anfangs habe die Polnische Re¬
gierung nur daran gedacht, mit den Bolsche-
wisten ein Abkommen zu treffen. Jetzt aber
bestände der Plan, einen allgemeinen Frieden
mit Rußland zu schließen. Dieser Beschluß
sei am 12. Februar in geheimer Sitzung
gefaßt worden. Der Polnische Innenminister
habe in dieser Sitzung erklärt, daß man
zwar allgemein den Frieden wünsche, aber doch
keineswegs gesonnen sei, ihn in überstürzter
Weise und um jeden Preis zu schließen.
Die militärischen Stellen hätten sich in ähn¬
lichem Sinne geäußert, und der Kriegs¬
minister habe ausdrücklich darauf hinge¬
wiesen, daß das Freiwerden bolschewistischer
Armeen bei Jrkutsk oder selbst bei Odessa bei
den enormen Transportschwierigkeiten Ru߬
lands vorläufig keinerlei ernsthaften Grund
zu Befürchtungen gebe. Kein Mitglied der

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Kommission habe jedoch diese beruhigenden
Versicherungen zum Anlaß genommen, die
Zurückweisung der bolschewistischen Vorschläge
zu fordern. Bei Erörterung der finanziellen
Forderungen werde man darauf hinarbeiten,
daß die Bolschewiken ihr Finanzsystem auf¬
gaben. Wenn nämlich Nußland Polen durch
Vertrag einen Teil seiner äußeren Schuld
zuschöbe, so sei damit gewissermaßen auto-
matisch die Anerkennung der Gesamlschuld
ausgesprochen. Bezüglich der politischen Be¬
stimmungen des Vertrages wolle man darauf
hinarbeiten, daß Polen auch die Rechte seiner
schwächeren Nachbarn vertrete, wobei man
sich nicht verhehlen könne, daß manche der
vorgeschlagenen Lösungen, wie z. V. die über
die Ukraine, nur Provisorischen Charakter
haben könnten. Interessant ist schließlich
das Eingeständnis, daß der Entwurf der
Polnischen Gegenvorschläge nach seiner Fer¬
tigstellung, bevor er an die Bolschewiken
geht, der Friedenskonferenz unterbreitet
werden soll. (Matin vom 1ö.--17. Februar.)

M.
Österreichisch-deutsche Volksgemeinschaft.

Von deutsch-österreichischer Seite wird uns
geschrieben: Herr Großmann "hofft und
fürchtet", daß im Moment, wo die Kata¬
strophe in Deutsch-Österreich ihren Höhepunkt
erreicht, die Massen "herüberpurzeln" werden,
Wie es der Affekt der größten Not diktieren
wird. Diesen Moment hier "vorzubereiten",
ist eine der Ausgaben des neuen österreichisch¬
deutschen Volksbundes.

Ich sehe nun dieses Herüberkommen,
dieses sich "einbürgern" Wollen von dem
Standpunkt der Neichsdentschen an und
Werde mehr als nachdenklich. All die Er¬
fahrungen meines neunzehnjährigen Auf¬
enthalts in Deutschland, meines neunjährigen
in Berlin, ganz besonders aber die der
letzten Jahre, also der Kriegsjahre, haben
genügt, um die Psyche des Reichsdeutschen
völlig kennen zu lernen. Und sollte die Ne¬
gierung auch nicht mehr gegen die zu¬
strömenden Österreicher auftreten, vielleicht
sogar ihnen mit offenen "Vrnderhänden" ent¬
gegenkommen, so wird doch der Willkommen

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Drinnen und draußen

Drinnen und draußen

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Polens Friedensverhandlungen mit

Sowjet-Rußland.

Wie der „Matin" das
erste Blatt war, das, abgesehen von sozia¬
listischen Zeitungen, den Umschwung Frank¬
reichs in der Politik gegen Rußland an¬
zeigte, so betrachtet er es nun als seine
Aufgabe, Frankreichs Öffentlichkeit auf die
bevorstehenden Verhandlungen Polens mit
Nnfzlnnd vorzubereiten. Der Wunsch nach
Frieden, so führt sein Berichterstatter aus,
bestände in Polen ganz allgemein, was nicht
verwunderlich sei, da das Land längst nicht
nichr den triumphalen und großartigen Ein¬
druck mache, der dem Beobachter zu Anfang
I9l,9 aufgefallen sei. Die Teuerung habe
geradezu katastrophale Formen angenommen,
die einen beträchtlichen Politischen Einfluß
gewinnen könnten. Die französische Kohlen¬
krisis sei nichts im Vergleich zur polnischen.
Der Krieg koste zwei Milliarden monatlich
und sei eine der hauptsächlichsten Ursachen
der niedrigen polnischen Valuta. In der
Armee herrsche Typhus und der Gesundheits¬
dienst im Heere stehe riesigen Schwierig¬
keiten gegenüber. Dennoch befürchteten orien¬
tierte Persönlichkeiten, daß ein Friedens¬
schluß die Wirkung eines allgemeinen Pol¬
nischen Ausverkaufes haben und außerdem
das Feld für eine kolossale Frühlings¬
propaganda der Bolschewismen frei machen
würde. Anfangs habe die Polnische Re¬
gierung nur daran gedacht, mit den Bolsche-
wisten ein Abkommen zu treffen. Jetzt aber
bestände der Plan, einen allgemeinen Frieden
mit Rußland zu schließen. Dieser Beschluß
sei am 12. Februar in geheimer Sitzung
gefaßt worden. Der Polnische Innenminister
habe in dieser Sitzung erklärt, daß man
zwar allgemein den Frieden wünsche, aber doch
keineswegs gesonnen sei, ihn in überstürzter
Weise und um jeden Preis zu schließen.
Die militärischen Stellen hätten sich in ähn¬
lichem Sinne geäußert, und der Kriegs¬
minister habe ausdrücklich darauf hinge¬
wiesen, daß das Freiwerden bolschewistischer
Armeen bei Jrkutsk oder selbst bei Odessa bei
den enormen Transportschwierigkeiten Ru߬
lands vorläufig keinerlei ernsthaften Grund
zu Befürchtungen gebe. Kein Mitglied der

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Kommission habe jedoch diese beruhigenden
Versicherungen zum Anlaß genommen, die
Zurückweisung der bolschewistischen Vorschläge
zu fordern. Bei Erörterung der finanziellen
Forderungen werde man darauf hinarbeiten,
daß die Bolschewiken ihr Finanzsystem auf¬
gaben. Wenn nämlich Nußland Polen durch
Vertrag einen Teil seiner äußeren Schuld
zuschöbe, so sei damit gewissermaßen auto-
matisch die Anerkennung der Gesamlschuld
ausgesprochen. Bezüglich der politischen Be¬
stimmungen des Vertrages wolle man darauf
hinarbeiten, daß Polen auch die Rechte seiner
schwächeren Nachbarn vertrete, wobei man
sich nicht verhehlen könne, daß manche der
vorgeschlagenen Lösungen, wie z. V. die über
die Ukraine, nur Provisorischen Charakter
haben könnten. Interessant ist schließlich
das Eingeständnis, daß der Entwurf der
Polnischen Gegenvorschläge nach seiner Fer¬
tigstellung, bevor er an die Bolschewiken
geht, der Friedenskonferenz unterbreitet
werden soll. (Matin vom 1ö.—17. Februar.)

M.
Österreichisch-deutsche Volksgemeinschaft.

Von deutsch-österreichischer Seite wird uns
geschrieben: Herr Großmann „hofft und
fürchtet", daß im Moment, wo die Kata¬
strophe in Deutsch-Österreich ihren Höhepunkt
erreicht, die Massen „herüberpurzeln" werden,
Wie es der Affekt der größten Not diktieren
wird. Diesen Moment hier „vorzubereiten",
ist eine der Ausgaben des neuen österreichisch¬
deutschen Volksbundes.

Ich sehe nun dieses Herüberkommen,
dieses sich „einbürgern" Wollen von dem
Standpunkt der Neichsdentschen an und
Werde mehr als nachdenklich. All die Er¬
fahrungen meines neunzehnjährigen Auf¬
enthalts in Deutschland, meines neunjährigen
in Berlin, ganz besonders aber die der
letzten Jahre, also der Kriegsjahre, haben
genügt, um die Psyche des Reichsdeutschen
völlig kennen zu lernen. Und sollte die Ne¬
gierung auch nicht mehr gegen die zu¬
strömenden Österreicher auftreten, vielleicht
sogar ihnen mit offenen „Vrnderhänden" ent¬
gegenkommen, so wird doch der Willkommen

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[0032] Drinnen und draußen Drinnen und draußen Polens Friedensverhandlungen mit Sowjet-Rußland. Wie der „Matin" das erste Blatt war, das, abgesehen von sozia¬ listischen Zeitungen, den Umschwung Frank¬ reichs in der Politik gegen Rußland an¬ zeigte, so betrachtet er es nun als seine Aufgabe, Frankreichs Öffentlichkeit auf die bevorstehenden Verhandlungen Polens mit Nnfzlnnd vorzubereiten. Der Wunsch nach Frieden, so führt sein Berichterstatter aus, bestände in Polen ganz allgemein, was nicht verwunderlich sei, da das Land längst nicht nichr den triumphalen und großartigen Ein¬ druck mache, der dem Beobachter zu Anfang I9l,9 aufgefallen sei. Die Teuerung habe geradezu katastrophale Formen angenommen, die einen beträchtlichen Politischen Einfluß gewinnen könnten. Die französische Kohlen¬ krisis sei nichts im Vergleich zur polnischen. Der Krieg koste zwei Milliarden monatlich und sei eine der hauptsächlichsten Ursachen der niedrigen polnischen Valuta. In der Armee herrsche Typhus und der Gesundheits¬ dienst im Heere stehe riesigen Schwierig¬ keiten gegenüber. Dennoch befürchteten orien¬ tierte Persönlichkeiten, daß ein Friedens¬ schluß die Wirkung eines allgemeinen Pol¬ nischen Ausverkaufes haben und außerdem das Feld für eine kolossale Frühlings¬ propaganda der Bolschewismen frei machen würde. Anfangs habe die Polnische Re¬ gierung nur daran gedacht, mit den Bolsche- wisten ein Abkommen zu treffen. Jetzt aber bestände der Plan, einen allgemeinen Frieden mit Rußland zu schließen. Dieser Beschluß sei am 12. Februar in geheimer Sitzung gefaßt worden. Der Polnische Innenminister habe in dieser Sitzung erklärt, daß man zwar allgemein den Frieden wünsche, aber doch keineswegs gesonnen sei, ihn in überstürzter Weise und um jeden Preis zu schließen. Die militärischen Stellen hätten sich in ähn¬ lichem Sinne geäußert, und der Kriegs¬ minister habe ausdrücklich darauf hinge¬ wiesen, daß das Freiwerden bolschewistischer Armeen bei Jrkutsk oder selbst bei Odessa bei den enormen Transportschwierigkeiten Ru߬ lands vorläufig keinerlei ernsthaften Grund zu Befürchtungen gebe. Kein Mitglied der Kommission habe jedoch diese beruhigenden Versicherungen zum Anlaß genommen, die Zurückweisung der bolschewistischen Vorschläge zu fordern. Bei Erörterung der finanziellen Forderungen werde man darauf hinarbeiten, daß die Bolschewiken ihr Finanzsystem auf¬ gaben. Wenn nämlich Nußland Polen durch Vertrag einen Teil seiner äußeren Schuld zuschöbe, so sei damit gewissermaßen auto- matisch die Anerkennung der Gesamlschuld ausgesprochen. Bezüglich der politischen Be¬ stimmungen des Vertrages wolle man darauf hinarbeiten, daß Polen auch die Rechte seiner schwächeren Nachbarn vertrete, wobei man sich nicht verhehlen könne, daß manche der vorgeschlagenen Lösungen, wie z. V. die über die Ukraine, nur Provisorischen Charakter haben könnten. Interessant ist schließlich das Eingeständnis, daß der Entwurf der Polnischen Gegenvorschläge nach seiner Fer¬ tigstellung, bevor er an die Bolschewiken geht, der Friedenskonferenz unterbreitet werden soll. (Matin vom 1ö.—17. Februar.) M. Österreichisch-deutsche Volksgemeinschaft. Von deutsch-österreichischer Seite wird uns geschrieben: Herr Großmann „hofft und fürchtet", daß im Moment, wo die Kata¬ strophe in Deutsch-Österreich ihren Höhepunkt erreicht, die Massen „herüberpurzeln" werden, Wie es der Affekt der größten Not diktieren wird. Diesen Moment hier „vorzubereiten", ist eine der Ausgaben des neuen österreichisch¬ deutschen Volksbundes. Ich sehe nun dieses Herüberkommen, dieses sich „einbürgern" Wollen von dem Standpunkt der Neichsdentschen an und Werde mehr als nachdenklich. All die Er¬ fahrungen meines neunzehnjährigen Auf¬ enthalts in Deutschland, meines neunjährigen in Berlin, ganz besonders aber die der letzten Jahre, also der Kriegsjahre, haben genügt, um die Psyche des Reichsdeutschen völlig kennen zu lernen. Und sollte die Ne¬ gierung auch nicht mehr gegen die zu¬ strömenden Österreicher auftreten, vielleicht sogar ihnen mit offenen „Vrnderhänden" ent¬ gegenkommen, so wird doch der Willkommen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337236/32>, abgerufen am 28.06.2024.