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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.

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Drinnen und draußen

Drinnen und draußen

[Beginn Spaltensatz]

Die Ära des NeichsjustizministerS
Schiffer hatte den zweifelhaften Vorzug, die
eingebrachten Gesetzentwürfe vielfach mit
solcher Beschleunigung durchzupeitschen, daß
die Entwürfe schon Gesetzeskraft erlangten,
ehe wissenschaftliche Bedenken ausgearbeitet
und von Zeitungen oder Zeitschriften bei
deren bekanntem Papiermangel veröffent¬
licht werden konnten. Nachdem der Entwurf
aber einmal Gesetz geworden, verstummt
in der Regel die Kritik als zwecklos.
Nur in einem Falle darf sie mich wir
vollendeten Tatsachen nicht Halt machen,
wenn es die Wahrung der Verfassung des
Deutschen Reiches gilt. Diese aber ist durch
die lox Schiffer betreffend Überweisung der
bei dem Kapp-Pulses beteiligten Offiziere
zur Aburteilung durch die bürgerlichen
Gerichte verletzt, und dies sollte unabhängig
von jeder politischen Parieistelluug anerkannt
werden.

Dus Ausnahmegericht für Lektion- un-i
Genossen.

Nach dem bis zur lex Schiffer geltenden
Rechte gehörten unstreitig Kapp und seine
bürgerlichen Mitschuldigen vor die bürger¬
lichen Gerichte, General Lüttwitz und die
anderen Offiziere vor die Militärgerichte.
Es ist natürlich schwer erträglich, Mittäter,
die derart gemeinsam gehandelt haben, wie
diese Beschuldigten, vor zwei getrennte
Fora zu bringen, zweimal dieselbe Ver¬
handlung mit dem ganzen großen Zeugen¬
apparat aufzurollen und womöglich zu zwei,
in wichtigen Punkten einander widersprechen¬
den Urteilen zu gelangen. Nur zu rasch
entschlossen hat deshalb der damalige
Neichsjnstizminister Schiffer dem Reichsrate
einen Gesetzentwurf unterbreitet, nach wel¬
chem auch die an sich der Militärgerichts¬
barkeit unterstellten, an dem hochverräteri¬
schen Unternehmen vom März 1S20 beteilig¬
ten Personen durch die ordentlichen bürger¬
lichen Gerichte abgeurteilt werden sollen.

So Praktisch dies ist, so sehr muß doch
meines Erachtend gegen dieseRegeluug gerade
vom Standpunkte einer wahren Demokratie
Einspruch erhoben werden; denn bei Lichte
besehen, ist dies nichts anderes, als die alte,
"örhaßtc, vom Volk stets bekämpfte Ka-

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binettsjustiz des 18. Jahrhunderts. So haben
es insbesondere in Frankreich die Ludwig XIV.
und XV. gemacht, daß sie für bestimmte An¬
geklagte bestimmte Gerichtshöfe zusammen¬
stellten oder aufsuchten, und darum gerade
war es eine Forderung der großen Revolu¬
tion, daß das Gericht, vor dem sich ein
Angeklagter zu verantworten haben solle, im
voraus bestimmt ist, damit nicht durch Aus¬
wahl der Richter dein Angeklagten ungünstige
Einflüsse wirken können. Diese Forderung
ist aus der Verfassung der französischen Re¬
volution auch in alle deutschen Verfassungen
übergegangen; so bestimmt zum Beispiel
Artikel 7 der alten preußischen Versassuuz:
"Niemand darf seinem gesetzlichen Richter ent¬
zogen werden. Ausnahmegerichte und außer¬
ordentliche Kommissionen sind unstatthaft."
Und unsere neue Reichsverfassung besagt in
Artikel 10k>: "Ausnahmegerichte sind un¬
statthaft. Niemand darf seinem gesetzlichen
Richter entzogen werden."

Dagegen verstößt der Schisfersche Gesetz¬
entwurf ganz unzweifelhaft. Es kann nicht
wegdisputiert werden, daß der gesetzliche
Richter der Offiziere das Militärgericht ist,
welches übrigens gegen sie das Verfahren
bereits eingeleitet hatte. Diesem werden sie
durch die !ex Schiffer entzogen. Alle Zweck¬
mäßigkeitserwägungen, die ich im Eingänge
meines Artikels s-übst betont habe, müssen
zurücktreten vor der Heiligkeit des Gesetzes
und vor allem des obersten Gesetzes, der
Verfassung. Man kann mir nicht einwenden,
daß dies ein formal-juristisches Denken sei,
und daß ungewöhnliche Ereignisse, wie der
Pulses Kapp-Lüttwitz, auch ihre ungewöhn¬
lichen Maßnahmen erheischen. Mit solchen
Argumenten Pflegte auch die monarchische
Kabinettsjustiz ihre Maßnahmen zu recht¬
fertigen. Die Demokratie sollte sich von
gleichen Kunststücken fernhalten. Oder will
man sich in diesem Sensationsprozcfz wieder
dem Einwände der Verteidigung aussetzen,
den schon eine lex Schiffer erlebt hat? Will
man erneut eine solche Verurteilung einer
Gelegenheits - Gesetzgebung erleben,
wie sie eine mutige Strafkammer des Land¬
gerichts III Berlin der lex Schiffer von den

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Drinnen und draußen

Drinnen und draußen

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Die Ära des NeichsjustizministerS
Schiffer hatte den zweifelhaften Vorzug, die
eingebrachten Gesetzentwürfe vielfach mit
solcher Beschleunigung durchzupeitschen, daß
die Entwürfe schon Gesetzeskraft erlangten,
ehe wissenschaftliche Bedenken ausgearbeitet
und von Zeitungen oder Zeitschriften bei
deren bekanntem Papiermangel veröffent¬
licht werden konnten. Nachdem der Entwurf
aber einmal Gesetz geworden, verstummt
in der Regel die Kritik als zwecklos.
Nur in einem Falle darf sie mich wir
vollendeten Tatsachen nicht Halt machen,
wenn es die Wahrung der Verfassung des
Deutschen Reiches gilt. Diese aber ist durch
die lox Schiffer betreffend Überweisung der
bei dem Kapp-Pulses beteiligten Offiziere
zur Aburteilung durch die bürgerlichen
Gerichte verletzt, und dies sollte unabhängig
von jeder politischen Parieistelluug anerkannt
werden.

Dus Ausnahmegericht für Lektion- un-i
Genossen.

Nach dem bis zur lex Schiffer geltenden
Rechte gehörten unstreitig Kapp und seine
bürgerlichen Mitschuldigen vor die bürger¬
lichen Gerichte, General Lüttwitz und die
anderen Offiziere vor die Militärgerichte.
Es ist natürlich schwer erträglich, Mittäter,
die derart gemeinsam gehandelt haben, wie
diese Beschuldigten, vor zwei getrennte
Fora zu bringen, zweimal dieselbe Ver¬
handlung mit dem ganzen großen Zeugen¬
apparat aufzurollen und womöglich zu zwei,
in wichtigen Punkten einander widersprechen¬
den Urteilen zu gelangen. Nur zu rasch
entschlossen hat deshalb der damalige
Neichsjnstizminister Schiffer dem Reichsrate
einen Gesetzentwurf unterbreitet, nach wel¬
chem auch die an sich der Militärgerichts¬
barkeit unterstellten, an dem hochverräteri¬
schen Unternehmen vom März 1S20 beteilig¬
ten Personen durch die ordentlichen bürger¬
lichen Gerichte abgeurteilt werden sollen.

So Praktisch dies ist, so sehr muß doch
meines Erachtend gegen dieseRegeluug gerade
vom Standpunkte einer wahren Demokratie
Einspruch erhoben werden; denn bei Lichte
besehen, ist dies nichts anderes, als die alte,
"örhaßtc, vom Volk stets bekämpfte Ka-

[Spaltenumbruch]

binettsjustiz des 18. Jahrhunderts. So haben
es insbesondere in Frankreich die Ludwig XIV.
und XV. gemacht, daß sie für bestimmte An¬
geklagte bestimmte Gerichtshöfe zusammen¬
stellten oder aufsuchten, und darum gerade
war es eine Forderung der großen Revolu¬
tion, daß das Gericht, vor dem sich ein
Angeklagter zu verantworten haben solle, im
voraus bestimmt ist, damit nicht durch Aus¬
wahl der Richter dein Angeklagten ungünstige
Einflüsse wirken können. Diese Forderung
ist aus der Verfassung der französischen Re¬
volution auch in alle deutschen Verfassungen
übergegangen; so bestimmt zum Beispiel
Artikel 7 der alten preußischen Versassuuz:
„Niemand darf seinem gesetzlichen Richter ent¬
zogen werden. Ausnahmegerichte und außer¬
ordentliche Kommissionen sind unstatthaft."
Und unsere neue Reichsverfassung besagt in
Artikel 10k>: „Ausnahmegerichte sind un¬
statthaft. Niemand darf seinem gesetzlichen
Richter entzogen werden."

Dagegen verstößt der Schisfersche Gesetz¬
entwurf ganz unzweifelhaft. Es kann nicht
wegdisputiert werden, daß der gesetzliche
Richter der Offiziere das Militärgericht ist,
welches übrigens gegen sie das Verfahren
bereits eingeleitet hatte. Diesem werden sie
durch die !ex Schiffer entzogen. Alle Zweck¬
mäßigkeitserwägungen, die ich im Eingänge
meines Artikels s-übst betont habe, müssen
zurücktreten vor der Heiligkeit des Gesetzes
und vor allem des obersten Gesetzes, der
Verfassung. Man kann mir nicht einwenden,
daß dies ein formal-juristisches Denken sei,
und daß ungewöhnliche Ereignisse, wie der
Pulses Kapp-Lüttwitz, auch ihre ungewöhn¬
lichen Maßnahmen erheischen. Mit solchen
Argumenten Pflegte auch die monarchische
Kabinettsjustiz ihre Maßnahmen zu recht¬
fertigen. Die Demokratie sollte sich von
gleichen Kunststücken fernhalten. Oder will
man sich in diesem Sensationsprozcfz wieder
dem Einwände der Verteidigung aussetzen,
den schon eine lex Schiffer erlebt hat? Will
man erneut eine solche Verurteilung einer
Gelegenheits - Gesetzgebung erleben,
wie sie eine mutige Strafkammer des Land¬
gerichts III Berlin der lex Schiffer von den

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[0278] Drinnen und draußen Drinnen und draußen Die Ära des NeichsjustizministerS Schiffer hatte den zweifelhaften Vorzug, die eingebrachten Gesetzentwürfe vielfach mit solcher Beschleunigung durchzupeitschen, daß die Entwürfe schon Gesetzeskraft erlangten, ehe wissenschaftliche Bedenken ausgearbeitet und von Zeitungen oder Zeitschriften bei deren bekanntem Papiermangel veröffent¬ licht werden konnten. Nachdem der Entwurf aber einmal Gesetz geworden, verstummt in der Regel die Kritik als zwecklos. Nur in einem Falle darf sie mich wir vollendeten Tatsachen nicht Halt machen, wenn es die Wahrung der Verfassung des Deutschen Reiches gilt. Diese aber ist durch die lox Schiffer betreffend Überweisung der bei dem Kapp-Pulses beteiligten Offiziere zur Aburteilung durch die bürgerlichen Gerichte verletzt, und dies sollte unabhängig von jeder politischen Parieistelluug anerkannt werden. Dus Ausnahmegericht für Lektion- un-i Genossen. Nach dem bis zur lex Schiffer geltenden Rechte gehörten unstreitig Kapp und seine bürgerlichen Mitschuldigen vor die bürger¬ lichen Gerichte, General Lüttwitz und die anderen Offiziere vor die Militärgerichte. Es ist natürlich schwer erträglich, Mittäter, die derart gemeinsam gehandelt haben, wie diese Beschuldigten, vor zwei getrennte Fora zu bringen, zweimal dieselbe Ver¬ handlung mit dem ganzen großen Zeugen¬ apparat aufzurollen und womöglich zu zwei, in wichtigen Punkten einander widersprechen¬ den Urteilen zu gelangen. Nur zu rasch entschlossen hat deshalb der damalige Neichsjnstizminister Schiffer dem Reichsrate einen Gesetzentwurf unterbreitet, nach wel¬ chem auch die an sich der Militärgerichts¬ barkeit unterstellten, an dem hochverräteri¬ schen Unternehmen vom März 1S20 beteilig¬ ten Personen durch die ordentlichen bürger¬ lichen Gerichte abgeurteilt werden sollen. So Praktisch dies ist, so sehr muß doch meines Erachtend gegen dieseRegeluug gerade vom Standpunkte einer wahren Demokratie Einspruch erhoben werden; denn bei Lichte besehen, ist dies nichts anderes, als die alte, "örhaßtc, vom Volk stets bekämpfte Ka- binettsjustiz des 18. Jahrhunderts. So haben es insbesondere in Frankreich die Ludwig XIV. und XV. gemacht, daß sie für bestimmte An¬ geklagte bestimmte Gerichtshöfe zusammen¬ stellten oder aufsuchten, und darum gerade war es eine Forderung der großen Revolu¬ tion, daß das Gericht, vor dem sich ein Angeklagter zu verantworten haben solle, im voraus bestimmt ist, damit nicht durch Aus¬ wahl der Richter dein Angeklagten ungünstige Einflüsse wirken können. Diese Forderung ist aus der Verfassung der französischen Re¬ volution auch in alle deutschen Verfassungen übergegangen; so bestimmt zum Beispiel Artikel 7 der alten preußischen Versassuuz: „Niemand darf seinem gesetzlichen Richter ent¬ zogen werden. Ausnahmegerichte und außer¬ ordentliche Kommissionen sind unstatthaft." Und unsere neue Reichsverfassung besagt in Artikel 10k>: „Ausnahmegerichte sind un¬ statthaft. Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden." Dagegen verstößt der Schisfersche Gesetz¬ entwurf ganz unzweifelhaft. Es kann nicht wegdisputiert werden, daß der gesetzliche Richter der Offiziere das Militärgericht ist, welches übrigens gegen sie das Verfahren bereits eingeleitet hatte. Diesem werden sie durch die !ex Schiffer entzogen. Alle Zweck¬ mäßigkeitserwägungen, die ich im Eingänge meines Artikels s-übst betont habe, müssen zurücktreten vor der Heiligkeit des Gesetzes und vor allem des obersten Gesetzes, der Verfassung. Man kann mir nicht einwenden, daß dies ein formal-juristisches Denken sei, und daß ungewöhnliche Ereignisse, wie der Pulses Kapp-Lüttwitz, auch ihre ungewöhn¬ lichen Maßnahmen erheischen. Mit solchen Argumenten Pflegte auch die monarchische Kabinettsjustiz ihre Maßnahmen zu recht¬ fertigen. Die Demokratie sollte sich von gleichen Kunststücken fernhalten. Oder will man sich in diesem Sensationsprozcfz wieder dem Einwände der Verteidigung aussetzen, den schon eine lex Schiffer erlebt hat? Will man erneut eine solche Verurteilung einer Gelegenheits - Gesetzgebung erleben, wie sie eine mutige Strafkammer des Land¬ gerichts III Berlin der lex Schiffer von den

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Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337236/278>, abgerufen am 28.06.2024.