Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das asiatische Problem

Das asiatische Problem
Arthur Dix von

n seinem Ringen um unbegrenzte Weltherrschaft scheint der Bol¬
schewismus zunächst dahin gelangen zu wollen, alle Länder Asiens
zu durchdringen und die übrige Welt vor ein allasiatisches
Problem zu stellen. Die Versuche einer Überflutung Europas durch
Deutschland hindurch haben nicht mit der erhofften Schnelligkeit zum
vollen Erfolg geführt, und ohne daß sie etwa aufgegeben wurden, wendet sich der
Ausbreitungsdrang und die Hauptstoßkraft des Bolschewismus nun zunächst in
östlicher und südöstlicher Richtung den nach Hunderten von Millionen zählenden
Völkern Chinas und Indiens zu. Diese neue Betätigung des bolschewistischen
Geistes zwingt uns nur noch mehr, ihn zu bewerten als die ja nicht zu unter¬
schätzende Kraft einer gleichsam religiösen Idee und die weltpolitische Wirkung
seiner Ausbreitungssucht entsprechend hoch zu veranschlagen.

Asien ist seit jeher das Mutterland aller großen religiösen Bewegungen.
Alle Weltreligionen haben asiatischen Ursprung. Als die sogenannte Aufklärungs¬
zeit in den führenden westlichen Kulturländern den religiösen Geist zurückgedrängt
hatte, da suchte sich von europäischem Boden aus an die Stelle der jenseitsgläubigen
Religionen eine neue materialistische Weltauffassung zu setzen, die sich auch ihrer¬
seits gleich den alten Religionen an die "Mühseligen und Beladenen", an die
breiten, gedrückten Volksschichten wandte, und die den Jenseitsglauben ersetzen
wollte durch den Glauben an die Erringbarkeit einer diesseitigen Glückseligkeit der
Armen und Bedrängten durch das Mittel des internationalen Sozialismus und
Kommunismus.

Mögen die theoretischen und politischen Erben des Marxismus in Deutsch¬
land noch so haarscharf und mit noch so guten Gründen logisch beweisen, daß
die Bolschewisten den Marxismus auf den Kopf stellen, daß sie die Überleitung
vom Kapitalismus zum Kommunismus zur falschen Zeit und mit falschen Mitteln
unternehmen -- in großen Zügen betrachtet, bleibt schließlich doch die Tatsache
bestehen, daß Karl Marx der "Johannes" der neuen russischen Heilslehre war,
denn er hat den Boden bereitet für den Glauben an die Überwindung des Kapi¬
talismus durch Sozialismus und Kommunismus als Ersatz der Jenseitshoffnung
und für den Ersatz des Bauens auf überirdische Gnade durch die Hoffnung auf
den Zukunftsstaat im Diesseits, auf den Übergang der Herrschaft in die Hände
des geknechteten Proletariats. So stark auch die Einwirkung des marxistischen
Sozialismus bereits gewesen: den übrigens auch in der Vorgeschichte alter
Religionen deutlich verfolgbaren kommunistischen Gedanken aufs Neue zum Träger
einer Bewegung von religiöser Kraft zu machen, war den asiatischen Umbildnern
des Marxismus vorbehalten. Denn als Asiaten muß man auch jene Moskowiter
ansprechen, die zu den eigentlichen Vorkämpfern des bolschewistischen Gedankens
geworden sind, die Russen mongolisch-tatarischen Stammes wie Lenin, und ihre
internationalen Propheten semitischer Herkunft.

Mit jeder großen Religionsbewegung hat der Bolschewismus auch das
Streben nach Weltherrschaft gemein. "Gehet hin in alle Welt und lehret alle
Völkerl" Neben der Kraft der Überzeugung, auf die das Christentum seine Aus-


Grenzboten I 1920 6
Das asiatische Problem

Das asiatische Problem
Arthur Dix von

n seinem Ringen um unbegrenzte Weltherrschaft scheint der Bol¬
schewismus zunächst dahin gelangen zu wollen, alle Länder Asiens
zu durchdringen und die übrige Welt vor ein allasiatisches
Problem zu stellen. Die Versuche einer Überflutung Europas durch
Deutschland hindurch haben nicht mit der erhofften Schnelligkeit zum
vollen Erfolg geführt, und ohne daß sie etwa aufgegeben wurden, wendet sich der
Ausbreitungsdrang und die Hauptstoßkraft des Bolschewismus nun zunächst in
östlicher und südöstlicher Richtung den nach Hunderten von Millionen zählenden
Völkern Chinas und Indiens zu. Diese neue Betätigung des bolschewistischen
Geistes zwingt uns nur noch mehr, ihn zu bewerten als die ja nicht zu unter¬
schätzende Kraft einer gleichsam religiösen Idee und die weltpolitische Wirkung
seiner Ausbreitungssucht entsprechend hoch zu veranschlagen.

Asien ist seit jeher das Mutterland aller großen religiösen Bewegungen.
Alle Weltreligionen haben asiatischen Ursprung. Als die sogenannte Aufklärungs¬
zeit in den führenden westlichen Kulturländern den religiösen Geist zurückgedrängt
hatte, da suchte sich von europäischem Boden aus an die Stelle der jenseitsgläubigen
Religionen eine neue materialistische Weltauffassung zu setzen, die sich auch ihrer¬
seits gleich den alten Religionen an die „Mühseligen und Beladenen", an die
breiten, gedrückten Volksschichten wandte, und die den Jenseitsglauben ersetzen
wollte durch den Glauben an die Erringbarkeit einer diesseitigen Glückseligkeit der
Armen und Bedrängten durch das Mittel des internationalen Sozialismus und
Kommunismus.

Mögen die theoretischen und politischen Erben des Marxismus in Deutsch¬
land noch so haarscharf und mit noch so guten Gründen logisch beweisen, daß
die Bolschewisten den Marxismus auf den Kopf stellen, daß sie die Überleitung
vom Kapitalismus zum Kommunismus zur falschen Zeit und mit falschen Mitteln
unternehmen — in großen Zügen betrachtet, bleibt schließlich doch die Tatsache
bestehen, daß Karl Marx der „Johannes" der neuen russischen Heilslehre war,
denn er hat den Boden bereitet für den Glauben an die Überwindung des Kapi¬
talismus durch Sozialismus und Kommunismus als Ersatz der Jenseitshoffnung
und für den Ersatz des Bauens auf überirdische Gnade durch die Hoffnung auf
den Zukunftsstaat im Diesseits, auf den Übergang der Herrschaft in die Hände
des geknechteten Proletariats. So stark auch die Einwirkung des marxistischen
Sozialismus bereits gewesen: den übrigens auch in der Vorgeschichte alter
Religionen deutlich verfolgbaren kommunistischen Gedanken aufs Neue zum Träger
einer Bewegung von religiöser Kraft zu machen, war den asiatischen Umbildnern
des Marxismus vorbehalten. Denn als Asiaten muß man auch jene Moskowiter
ansprechen, die zu den eigentlichen Vorkämpfern des bolschewistischen Gedankens
geworden sind, die Russen mongolisch-tatarischen Stammes wie Lenin, und ihre
internationalen Propheten semitischer Herkunft.

Mit jeder großen Religionsbewegung hat der Bolschewismus auch das
Streben nach Weltherrschaft gemein. „Gehet hin in alle Welt und lehret alle
Völkerl" Neben der Kraft der Überzeugung, auf die das Christentum seine Aus-


Grenzboten I 1920 6
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0095" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336940"/>
          <fw type="header" place="top"> Das asiatische Problem</fw><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Das asiatische Problem<lb/><note type="byline"> Arthur Dix</note> von</head><lb/>
          <p xml:id="ID_273"> n seinem Ringen um unbegrenzte Weltherrschaft scheint der Bol¬<lb/>
schewismus zunächst dahin gelangen zu wollen, alle Länder Asiens<lb/>
zu durchdringen und die übrige Welt vor ein allasiatisches<lb/>
Problem zu stellen. Die Versuche einer Überflutung Europas durch<lb/>
Deutschland hindurch haben nicht mit der erhofften Schnelligkeit zum<lb/>
vollen Erfolg geführt, und ohne daß sie etwa aufgegeben wurden, wendet sich der<lb/>
Ausbreitungsdrang und die Hauptstoßkraft des Bolschewismus nun zunächst in<lb/>
östlicher und südöstlicher Richtung den nach Hunderten von Millionen zählenden<lb/>
Völkern Chinas und Indiens zu. Diese neue Betätigung des bolschewistischen<lb/>
Geistes zwingt uns nur noch mehr, ihn zu bewerten als die ja nicht zu unter¬<lb/>
schätzende Kraft einer gleichsam religiösen Idee und die weltpolitische Wirkung<lb/>
seiner Ausbreitungssucht entsprechend hoch zu veranschlagen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_274"> Asien ist seit jeher das Mutterland aller großen religiösen Bewegungen.<lb/>
Alle Weltreligionen haben asiatischen Ursprung. Als die sogenannte Aufklärungs¬<lb/>
zeit in den führenden westlichen Kulturländern den religiösen Geist zurückgedrängt<lb/>
hatte, da suchte sich von europäischem Boden aus an die Stelle der jenseitsgläubigen<lb/>
Religionen eine neue materialistische Weltauffassung zu setzen, die sich auch ihrer¬<lb/>
seits gleich den alten Religionen an die &#x201E;Mühseligen und Beladenen", an die<lb/>
breiten, gedrückten Volksschichten wandte, und die den Jenseitsglauben ersetzen<lb/>
wollte durch den Glauben an die Erringbarkeit einer diesseitigen Glückseligkeit der<lb/>
Armen und Bedrängten durch das Mittel des internationalen Sozialismus und<lb/>
Kommunismus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_275"> Mögen die theoretischen und politischen Erben des Marxismus in Deutsch¬<lb/>
land noch so haarscharf und mit noch so guten Gründen logisch beweisen, daß<lb/>
die Bolschewisten den Marxismus auf den Kopf stellen, daß sie die Überleitung<lb/>
vom Kapitalismus zum Kommunismus zur falschen Zeit und mit falschen Mitteln<lb/>
unternehmen &#x2014; in großen Zügen betrachtet, bleibt schließlich doch die Tatsache<lb/>
bestehen, daß Karl Marx der &#x201E;Johannes" der neuen russischen Heilslehre war,<lb/>
denn er hat den Boden bereitet für den Glauben an die Überwindung des Kapi¬<lb/>
talismus durch Sozialismus und Kommunismus als Ersatz der Jenseitshoffnung<lb/>
und für den Ersatz des Bauens auf überirdische Gnade durch die Hoffnung auf<lb/>
den Zukunftsstaat im Diesseits, auf den Übergang der Herrschaft in die Hände<lb/>
des geknechteten Proletariats. So stark auch die Einwirkung des marxistischen<lb/>
Sozialismus bereits gewesen: den übrigens auch in der Vorgeschichte alter<lb/>
Religionen deutlich verfolgbaren kommunistischen Gedanken aufs Neue zum Träger<lb/>
einer Bewegung von religiöser Kraft zu machen, war den asiatischen Umbildnern<lb/>
des Marxismus vorbehalten. Denn als Asiaten muß man auch jene Moskowiter<lb/>
ansprechen, die zu den eigentlichen Vorkämpfern des bolschewistischen Gedankens<lb/>
geworden sind, die Russen mongolisch-tatarischen Stammes wie Lenin, und ihre<lb/>
internationalen Propheten semitischer Herkunft.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_276" next="#ID_277"> Mit jeder großen Religionsbewegung hat der Bolschewismus auch das<lb/>
Streben nach Weltherrschaft gemein. &#x201E;Gehet hin in alle Welt und lehret alle<lb/>
Völkerl" Neben der Kraft der Überzeugung, auf die das Christentum seine Aus-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 1920 6</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0095] Das asiatische Problem Das asiatische Problem Arthur Dix von n seinem Ringen um unbegrenzte Weltherrschaft scheint der Bol¬ schewismus zunächst dahin gelangen zu wollen, alle Länder Asiens zu durchdringen und die übrige Welt vor ein allasiatisches Problem zu stellen. Die Versuche einer Überflutung Europas durch Deutschland hindurch haben nicht mit der erhofften Schnelligkeit zum vollen Erfolg geführt, und ohne daß sie etwa aufgegeben wurden, wendet sich der Ausbreitungsdrang und die Hauptstoßkraft des Bolschewismus nun zunächst in östlicher und südöstlicher Richtung den nach Hunderten von Millionen zählenden Völkern Chinas und Indiens zu. Diese neue Betätigung des bolschewistischen Geistes zwingt uns nur noch mehr, ihn zu bewerten als die ja nicht zu unter¬ schätzende Kraft einer gleichsam religiösen Idee und die weltpolitische Wirkung seiner Ausbreitungssucht entsprechend hoch zu veranschlagen. Asien ist seit jeher das Mutterland aller großen religiösen Bewegungen. Alle Weltreligionen haben asiatischen Ursprung. Als die sogenannte Aufklärungs¬ zeit in den führenden westlichen Kulturländern den religiösen Geist zurückgedrängt hatte, da suchte sich von europäischem Boden aus an die Stelle der jenseitsgläubigen Religionen eine neue materialistische Weltauffassung zu setzen, die sich auch ihrer¬ seits gleich den alten Religionen an die „Mühseligen und Beladenen", an die breiten, gedrückten Volksschichten wandte, und die den Jenseitsglauben ersetzen wollte durch den Glauben an die Erringbarkeit einer diesseitigen Glückseligkeit der Armen und Bedrängten durch das Mittel des internationalen Sozialismus und Kommunismus. Mögen die theoretischen und politischen Erben des Marxismus in Deutsch¬ land noch so haarscharf und mit noch so guten Gründen logisch beweisen, daß die Bolschewisten den Marxismus auf den Kopf stellen, daß sie die Überleitung vom Kapitalismus zum Kommunismus zur falschen Zeit und mit falschen Mitteln unternehmen — in großen Zügen betrachtet, bleibt schließlich doch die Tatsache bestehen, daß Karl Marx der „Johannes" der neuen russischen Heilslehre war, denn er hat den Boden bereitet für den Glauben an die Überwindung des Kapi¬ talismus durch Sozialismus und Kommunismus als Ersatz der Jenseitshoffnung und für den Ersatz des Bauens auf überirdische Gnade durch die Hoffnung auf den Zukunftsstaat im Diesseits, auf den Übergang der Herrschaft in die Hände des geknechteten Proletariats. So stark auch die Einwirkung des marxistischen Sozialismus bereits gewesen: den übrigens auch in der Vorgeschichte alter Religionen deutlich verfolgbaren kommunistischen Gedanken aufs Neue zum Träger einer Bewegung von religiöser Kraft zu machen, war den asiatischen Umbildnern des Marxismus vorbehalten. Denn als Asiaten muß man auch jene Moskowiter ansprechen, die zu den eigentlichen Vorkämpfern des bolschewistischen Gedankens geworden sind, die Russen mongolisch-tatarischen Stammes wie Lenin, und ihre internationalen Propheten semitischer Herkunft. Mit jeder großen Religionsbewegung hat der Bolschewismus auch das Streben nach Weltherrschaft gemein. „Gehet hin in alle Welt und lehret alle Völkerl" Neben der Kraft der Überzeugung, auf die das Christentum seine Aus- Grenzboten I 1920 6

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/95
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/95>, abgerufen am 21.12.2024.