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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.

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Rußsands neuer Krieg

Die angedeuteten Erfahrungen der Revolution zeigen, wie viel glücklicher
die Verfassung war, die Bismarck dem Reich gegeben hat. Wir haben ferner
gesehen, wie die Reichsgewalt auf den von ihm geschaffenen Grundlagen sich
fortschreitend verstärkte und wie sie im Begriff war, diesen Weg weiter zu gehen.
Diese Entwicklung ist durch die Revolution, die ein annäherndes Chaos schuf,
jäh unterbrochen. So sehr wir eine Verstärkung der Reichsgewalt wünschen, so
können wir doch in einer Beseitigung Preußens nicht das Heil sehen. Denn
gerade der enge Zusammenhalt der preußischen Provinzen, ihre gegenseitige Durch¬
dringung kommt ihnen zu statten, wie zugleich in einem kräftigen preußischen
Staat eine Garantie für das Gedeihen des Reichs liegt. Die Aufteilung Preußens
in seine Provinzen und deren Gleichstellung mit den deutschen Einzelstaatea
würde einen Neichsköiper schaffen, in dem Verhältnisse wie die der alten Rheiu-
buudpolitik von neuem sich einstellen könnten. Der beste Weg bleibt uns immer die
Fortsetzung desjenigen, den das Reich bis zur Revolution gegangen war. Leit¬
stern aber ist uns stets das Gedeihen der ganzen Nation, für welches die Vor¬
aussetzung nicht bloß in den Einrichtungen, sondern auch in dem Geist, der sie
erfüllt, gegeben ist. Die rechte Brauchbarkeit der Verfassungsformen ist an die
Ausbreitung der Kraft des nationalen Gedankens Münden, welche dann freilich
auch wieder die geeigneten Formen finden lassen wird.')




Rußlands neuer Arieg
von Major G. Lrantz

er Sommerfeldzug 1920 in Rußland ist im vollen Gange/Andere
gegenbolschewistische Elemente sind auf den Plan getreten, nachdem
daZ Jahr ,19,9 der Sowjetrepublik den vollen Erfolg gebracht
halte, daß außer gegen Westen und im Baltikum die alten
Grenzen des ehemaligen Zarenreiches im allgemeinen wieder Her-
MM waren. Die Gruppe Judenitsch war völlig zerschlagen, das Kolonialland
Westsibirien zurückgewonnen -- Trümmer der ehemaligen Armee des toten
Koitschak unter Semjonow in Ostsibirien können selbst im Bunde mit Japanern
^orläusig nicht gefährlich werden -- und die Reste der Dcnikinschen Truppen
>ob auf der Krim isoliert. Der Sowjetregicrung wurde der Entschluß, entweder
^tre Atempause zur Konsolidierung der inneren Lage durch Friedensverhandlungen
auszufüllen oder in konsequenter Durchführung des imperialistischen WcltrevolutionS-
progrcnnms neue Opfer zu suchen, von Polen entrissen, das seinerseits durch
den Überfall zwischen Pripjet und Dujestr den Krieg mit Sowjetrußland vom
Imme brach und bis an den Dujepr gelangte.



') Für Belege Wer die ältere Steuergcschichtc verweise ich auf die ausführlichen
schweife in meinem Buch "Probleme der WinschafiZgeschichte" (Tübingen, P. Siebeck).
Die Rede Weizsäckers ist in der "Denischen Revue" 1882, 3. Band, S. 279 ff. gedruckt.
Rußsands neuer Krieg

Die angedeuteten Erfahrungen der Revolution zeigen, wie viel glücklicher
die Verfassung war, die Bismarck dem Reich gegeben hat. Wir haben ferner
gesehen, wie die Reichsgewalt auf den von ihm geschaffenen Grundlagen sich
fortschreitend verstärkte und wie sie im Begriff war, diesen Weg weiter zu gehen.
Diese Entwicklung ist durch die Revolution, die ein annäherndes Chaos schuf,
jäh unterbrochen. So sehr wir eine Verstärkung der Reichsgewalt wünschen, so
können wir doch in einer Beseitigung Preußens nicht das Heil sehen. Denn
gerade der enge Zusammenhalt der preußischen Provinzen, ihre gegenseitige Durch¬
dringung kommt ihnen zu statten, wie zugleich in einem kräftigen preußischen
Staat eine Garantie für das Gedeihen des Reichs liegt. Die Aufteilung Preußens
in seine Provinzen und deren Gleichstellung mit den deutschen Einzelstaatea
würde einen Neichsköiper schaffen, in dem Verhältnisse wie die der alten Rheiu-
buudpolitik von neuem sich einstellen könnten. Der beste Weg bleibt uns immer die
Fortsetzung desjenigen, den das Reich bis zur Revolution gegangen war. Leit¬
stern aber ist uns stets das Gedeihen der ganzen Nation, für welches die Vor¬
aussetzung nicht bloß in den Einrichtungen, sondern auch in dem Geist, der sie
erfüllt, gegeben ist. Die rechte Brauchbarkeit der Verfassungsformen ist an die
Ausbreitung der Kraft des nationalen Gedankens Münden, welche dann freilich
auch wieder die geeigneten Formen finden lassen wird.')




Rußlands neuer Arieg
von Major G. Lrantz

er Sommerfeldzug 1920 in Rußland ist im vollen Gange/Andere
gegenbolschewistische Elemente sind auf den Plan getreten, nachdem
daZ Jahr ,19,9 der Sowjetrepublik den vollen Erfolg gebracht
halte, daß außer gegen Westen und im Baltikum die alten
Grenzen des ehemaligen Zarenreiches im allgemeinen wieder Her-
MM waren. Die Gruppe Judenitsch war völlig zerschlagen, das Kolonialland
Westsibirien zurückgewonnen — Trümmer der ehemaligen Armee des toten
Koitschak unter Semjonow in Ostsibirien können selbst im Bunde mit Japanern
^orläusig nicht gefährlich werden — und die Reste der Dcnikinschen Truppen
>ob auf der Krim isoliert. Der Sowjetregicrung wurde der Entschluß, entweder
^tre Atempause zur Konsolidierung der inneren Lage durch Friedensverhandlungen
auszufüllen oder in konsequenter Durchführung des imperialistischen WcltrevolutionS-
progrcnnms neue Opfer zu suchen, von Polen entrissen, das seinerseits durch
den Überfall zwischen Pripjet und Dujestr den Krieg mit Sowjetrußland vom
Imme brach und bis an den Dujepr gelangte.



') Für Belege Wer die ältere Steuergcschichtc verweise ich auf die ausführlichen
schweife in meinem Buch „Probleme der WinschafiZgeschichte" (Tübingen, P. Siebeck).
Die Rede Weizsäckers ist in der „Denischen Revue" 1882, 3. Band, S. 279 ff. gedruckt.
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[0271] Rußsands neuer Krieg Die angedeuteten Erfahrungen der Revolution zeigen, wie viel glücklicher die Verfassung war, die Bismarck dem Reich gegeben hat. Wir haben ferner gesehen, wie die Reichsgewalt auf den von ihm geschaffenen Grundlagen sich fortschreitend verstärkte und wie sie im Begriff war, diesen Weg weiter zu gehen. Diese Entwicklung ist durch die Revolution, die ein annäherndes Chaos schuf, jäh unterbrochen. So sehr wir eine Verstärkung der Reichsgewalt wünschen, so können wir doch in einer Beseitigung Preußens nicht das Heil sehen. Denn gerade der enge Zusammenhalt der preußischen Provinzen, ihre gegenseitige Durch¬ dringung kommt ihnen zu statten, wie zugleich in einem kräftigen preußischen Staat eine Garantie für das Gedeihen des Reichs liegt. Die Aufteilung Preußens in seine Provinzen und deren Gleichstellung mit den deutschen Einzelstaatea würde einen Neichsköiper schaffen, in dem Verhältnisse wie die der alten Rheiu- buudpolitik von neuem sich einstellen könnten. Der beste Weg bleibt uns immer die Fortsetzung desjenigen, den das Reich bis zur Revolution gegangen war. Leit¬ stern aber ist uns stets das Gedeihen der ganzen Nation, für welches die Vor¬ aussetzung nicht bloß in den Einrichtungen, sondern auch in dem Geist, der sie erfüllt, gegeben ist. Die rechte Brauchbarkeit der Verfassungsformen ist an die Ausbreitung der Kraft des nationalen Gedankens Münden, welche dann freilich auch wieder die geeigneten Formen finden lassen wird.') Rußlands neuer Arieg von Major G. Lrantz er Sommerfeldzug 1920 in Rußland ist im vollen Gange/Andere gegenbolschewistische Elemente sind auf den Plan getreten, nachdem daZ Jahr ,19,9 der Sowjetrepublik den vollen Erfolg gebracht halte, daß außer gegen Westen und im Baltikum die alten Grenzen des ehemaligen Zarenreiches im allgemeinen wieder Her- MM waren. Die Gruppe Judenitsch war völlig zerschlagen, das Kolonialland Westsibirien zurückgewonnen — Trümmer der ehemaligen Armee des toten Koitschak unter Semjonow in Ostsibirien können selbst im Bunde mit Japanern ^orläusig nicht gefährlich werden — und die Reste der Dcnikinschen Truppen >ob auf der Krim isoliert. Der Sowjetregicrung wurde der Entschluß, entweder ^tre Atempause zur Konsolidierung der inneren Lage durch Friedensverhandlungen auszufüllen oder in konsequenter Durchführung des imperialistischen WcltrevolutionS- progrcnnms neue Opfer zu suchen, von Polen entrissen, das seinerseits durch den Überfall zwischen Pripjet und Dujestr den Krieg mit Sowjetrußland vom Imme brach und bis an den Dujepr gelangte. ') Für Belege Wer die ältere Steuergcschichtc verweise ich auf die ausführlichen schweife in meinem Buch „Probleme der WinschafiZgeschichte" (Tübingen, P. Siebeck). Die Rede Weizsäckers ist in der „Denischen Revue" 1882, 3. Band, S. 279 ff. gedruckt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337236/271>, abgerufen am 20.09.2024.