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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Das deutscheste Ziel

Überzeugung, insofern er der Ansicht war, daß das deutsche Volk nur unter seinen
Fürsten existieren könne. Daß er dabei nicht glaubte, dieser und jener Teil
Deutschlands müsse notwendigerweise einen eigenen Fürsten haben, das hat er
1866 selbst bewiesen, obschon er durchblicken läßt, duß nicht er persönlich, sondern
sein König das treibende Element bei den Annexionen von 1866 gewesen sei!
Aber zweifellos hätte Bismarck noch manchem größeren deutschen Fürstentum ein
Ende bereitet, wenn er Gelegenheit dazu gehabt Hütte. Den Unsinn des Fort¬
bestehens der deutschen Zwergstaaten dagegen konnte er mit Gleichmut behandeln,
da sie ihm als stimmfühl ende Trabanten Preußens nicht unwillkommen und im
übrigen politisch nicht hinderlich waren.

Bismarck war als Gegner der Demokratie bestrebt, das dynastische Bewußt¬
sein in Deutschland zu kräftigen und zu erholten, und er glaubte nicht an den
Zusammenhalt Preußens und Bayerns als Staatswesen, wenn die Dynastien
fehlten. Daß er darin recht behalten hat - - auch, was dos in sich unstimmig
gewordene Alt- und Neubaycrn anbetrifft -- macht seinem Scharfblick aufs neue
alle Ehre. Aber er hat auf der anderen Seile die Werbekraft demokratischer
Ideen unterschätzt. Er hat dem zu seiner Zeit Überlieferten und daher Bestehen¬
den gegenüber dem neu Werdenden zu viel Bedeutung beigelegt, oder dem neu
Werdenden zu wenig Werbekraft zugemessen. Und so ist dieses mächtiger geworden
als seine Theorie, die sich auf dem Gewohnten aufbaute.

Dies ist um so merkwürdiger, als es Bismarck doch vor allein darauf ankam,
das Reich möglichst dauerhaft zu begründen, und als er durchaus nicht verkannte,
daß, wie er sagt, die Dynastien überall den Punkt bildeten, "um den der deutsche
Trieb nach Sonderung in engeren Verbänden seine Kristalle ansetzte".

Kristalle wachsen aber bekanntlich, und so war es doch immerhin fraglich,
ob, gerade bei einem System, welches so sehr von vielen Einzelpersönlichkeiten
abhing, nicht Auswüchse entstehen möchten. Es war dies namentlich fraglich in
einem Bundesreich, wo die gewaltige Person des Schöpfers ebenso vergänglich
war, wie die seines "vornehmen und korrekten" Herrn, und wo das Trennende
auch insofern nicht überbrückt wurde, als gerade Bismarck selbst sich gegen eine
Einrichtung wehrte, welche zusammenklammernde Wirkung hätte haben können,
nämlich gegen die Einsetzung von Neichsministern neben dem Reichskanzler.

Trotz alledem war das Werk Bismarcks so groß, weil das Voraufgegangene
so klein und nichtig und elend gewesen war; weil die Deutschen nun doch ein
fest umrissenes, nach außen mächtig dastehendes einiges Reich errungen hatten.
Aber es hat sich gezeigt, daß das nur ein Anfang gewesen ist.

Das Reich von 1871 hat seinen Zweck auch im Innern keineswegs verfehlt.
Es hat in weiten Schichten des Volkes das Zusammengehörigkeitsgefühl geweckt
und erhalten. Ohne diese Anfangsgrundlage wäre ein Fortschritt wie der des
Jahres 1919 nicht denkbar gewesen. Die segensreichen Folgen der Reichsgründung
von 1871 haben auch in Staaten, die sich so stark auf sich selbst zurückzogen wie
nur möglich, dem Partikularbestreben die Wage zu halten vermocht. Die Einsicht,
daß im Rahmen des Reichs Vorteile lagen, vor allem Schutz gegenüber
croberungslüsternen Großmächten, fehlte keineswegs. Auch der wirtschaftliche
Aufschwung Deutschlands nach außen wie im Innern war so unbestreitbar mit
dem Reiche und seiner Macht verbunden, daß eine Absonderung als Selbstmord
erscheinen mußte.


Das deutscheste Ziel

Überzeugung, insofern er der Ansicht war, daß das deutsche Volk nur unter seinen
Fürsten existieren könne. Daß er dabei nicht glaubte, dieser und jener Teil
Deutschlands müsse notwendigerweise einen eigenen Fürsten haben, das hat er
1866 selbst bewiesen, obschon er durchblicken läßt, duß nicht er persönlich, sondern
sein König das treibende Element bei den Annexionen von 1866 gewesen sei!
Aber zweifellos hätte Bismarck noch manchem größeren deutschen Fürstentum ein
Ende bereitet, wenn er Gelegenheit dazu gehabt Hütte. Den Unsinn des Fort¬
bestehens der deutschen Zwergstaaten dagegen konnte er mit Gleichmut behandeln,
da sie ihm als stimmfühl ende Trabanten Preußens nicht unwillkommen und im
übrigen politisch nicht hinderlich waren.

Bismarck war als Gegner der Demokratie bestrebt, das dynastische Bewußt¬
sein in Deutschland zu kräftigen und zu erholten, und er glaubte nicht an den
Zusammenhalt Preußens und Bayerns als Staatswesen, wenn die Dynastien
fehlten. Daß er darin recht behalten hat - - auch, was dos in sich unstimmig
gewordene Alt- und Neubaycrn anbetrifft — macht seinem Scharfblick aufs neue
alle Ehre. Aber er hat auf der anderen Seile die Werbekraft demokratischer
Ideen unterschätzt. Er hat dem zu seiner Zeit Überlieferten und daher Bestehen¬
den gegenüber dem neu Werdenden zu viel Bedeutung beigelegt, oder dem neu
Werdenden zu wenig Werbekraft zugemessen. Und so ist dieses mächtiger geworden
als seine Theorie, die sich auf dem Gewohnten aufbaute.

Dies ist um so merkwürdiger, als es Bismarck doch vor allein darauf ankam,
das Reich möglichst dauerhaft zu begründen, und als er durchaus nicht verkannte,
daß, wie er sagt, die Dynastien überall den Punkt bildeten, „um den der deutsche
Trieb nach Sonderung in engeren Verbänden seine Kristalle ansetzte".

Kristalle wachsen aber bekanntlich, und so war es doch immerhin fraglich,
ob, gerade bei einem System, welches so sehr von vielen Einzelpersönlichkeiten
abhing, nicht Auswüchse entstehen möchten. Es war dies namentlich fraglich in
einem Bundesreich, wo die gewaltige Person des Schöpfers ebenso vergänglich
war, wie die seines „vornehmen und korrekten" Herrn, und wo das Trennende
auch insofern nicht überbrückt wurde, als gerade Bismarck selbst sich gegen eine
Einrichtung wehrte, welche zusammenklammernde Wirkung hätte haben können,
nämlich gegen die Einsetzung von Neichsministern neben dem Reichskanzler.

Trotz alledem war das Werk Bismarcks so groß, weil das Voraufgegangene
so klein und nichtig und elend gewesen war; weil die Deutschen nun doch ein
fest umrissenes, nach außen mächtig dastehendes einiges Reich errungen hatten.
Aber es hat sich gezeigt, daß das nur ein Anfang gewesen ist.

Das Reich von 1871 hat seinen Zweck auch im Innern keineswegs verfehlt.
Es hat in weiten Schichten des Volkes das Zusammengehörigkeitsgefühl geweckt
und erhalten. Ohne diese Anfangsgrundlage wäre ein Fortschritt wie der des
Jahres 1919 nicht denkbar gewesen. Die segensreichen Folgen der Reichsgründung
von 1871 haben auch in Staaten, die sich so stark auf sich selbst zurückzogen wie
nur möglich, dem Partikularbestreben die Wage zu halten vermocht. Die Einsicht,
daß im Rahmen des Reichs Vorteile lagen, vor allem Schutz gegenüber
croberungslüsternen Großmächten, fehlte keineswegs. Auch der wirtschaftliche
Aufschwung Deutschlands nach außen wie im Innern war so unbestreitbar mit
dem Reiche und seiner Macht verbunden, daß eine Absonderung als Selbstmord
erscheinen mußte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/48>, abgerufen am 22.12.2024.