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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Kommunismus und Syndikalismus in Deutschland

Die deutschen Syndikalisten haben sich auf ihrem letzten Kongreß ebenso,
wie die Kommunisten und später die Unabhängigen und Mehrheitssozialisten --
als Anhänger der Arbeiterräte bekannt. Aber der Aufbau dieser Arbeiterräte
muß nach syndikalistischer Auffassung ganz anders erfolgen, als die Kommunisten
es wollen. Auch hier tritt wiederum der Umstand zutage, daß die Syndikalisten
stets die wirtschaftliche Frage in den Vordergrund drängen, daß die politische
Seite für sie völlig nebensächlicher Natur ist. Nach Ansicht der Syndikalisten
nutz das Rätesystem "im Schoße der Gewerkschaft" errichtet werden, während
die Kommunisten die Gewerkschaften als konterrevolutionär bezeichnen und an
ihrer Stelle revolutionäre wirtschaftliche Kampforganisationen schaffen wollen.
Nach Ansicht der K. P. D. haben die Räte durchaus eine politische Bedeutung und
sollen, wie bereits die Heidelberger Leitsätze betonen, für das Proletariat dasselbe
sein, was für die Bourgeoisie das Parlament ist. Ein wesentlicher Unterschied
zwischen Syndikalismus und Kommunismus liegt auch darin, daß die Syndi¬
kalisten Föderalisten sind, während die Kommunisten straffe Zentralisten sind.
"Föderalismus in solchen Zeiten", heißt es in den Heidelberger Leitsätzen, "ist
nur die versteckte Form für die Verneinung und Auflösung der Partei, weil
Föderalismus in Wirklichkeit die Partei lahmt." Auch die deutschen Syndikalisten
sind genau so wie die französischen revolutionären Syndikalisten Anhänger der
"direkten Aktion", das heißt der jederzeit selbständigen Tat der Massen und der
Ausschaltung aller Mittelspersonen im Kampfe des Proletariats mit dem Unter¬
nehmertum. Auch der Einzelstreik ist daher bei den Syndikalisten von größter
Bedeutung I Das Ziel der "direkten Aktion" ist die Besitzergreifung der Pro¬
duktionsmittel, nicht durch den Staat, sondern durch einzelne Betriebsgruppen
der Arbeiter.

Angesichts der schweren politischen Krisen, denen wir in den nächsten Wochen
entgegengehen, gebührt den hier skizzierten Spaltungserscheinungen innerhalb der
radikalen Linken eine ungleich ernstere und gründlichere Beachtung, als das bislang
in der bürgerlichen Presse geschah. Der Zersetzungsprozeß, der unser ganzes
Parteileben ergriffen hat, spiegelt sich hier im kleinen wieder. Auch das Wider¬
einander politischer und wirtschaftlicher Einstellung, der Versuch der wirtschafts¬
organisatorischen Kräfte, sich aus dem Prokrustesbett der politischen Partei-
dogmatik zu befreien, zeigt rechts und links recht bedeutsame Gleichläufigkeiten.
Die schwere Frage, die keine Partei für sich und auch kein Parteimechanismus
lösen kann, bleibt eine organische Umgestaltung der Wirtschaft, bevor die explo¬
siven Energien das ganze Gebäude in die Luft sprengen. Es ist die furchtbare
Tragik unserer seelischen Lage, daß durch Phrase, Vorurteil, Ressentiment und
Leidenschaft der Weg einer Zusammenfassung aller Volkskräfte so arg verrammelt
ist, die allein einen heilsamen Wiederaufbau und eine wirkliche Gesundung verbirgt.




Kommunismus und Syndikalismus in Deutschland

Die deutschen Syndikalisten haben sich auf ihrem letzten Kongreß ebenso,
wie die Kommunisten und später die Unabhängigen und Mehrheitssozialisten —
als Anhänger der Arbeiterräte bekannt. Aber der Aufbau dieser Arbeiterräte
muß nach syndikalistischer Auffassung ganz anders erfolgen, als die Kommunisten
es wollen. Auch hier tritt wiederum der Umstand zutage, daß die Syndikalisten
stets die wirtschaftliche Frage in den Vordergrund drängen, daß die politische
Seite für sie völlig nebensächlicher Natur ist. Nach Ansicht der Syndikalisten
nutz das Rätesystem „im Schoße der Gewerkschaft" errichtet werden, während
die Kommunisten die Gewerkschaften als konterrevolutionär bezeichnen und an
ihrer Stelle revolutionäre wirtschaftliche Kampforganisationen schaffen wollen.
Nach Ansicht der K. P. D. haben die Räte durchaus eine politische Bedeutung und
sollen, wie bereits die Heidelberger Leitsätze betonen, für das Proletariat dasselbe
sein, was für die Bourgeoisie das Parlament ist. Ein wesentlicher Unterschied
zwischen Syndikalismus und Kommunismus liegt auch darin, daß die Syndi¬
kalisten Föderalisten sind, während die Kommunisten straffe Zentralisten sind.
„Föderalismus in solchen Zeiten", heißt es in den Heidelberger Leitsätzen, „ist
nur die versteckte Form für die Verneinung und Auflösung der Partei, weil
Föderalismus in Wirklichkeit die Partei lahmt." Auch die deutschen Syndikalisten
sind genau so wie die französischen revolutionären Syndikalisten Anhänger der
„direkten Aktion", das heißt der jederzeit selbständigen Tat der Massen und der
Ausschaltung aller Mittelspersonen im Kampfe des Proletariats mit dem Unter¬
nehmertum. Auch der Einzelstreik ist daher bei den Syndikalisten von größter
Bedeutung I Das Ziel der „direkten Aktion" ist die Besitzergreifung der Pro¬
duktionsmittel, nicht durch den Staat, sondern durch einzelne Betriebsgruppen
der Arbeiter.

Angesichts der schweren politischen Krisen, denen wir in den nächsten Wochen
entgegengehen, gebührt den hier skizzierten Spaltungserscheinungen innerhalb der
radikalen Linken eine ungleich ernstere und gründlichere Beachtung, als das bislang
in der bürgerlichen Presse geschah. Der Zersetzungsprozeß, der unser ganzes
Parteileben ergriffen hat, spiegelt sich hier im kleinen wieder. Auch das Wider¬
einander politischer und wirtschaftlicher Einstellung, der Versuch der wirtschafts¬
organisatorischen Kräfte, sich aus dem Prokrustesbett der politischen Partei-
dogmatik zu befreien, zeigt rechts und links recht bedeutsame Gleichläufigkeiten.
Die schwere Frage, die keine Partei für sich und auch kein Parteimechanismus
lösen kann, bleibt eine organische Umgestaltung der Wirtschaft, bevor die explo¬
siven Energien das ganze Gebäude in die Luft sprengen. Es ist die furchtbare
Tragik unserer seelischen Lage, daß durch Phrase, Vorurteil, Ressentiment und
Leidenschaft der Weg einer Zusammenfassung aller Volkskräfte so arg verrammelt
ist, die allein einen heilsamen Wiederaufbau und eine wirkliche Gesundung verbirgt.




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[0094] Kommunismus und Syndikalismus in Deutschland Die deutschen Syndikalisten haben sich auf ihrem letzten Kongreß ebenso, wie die Kommunisten und später die Unabhängigen und Mehrheitssozialisten — als Anhänger der Arbeiterräte bekannt. Aber der Aufbau dieser Arbeiterräte muß nach syndikalistischer Auffassung ganz anders erfolgen, als die Kommunisten es wollen. Auch hier tritt wiederum der Umstand zutage, daß die Syndikalisten stets die wirtschaftliche Frage in den Vordergrund drängen, daß die politische Seite für sie völlig nebensächlicher Natur ist. Nach Ansicht der Syndikalisten nutz das Rätesystem „im Schoße der Gewerkschaft" errichtet werden, während die Kommunisten die Gewerkschaften als konterrevolutionär bezeichnen und an ihrer Stelle revolutionäre wirtschaftliche Kampforganisationen schaffen wollen. Nach Ansicht der K. P. D. haben die Räte durchaus eine politische Bedeutung und sollen, wie bereits die Heidelberger Leitsätze betonen, für das Proletariat dasselbe sein, was für die Bourgeoisie das Parlament ist. Ein wesentlicher Unterschied zwischen Syndikalismus und Kommunismus liegt auch darin, daß die Syndi¬ kalisten Föderalisten sind, während die Kommunisten straffe Zentralisten sind. „Föderalismus in solchen Zeiten", heißt es in den Heidelberger Leitsätzen, „ist nur die versteckte Form für die Verneinung und Auflösung der Partei, weil Föderalismus in Wirklichkeit die Partei lahmt." Auch die deutschen Syndikalisten sind genau so wie die französischen revolutionären Syndikalisten Anhänger der „direkten Aktion", das heißt der jederzeit selbständigen Tat der Massen und der Ausschaltung aller Mittelspersonen im Kampfe des Proletariats mit dem Unter¬ nehmertum. Auch der Einzelstreik ist daher bei den Syndikalisten von größter Bedeutung I Das Ziel der „direkten Aktion" ist die Besitzergreifung der Pro¬ duktionsmittel, nicht durch den Staat, sondern durch einzelne Betriebsgruppen der Arbeiter. Angesichts der schweren politischen Krisen, denen wir in den nächsten Wochen entgegengehen, gebührt den hier skizzierten Spaltungserscheinungen innerhalb der radikalen Linken eine ungleich ernstere und gründlichere Beachtung, als das bislang in der bürgerlichen Presse geschah. Der Zersetzungsprozeß, der unser ganzes Parteileben ergriffen hat, spiegelt sich hier im kleinen wieder. Auch das Wider¬ einander politischer und wirtschaftlicher Einstellung, der Versuch der wirtschafts¬ organisatorischen Kräfte, sich aus dem Prokrustesbett der politischen Partei- dogmatik zu befreien, zeigt rechts und links recht bedeutsame Gleichläufigkeiten. Die schwere Frage, die keine Partei für sich und auch kein Parteimechanismus lösen kann, bleibt eine organische Umgestaltung der Wirtschaft, bevor die explo¬ siven Energien das ganze Gebäude in die Luft sprengen. Es ist die furchtbare Tragik unserer seelischen Lage, daß durch Phrase, Vorurteil, Ressentiment und Leidenschaft der Weg einer Zusammenfassung aller Volkskräfte so arg verrammelt ist, die allein einen heilsamen Wiederaufbau und eine wirkliche Gesundung verbirgt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/94>, abgerufen am 27.07.2024.