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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr.

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"Kardinalfehler unserer Politik"

Kardinalfehler unserer Politik
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Von geschätzter gutunterrichteter Seite gehen uns die nach¬
folgenden interessanten Ausführungen zu, die sich auf Grund guter
Einblicke in die deutsch-russischen Beziehungen in den letzten Jahr¬
zehnten mit der Anklage auseinandersetzen, die vielfach gegen unsere
offizielle Rußlandspolitik erhoben werden. Wir geben ihnen gern
Raum, ohne uns im einzelnen auf den Standpunkt des Verfassers
B. festlegen zu wollen.

utar diesem Titel ist im "Staatspolitischen Verlage" ein Buch
jDr, W. Spickernagels erschienen. Jeder, der an der Politik
Deutschlands in der Zeit vor dem Kriege und während des Krieges
Anteil nimmt, wird es, wenn er ihm auch nicht in allem bei-
stimmen kann, mit großem Interesse lesen. Der Verfasser ist auf-
nierksam den verschlungenen Wegen der Beziehungen Deutschlands zu Nußland
nachgegangen, das von ihm entworfene Bild gibt Anregung zu den hochwichtigen
Magen, warum das alte Bundesverhältnis Rußlands zu Deutschland sich lockerte
"ut warum, nachdem der Krieg ausgebrochen, der von militärischer Seite heiß
ersehnte Sonderfrieden mit dem Gegner im Osten nicht erreicht wurde.

Spickernagel sieht im Verhältnis Deutschlands zu Rußland den
ersten Kardinalfehler der deutschen Politik: Die "Abkehr von Bismarck, die
^chterneuerung des RückVersicherungsvertrages trieben den alten Bundesgenossen
die Arme der Westmächte, die Proklamierung des polnischen Staates erschwerte
den Sonderfrieden aufs äußerste, ungeschickte Behandlung Rußlands erstickte dessen
Friedenswillen!" Da wir mit dem Verfasser in diesen Fragen nicht übereinstimmen,
w> sie weiter unten einer genaueren Besprechung unterzogen. Mit Recht
lrd in dem lebendig geschriebenen Buche hervorgehoben, wie die deutsche Demo-
ratie, die die Niederwerfung des zarischen Rußlands als Kampfziel propagiert
h°ete, später zu Unrecht den Brester Frieden als einen "Gewaltfrieden" ver-
urteilte: war doch der Frieden mit Einwilligung der Mehrheitsparteien des
Reichstages geschlossen, von führenden Demokraten, dem "Berliner Tageblatt"
und der "Frankfurter Zeitung" noch im Februar und März 1918 in warmen
Porter anerkannt worden! "Dennoch", fährt der Verfasser fort, "war der
M-ete von Brest-Litowsk ein Fehler! Er stellte die Bolschewismen nicht
üufrieden, wie denn eine friedliche Verständigung mit diesen nach der Wslt-
revolution strebenden Gewaltpolitikern überhaupt unmöglich war. Andererseits
lMigte aber das Verhandeln der Mittelmächte mit der Sowjetregierung als
^'ner gleichberechtigten Partnerin ungewollt deren Stellung in ihrem Lande und
pansee uns bei allen russischen Vaterlandsfreunden in schweren Mißkredit. Das
^este wäre wohl gewesen, mit den Bolschewisten überhaupt keinen
Frieden zu schließen, sondern lediglich Vorkehrungen zu treffen, die den
Wutärischen Bedürfnissen der noch vor schweren Entscheidungskämpfen stehenden
^lttelmächte in geeigneter Weise Rechnung tragen und ein Eindringen der
bolschewistischen Propaganda in Heer und Heimat nach Möglichkeit verhüten
konnten."


„Kardinalfehler unserer Politik"

Kardinalfehler unserer Politik
v " » " on

Von geschätzter gutunterrichteter Seite gehen uns die nach¬
folgenden interessanten Ausführungen zu, die sich auf Grund guter
Einblicke in die deutsch-russischen Beziehungen in den letzten Jahr¬
zehnten mit der Anklage auseinandersetzen, die vielfach gegen unsere
offizielle Rußlandspolitik erhoben werden. Wir geben ihnen gern
Raum, ohne uns im einzelnen auf den Standpunkt des Verfassers
B. festlegen zu wollen.

utar diesem Titel ist im „Staatspolitischen Verlage" ein Buch
jDr, W. Spickernagels erschienen. Jeder, der an der Politik
Deutschlands in der Zeit vor dem Kriege und während des Krieges
Anteil nimmt, wird es, wenn er ihm auch nicht in allem bei-
stimmen kann, mit großem Interesse lesen. Der Verfasser ist auf-
nierksam den verschlungenen Wegen der Beziehungen Deutschlands zu Nußland
nachgegangen, das von ihm entworfene Bild gibt Anregung zu den hochwichtigen
Magen, warum das alte Bundesverhältnis Rußlands zu Deutschland sich lockerte
"ut warum, nachdem der Krieg ausgebrochen, der von militärischer Seite heiß
ersehnte Sonderfrieden mit dem Gegner im Osten nicht erreicht wurde.

Spickernagel sieht im Verhältnis Deutschlands zu Rußland den
ersten Kardinalfehler der deutschen Politik: Die „Abkehr von Bismarck, die
^chterneuerung des RückVersicherungsvertrages trieben den alten Bundesgenossen
die Arme der Westmächte, die Proklamierung des polnischen Staates erschwerte
den Sonderfrieden aufs äußerste, ungeschickte Behandlung Rußlands erstickte dessen
Friedenswillen!" Da wir mit dem Verfasser in diesen Fragen nicht übereinstimmen,
w> sie weiter unten einer genaueren Besprechung unterzogen. Mit Recht
lrd in dem lebendig geschriebenen Buche hervorgehoben, wie die deutsche Demo-
ratie, die die Niederwerfung des zarischen Rußlands als Kampfziel propagiert
h°ete, später zu Unrecht den Brester Frieden als einen „Gewaltfrieden" ver-
urteilte: war doch der Frieden mit Einwilligung der Mehrheitsparteien des
Reichstages geschlossen, von führenden Demokraten, dem „Berliner Tageblatt"
und der „Frankfurter Zeitung" noch im Februar und März 1918 in warmen
Porter anerkannt worden! „Dennoch", fährt der Verfasser fort, „war der
M-ete von Brest-Litowsk ein Fehler! Er stellte die Bolschewismen nicht
üufrieden, wie denn eine friedliche Verständigung mit diesen nach der Wslt-
revolution strebenden Gewaltpolitikern überhaupt unmöglich war. Andererseits
lMigte aber das Verhandeln der Mittelmächte mit der Sowjetregierung als
^'ner gleichberechtigten Partnerin ungewollt deren Stellung in ihrem Lande und
pansee uns bei allen russischen Vaterlandsfreunden in schweren Mißkredit. Das
^este wäre wohl gewesen, mit den Bolschewisten überhaupt keinen
Frieden zu schließen, sondern lediglich Vorkehrungen zu treffen, die den
Wutärischen Bedürfnissen der noch vor schweren Entscheidungskämpfen stehenden
^lttelmächte in geeigneter Weise Rechnung tragen und ein Eindringen der
bolschewistischen Propaganda in Heer und Heimat nach Möglichkeit verhüten
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[0163] „Kardinalfehler unserer Politik" Kardinalfehler unserer Politik v " » " on Von geschätzter gutunterrichteter Seite gehen uns die nach¬ folgenden interessanten Ausführungen zu, die sich auf Grund guter Einblicke in die deutsch-russischen Beziehungen in den letzten Jahr¬ zehnten mit der Anklage auseinandersetzen, die vielfach gegen unsere offizielle Rußlandspolitik erhoben werden. Wir geben ihnen gern Raum, ohne uns im einzelnen auf den Standpunkt des Verfassers B. festlegen zu wollen. utar diesem Titel ist im „Staatspolitischen Verlage" ein Buch jDr, W. Spickernagels erschienen. Jeder, der an der Politik Deutschlands in der Zeit vor dem Kriege und während des Krieges Anteil nimmt, wird es, wenn er ihm auch nicht in allem bei- stimmen kann, mit großem Interesse lesen. Der Verfasser ist auf- nierksam den verschlungenen Wegen der Beziehungen Deutschlands zu Nußland nachgegangen, das von ihm entworfene Bild gibt Anregung zu den hochwichtigen Magen, warum das alte Bundesverhältnis Rußlands zu Deutschland sich lockerte "ut warum, nachdem der Krieg ausgebrochen, der von militärischer Seite heiß ersehnte Sonderfrieden mit dem Gegner im Osten nicht erreicht wurde. Spickernagel sieht im Verhältnis Deutschlands zu Rußland den ersten Kardinalfehler der deutschen Politik: Die „Abkehr von Bismarck, die ^chterneuerung des RückVersicherungsvertrages trieben den alten Bundesgenossen die Arme der Westmächte, die Proklamierung des polnischen Staates erschwerte den Sonderfrieden aufs äußerste, ungeschickte Behandlung Rußlands erstickte dessen Friedenswillen!" Da wir mit dem Verfasser in diesen Fragen nicht übereinstimmen, w> sie weiter unten einer genaueren Besprechung unterzogen. Mit Recht lrd in dem lebendig geschriebenen Buche hervorgehoben, wie die deutsche Demo- ratie, die die Niederwerfung des zarischen Rußlands als Kampfziel propagiert h°ete, später zu Unrecht den Brester Frieden als einen „Gewaltfrieden" ver- urteilte: war doch der Frieden mit Einwilligung der Mehrheitsparteien des Reichstages geschlossen, von führenden Demokraten, dem „Berliner Tageblatt" und der „Frankfurter Zeitung" noch im Februar und März 1918 in warmen Porter anerkannt worden! „Dennoch", fährt der Verfasser fort, „war der M-ete von Brest-Litowsk ein Fehler! Er stellte die Bolschewismen nicht üufrieden, wie denn eine friedliche Verständigung mit diesen nach der Wslt- revolution strebenden Gewaltpolitikern überhaupt unmöglich war. Andererseits lMigte aber das Verhandeln der Mittelmächte mit der Sowjetregierung als ^'ner gleichberechtigten Partnerin ungewollt deren Stellung in ihrem Lande und pansee uns bei allen russischen Vaterlandsfreunden in schweren Mißkredit. Das ^este wäre wohl gewesen, mit den Bolschewisten überhaupt keinen Frieden zu schließen, sondern lediglich Vorkehrungen zu treffen, die den Wutärischen Bedürfnissen der noch vor schweren Entscheidungskämpfen stehenden ^lttelmächte in geeigneter Weise Rechnung tragen und ein Eindringen der bolschewistischen Propaganda in Heer und Heimat nach Möglichkeit verhüten konnten."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_337236/163>, abgerufen am 22.07.2024.