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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Zum Streit um die Musik

ganz geringe Staatsunterstützungen angewiesen sind. Sollte diese Einnahme weg¬
fallen, so würde schwere Not und bittere Sorge in manche Familie einziehen,
und der Staat würde wohl oder übel seinerseits wieder helfend eingreifen müssen.

Man mag also die Angelegenheit betrachten, von welcher Seite man will,
immer wieder trifft man auf wichtige und ausschlaggebende Gründe, die gegen
die Errichtung eines staatlichen Lchrmittelverlags sprechen.

Ich kann deshalb die Frage, ob sich die Errichtung eines staatlichen Lehr¬
mittelverlags empfiehlt, nur mit einem glatien "Nein" beantworten.




Zum Streit um die Musik
Von Hans Heinrich Schaeder

n der öffentlichen Diskussion künstlerischer Probleme, wie sie in den
letzten Jahren in Tageszeitungen und Zeitschriften stattfand, traten
die musikalischen Fragen hinter denen der bildenden Künste, der
Dichtung, des Theaters auffallend zurück. Die Gründe dafür sind
einmal im Wesen des Musikalischen zu suchen: wird doch der An¬
spruch musikalischer Gestaltung, als durchaus in sich geschlossene, nach ihren eigenen
Gesetzen sich bewegende und unverwechselbare Eigenwelt zu gelten, viel fragloser
hingenommen als der gleiche Anspruch, wenn er auf den übrigen ästhetischen
Gebieten erhoben wird. Auf diesen erschien es leichter und klärender -- zweifellos
war dies nur ein Schein --, heterogene Gesichtspunkte bei der Besprechung deS
Kunstwerks heranzuziehen, mochten sie nun der weltanschaulichen oder der religiösen,
der ethischen oder der soziologischen Sphäre entlehnt sein. Vor allem hielt man
es etwa dem Gemälde oder der Dichtung gegenüber für leichter, den Sinn und
die besondere ästhetische Bedeutung d-^S Werkes in Worten auszusagen, als gegen¬
über dem musikalischen Kunstwerk. Freilich war das Verfahren des Musikkritikers
und des Musikschriftstellers von den gleichen Motiven nicht frei geblieben. Die
Assoziation allgemein weltanschauungsmäsziger Ideen beim Hören des musikalischen
Kunstwerks schien seit dem Auftreten der Romantik in der Musik und ihres stärksten
Vertreters, Richard Wagner, durch seine -- nie realisierte noch realisierbare, dennoch
mit Eifer aufgegriffene -- Idee des Gesamtkunstwerks, ferner durch die gleichfalls
romantisierenden Ambitionen der Programm-Musik, in ihr Recht eingesetzt zu
sein. Nur war es schwer, das "Programm" eines musikalischen Werkes so ein¬
deutig herauszustellen, wie es bei Gemälde und Dichtung, die doch irgendwie
Inhalte der sichtbaren Welt repräsentierten, möglich war. Man gewöhnte sich
daran, einige wenige Schemata zu bilden, die so unbestimmt und mit einander
so verwandt waren, wie die Orakel der Kartenlegerin, und mit diesen die ver¬
schiedenen Werke, so gut wie es gehen wollte, zu deuten. Beliebt war es vor
allem, im Ablauf des musikalischen Kunstwerks heroisches oder erotisches Geschehen,
möglichst beides in Jdealkonkurrenz, zu entdecken. Diese Schemata (die sich
natürlich nur auf die reinen musikalischen Formen beziehen, nicht auf Lied und


Zum Streit um die Musik

ganz geringe Staatsunterstützungen angewiesen sind. Sollte diese Einnahme weg¬
fallen, so würde schwere Not und bittere Sorge in manche Familie einziehen,
und der Staat würde wohl oder übel seinerseits wieder helfend eingreifen müssen.

Man mag also die Angelegenheit betrachten, von welcher Seite man will,
immer wieder trifft man auf wichtige und ausschlaggebende Gründe, die gegen
die Errichtung eines staatlichen Lchrmittelverlags sprechen.

Ich kann deshalb die Frage, ob sich die Errichtung eines staatlichen Lehr¬
mittelverlags empfiehlt, nur mit einem glatien „Nein" beantworten.




Zum Streit um die Musik
Von Hans Heinrich Schaeder

n der öffentlichen Diskussion künstlerischer Probleme, wie sie in den
letzten Jahren in Tageszeitungen und Zeitschriften stattfand, traten
die musikalischen Fragen hinter denen der bildenden Künste, der
Dichtung, des Theaters auffallend zurück. Die Gründe dafür sind
einmal im Wesen des Musikalischen zu suchen: wird doch der An¬
spruch musikalischer Gestaltung, als durchaus in sich geschlossene, nach ihren eigenen
Gesetzen sich bewegende und unverwechselbare Eigenwelt zu gelten, viel fragloser
hingenommen als der gleiche Anspruch, wenn er auf den übrigen ästhetischen
Gebieten erhoben wird. Auf diesen erschien es leichter und klärender — zweifellos
war dies nur ein Schein —, heterogene Gesichtspunkte bei der Besprechung deS
Kunstwerks heranzuziehen, mochten sie nun der weltanschaulichen oder der religiösen,
der ethischen oder der soziologischen Sphäre entlehnt sein. Vor allem hielt man
es etwa dem Gemälde oder der Dichtung gegenüber für leichter, den Sinn und
die besondere ästhetische Bedeutung d-^S Werkes in Worten auszusagen, als gegen¬
über dem musikalischen Kunstwerk. Freilich war das Verfahren des Musikkritikers
und des Musikschriftstellers von den gleichen Motiven nicht frei geblieben. Die
Assoziation allgemein weltanschauungsmäsziger Ideen beim Hören des musikalischen
Kunstwerks schien seit dem Auftreten der Romantik in der Musik und ihres stärksten
Vertreters, Richard Wagner, durch seine — nie realisierte noch realisierbare, dennoch
mit Eifer aufgegriffene — Idee des Gesamtkunstwerks, ferner durch die gleichfalls
romantisierenden Ambitionen der Programm-Musik, in ihr Recht eingesetzt zu
sein. Nur war es schwer, das „Programm" eines musikalischen Werkes so ein¬
deutig herauszustellen, wie es bei Gemälde und Dichtung, die doch irgendwie
Inhalte der sichtbaren Welt repräsentierten, möglich war. Man gewöhnte sich
daran, einige wenige Schemata zu bilden, die so unbestimmt und mit einander
so verwandt waren, wie die Orakel der Kartenlegerin, und mit diesen die ver¬
schiedenen Werke, so gut wie es gehen wollte, zu deuten. Beliebt war es vor
allem, im Ablauf des musikalischen Kunstwerks heroisches oder erotisches Geschehen,
möglichst beides in Jdealkonkurrenz, zu entdecken. Diese Schemata (die sich
natürlich nur auf die reinen musikalischen Formen beziehen, nicht auf Lied und


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[0374] Zum Streit um die Musik ganz geringe Staatsunterstützungen angewiesen sind. Sollte diese Einnahme weg¬ fallen, so würde schwere Not und bittere Sorge in manche Familie einziehen, und der Staat würde wohl oder übel seinerseits wieder helfend eingreifen müssen. Man mag also die Angelegenheit betrachten, von welcher Seite man will, immer wieder trifft man auf wichtige und ausschlaggebende Gründe, die gegen die Errichtung eines staatlichen Lchrmittelverlags sprechen. Ich kann deshalb die Frage, ob sich die Errichtung eines staatlichen Lehr¬ mittelverlags empfiehlt, nur mit einem glatien „Nein" beantworten. Zum Streit um die Musik Von Hans Heinrich Schaeder n der öffentlichen Diskussion künstlerischer Probleme, wie sie in den letzten Jahren in Tageszeitungen und Zeitschriften stattfand, traten die musikalischen Fragen hinter denen der bildenden Künste, der Dichtung, des Theaters auffallend zurück. Die Gründe dafür sind einmal im Wesen des Musikalischen zu suchen: wird doch der An¬ spruch musikalischer Gestaltung, als durchaus in sich geschlossene, nach ihren eigenen Gesetzen sich bewegende und unverwechselbare Eigenwelt zu gelten, viel fragloser hingenommen als der gleiche Anspruch, wenn er auf den übrigen ästhetischen Gebieten erhoben wird. Auf diesen erschien es leichter und klärender — zweifellos war dies nur ein Schein —, heterogene Gesichtspunkte bei der Besprechung deS Kunstwerks heranzuziehen, mochten sie nun der weltanschaulichen oder der religiösen, der ethischen oder der soziologischen Sphäre entlehnt sein. Vor allem hielt man es etwa dem Gemälde oder der Dichtung gegenüber für leichter, den Sinn und die besondere ästhetische Bedeutung d-^S Werkes in Worten auszusagen, als gegen¬ über dem musikalischen Kunstwerk. Freilich war das Verfahren des Musikkritikers und des Musikschriftstellers von den gleichen Motiven nicht frei geblieben. Die Assoziation allgemein weltanschauungsmäsziger Ideen beim Hören des musikalischen Kunstwerks schien seit dem Auftreten der Romantik in der Musik und ihres stärksten Vertreters, Richard Wagner, durch seine — nie realisierte noch realisierbare, dennoch mit Eifer aufgegriffene — Idee des Gesamtkunstwerks, ferner durch die gleichfalls romantisierenden Ambitionen der Programm-Musik, in ihr Recht eingesetzt zu sein. Nur war es schwer, das „Programm" eines musikalischen Werkes so ein¬ deutig herauszustellen, wie es bei Gemälde und Dichtung, die doch irgendwie Inhalte der sichtbaren Welt repräsentierten, möglich war. Man gewöhnte sich daran, einige wenige Schemata zu bilden, die so unbestimmt und mit einander so verwandt waren, wie die Orakel der Kartenlegerin, und mit diesen die ver¬ schiedenen Werke, so gut wie es gehen wollte, zu deuten. Beliebt war es vor allem, im Ablauf des musikalischen Kunstwerks heroisches oder erotisches Geschehen, möglichst beides in Jdealkonkurrenz, zu entdecken. Diese Schemata (die sich natürlich nur auf die reinen musikalischen Formen beziehen, nicht auf Lied und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/374>, abgerufen am 27.07.2024.