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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Das deutscheste Ziel
Dr. Manfred Limer von

as Jahr 1919 wird trotz aller Not und allen Tiefstandes insofern
mindestens ein Jahr der Ermunterung bleiben, als der Einheitsgedanke
darin siegreich geworden ist, während die Gefahr eines allgemeinen
Zerfalles des Reichs nahe gerückt war. Am 15. Dezember 1919
hat die Mehrheit der Preußischen Landesversammlung, anstatt
dem preußischen Staat eine neue, freiheitliche Verfassung zu geben, die
Folgerungen aus der allgemeinen Lage und ihren Strömungen gezogen, und zur
Begründung dessen aufgerufen, was man -- sehr bezeichnenderweise im Gegensatz zu
der Schöpfung von 1871 -- den Einheitsstaat zu nennen gewöhnt worden ist.
Damit sind die anderen Länder des Reichs in die Lage gekommen, zu dieser
Entwicklung Stellung zu nehmen.

Es wird ewig denkwürdig bleiben, dasz aus der wilden Flut der Revolution
gerade dieser Gedanke mit Macht hervorgetaucht ist, in Zeiten, wo es schien, als
sei die deutsche Einheit aufs neue schwer bedroht. Freilich, noch ist das letzte
Wort nicht gesprochen. Aber so viel ist sicher, das; der politische Partikularismus
ausgespielt hat.

Beim deutschen Partikularismus ist der politische vom kulturellen zu unter¬
scheiden. Allerdings gehen beide oft brüderlich Hand in Hand. Aber es scheint
doch, als ob dem einen nun die Stunde geschlagen hätte. Und dieser, der
politische Partikularismus, ist der bekämpfenswerte. Er ist es, der so vieles
Unheil in der deutschen Geschichte angerichtet' hat, und der sich in derselben nicht
nur über Gebühr erhalten, sondern gerade im Reiche von 1871 gestärkt hat.

Als Bismarck an den Ambvsz trat, um das Reich zu schmieden, war an
ein innerlich geschlossenes deutsches Reich nicht zu denken. Sein Briefwechsel mit
Ludwig dem Zweiten von Bayern zeigt, daß Bismarcks Werk nur auf föderativer
Grundlage möglich war. Jedes Tippen an dieser Grundlage hätte sein Werk
sofort gefährdet. Aber nicht nur deshalb bekennt sich Bismarck gerade dem
Vayernkönig gegenüber selbst als unentwegter Hüter der bundesstaatlicher
Verfassung. Das war nicht etwa nur Diplomatie; sondern es war auch seine


Grenzboten I 192" 3


Das deutscheste Ziel
Dr. Manfred Limer von

as Jahr 1919 wird trotz aller Not und allen Tiefstandes insofern
mindestens ein Jahr der Ermunterung bleiben, als der Einheitsgedanke
darin siegreich geworden ist, während die Gefahr eines allgemeinen
Zerfalles des Reichs nahe gerückt war. Am 15. Dezember 1919
hat die Mehrheit der Preußischen Landesversammlung, anstatt
dem preußischen Staat eine neue, freiheitliche Verfassung zu geben, die
Folgerungen aus der allgemeinen Lage und ihren Strömungen gezogen, und zur
Begründung dessen aufgerufen, was man — sehr bezeichnenderweise im Gegensatz zu
der Schöpfung von 1871 — den Einheitsstaat zu nennen gewöhnt worden ist.
Damit sind die anderen Länder des Reichs in die Lage gekommen, zu dieser
Entwicklung Stellung zu nehmen.

Es wird ewig denkwürdig bleiben, dasz aus der wilden Flut der Revolution
gerade dieser Gedanke mit Macht hervorgetaucht ist, in Zeiten, wo es schien, als
sei die deutsche Einheit aufs neue schwer bedroht. Freilich, noch ist das letzte
Wort nicht gesprochen. Aber so viel ist sicher, das; der politische Partikularismus
ausgespielt hat.

Beim deutschen Partikularismus ist der politische vom kulturellen zu unter¬
scheiden. Allerdings gehen beide oft brüderlich Hand in Hand. Aber es scheint
doch, als ob dem einen nun die Stunde geschlagen hätte. Und dieser, der
politische Partikularismus, ist der bekämpfenswerte. Er ist es, der so vieles
Unheil in der deutschen Geschichte angerichtet' hat, und der sich in derselben nicht
nur über Gebühr erhalten, sondern gerade im Reiche von 1871 gestärkt hat.

Als Bismarck an den Ambvsz trat, um das Reich zu schmieden, war an
ein innerlich geschlossenes deutsches Reich nicht zu denken. Sein Briefwechsel mit
Ludwig dem Zweiten von Bayern zeigt, daß Bismarcks Werk nur auf föderativer
Grundlage möglich war. Jedes Tippen an dieser Grundlage hätte sein Werk
sofort gefährdet. Aber nicht nur deshalb bekennt sich Bismarck gerade dem
Vayernkönig gegenüber selbst als unentwegter Hüter der bundesstaatlicher
Verfassung. Das war nicht etwa nur Diplomatie; sondern es war auch seine


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[0047] [Abbildung] Das deutscheste Ziel Dr. Manfred Limer von as Jahr 1919 wird trotz aller Not und allen Tiefstandes insofern mindestens ein Jahr der Ermunterung bleiben, als der Einheitsgedanke darin siegreich geworden ist, während die Gefahr eines allgemeinen Zerfalles des Reichs nahe gerückt war. Am 15. Dezember 1919 hat die Mehrheit der Preußischen Landesversammlung, anstatt dem preußischen Staat eine neue, freiheitliche Verfassung zu geben, die Folgerungen aus der allgemeinen Lage und ihren Strömungen gezogen, und zur Begründung dessen aufgerufen, was man — sehr bezeichnenderweise im Gegensatz zu der Schöpfung von 1871 — den Einheitsstaat zu nennen gewöhnt worden ist. Damit sind die anderen Länder des Reichs in die Lage gekommen, zu dieser Entwicklung Stellung zu nehmen. Es wird ewig denkwürdig bleiben, dasz aus der wilden Flut der Revolution gerade dieser Gedanke mit Macht hervorgetaucht ist, in Zeiten, wo es schien, als sei die deutsche Einheit aufs neue schwer bedroht. Freilich, noch ist das letzte Wort nicht gesprochen. Aber so viel ist sicher, das; der politische Partikularismus ausgespielt hat. Beim deutschen Partikularismus ist der politische vom kulturellen zu unter¬ scheiden. Allerdings gehen beide oft brüderlich Hand in Hand. Aber es scheint doch, als ob dem einen nun die Stunde geschlagen hätte. Und dieser, der politische Partikularismus, ist der bekämpfenswerte. Er ist es, der so vieles Unheil in der deutschen Geschichte angerichtet' hat, und der sich in derselben nicht nur über Gebühr erhalten, sondern gerade im Reiche von 1871 gestärkt hat. Als Bismarck an den Ambvsz trat, um das Reich zu schmieden, war an ein innerlich geschlossenes deutsches Reich nicht zu denken. Sein Briefwechsel mit Ludwig dem Zweiten von Bayern zeigt, daß Bismarcks Werk nur auf föderativer Grundlage möglich war. Jedes Tippen an dieser Grundlage hätte sein Werk sofort gefährdet. Aber nicht nur deshalb bekennt sich Bismarck gerade dem Vayernkönig gegenüber selbst als unentwegter Hüter der bundesstaatlicher Verfassung. Das war nicht etwa nur Diplomatie; sondern es war auch seine Grenzboten I 192» 3

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/47>, abgerufen am 27.07.2024.