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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Das angeblich elsässische Jubelfest
Line elsässische Stimme aus dem Jahre

"Victrix causa aliis plaouit, seel viela Lgtvni."

ajestätisch dröhnen die Glocken hernieder von Erwins hehrem
Münster, und zu welchem Feste I . . . Tiefe Wehmut erfüllt mein
Herz; die Vergangenheit meines Vaterlandes, die glorreiche
Vergangenheit meiner altehrwürdigen, ehemals allgemein verehrten
Vaterstadt, ersteht wie durch Zauber vor meinem Geiste -- und die
feierlichen Klänge der Glocken hallen wider in meinem Innern gleich Grabgeläute
und Totmgesang!

Im Augenblick also wo, ganz Europa hindurch, die Nationalitäten sich
lzellend zu machen streben; wo die unterjochten Völker heldenmütig ringen nach
Wiedererlangung verlorener Freiheit und Unabhängigkeit -- in diesem Augenblick
soll dus Elsaß, zum ersten Male, das Andenken an seine Übergabe, an seine
schmählich vollbrachte Abtretung an Frankreich festlich begehenI Enkel, repu-
blikanischeEnkel ehemaliger Republikaner, sollen das zweihundertjährige Anniversari
^r Unterjochung ihrer Vorfahren durch eine fremde, despotisch-monarchische Macht
mit jubelnder Freuds begrüßenI Welch ein Fest!

Seit Jahrhunderten hatte Frankreich unverwandt seine lüsternen Augen
auf das blühende Elsaß gerichtet. Seit den Zeilen Kaiser Friedrichs des Dritten
hatte es alle List der Diplomatie angewendet, um Straßburg abfällig zu machen
von seiner alten Treue am Deutschen Reiche. Umsonst aber waren alle Bemühungen,
umsonst alle Ranks. Die glänzendsten Versprechungen scheiterten an dem Ehr¬
gefühl unserer Ahnen und an ihrer unerschütterlichen Liebe zur Freiheit und zum
Vaterland. Erst nachdem durch die endlosen Drangsale des Dreißigjährigen Krieges
Deutschland zerrüttet darniederlag, gelang es Richelieu, das seit Jahrhunderten
durch Frankreichs Könige rastlos verfolgte Ziel zu erreichen und sich in dem
Frieden von Münster von Osterreich die Landgrafschaft Elsaß und die Reichs-
b"glei der zehn Städte abtreten zu lassen. Die zehn Reichsstädte sanken hernieder
Zu Munizipalstädten, und nur zu früh schon mußten die im Elsaß ansässigen


Grenzboten I 1920 1ö


Das angeblich elsässische Jubelfest
Line elsässische Stimme aus dem Jahre

„Victrix causa aliis plaouit, seel viela Lgtvni."

ajestätisch dröhnen die Glocken hernieder von Erwins hehrem
Münster, und zu welchem Feste I . . . Tiefe Wehmut erfüllt mein
Herz; die Vergangenheit meines Vaterlandes, die glorreiche
Vergangenheit meiner altehrwürdigen, ehemals allgemein verehrten
Vaterstadt, ersteht wie durch Zauber vor meinem Geiste — und die
feierlichen Klänge der Glocken hallen wider in meinem Innern gleich Grabgeläute
und Totmgesang!

Im Augenblick also wo, ganz Europa hindurch, die Nationalitäten sich
lzellend zu machen streben; wo die unterjochten Völker heldenmütig ringen nach
Wiedererlangung verlorener Freiheit und Unabhängigkeit — in diesem Augenblick
soll dus Elsaß, zum ersten Male, das Andenken an seine Übergabe, an seine
schmählich vollbrachte Abtretung an Frankreich festlich begehenI Enkel, repu-
blikanischeEnkel ehemaliger Republikaner, sollen das zweihundertjährige Anniversari
^r Unterjochung ihrer Vorfahren durch eine fremde, despotisch-monarchische Macht
mit jubelnder Freuds begrüßenI Welch ein Fest!

Seit Jahrhunderten hatte Frankreich unverwandt seine lüsternen Augen
auf das blühende Elsaß gerichtet. Seit den Zeilen Kaiser Friedrichs des Dritten
hatte es alle List der Diplomatie angewendet, um Straßburg abfällig zu machen
von seiner alten Treue am Deutschen Reiche. Umsonst aber waren alle Bemühungen,
umsonst alle Ranks. Die glänzendsten Versprechungen scheiterten an dem Ehr¬
gefühl unserer Ahnen und an ihrer unerschütterlichen Liebe zur Freiheit und zum
Vaterland. Erst nachdem durch die endlosen Drangsale des Dreißigjährigen Krieges
Deutschland zerrüttet darniederlag, gelang es Richelieu, das seit Jahrhunderten
durch Frankreichs Könige rastlos verfolgte Ziel zu erreichen und sich in dem
Frieden von Münster von Osterreich die Landgrafschaft Elsaß und die Reichs-
b"glei der zehn Städte abtreten zu lassen. Die zehn Reichsstädte sanken hernieder
Zu Munizipalstädten, und nur zu früh schon mußten die im Elsaß ansässigen


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[0231] [Abbildung] Das angeblich elsässische Jubelfest Line elsässische Stimme aus dem Jahre „Victrix causa aliis plaouit, seel viela Lgtvni." ajestätisch dröhnen die Glocken hernieder von Erwins hehrem Münster, und zu welchem Feste I . . . Tiefe Wehmut erfüllt mein Herz; die Vergangenheit meines Vaterlandes, die glorreiche Vergangenheit meiner altehrwürdigen, ehemals allgemein verehrten Vaterstadt, ersteht wie durch Zauber vor meinem Geiste — und die feierlichen Klänge der Glocken hallen wider in meinem Innern gleich Grabgeläute und Totmgesang! Im Augenblick also wo, ganz Europa hindurch, die Nationalitäten sich lzellend zu machen streben; wo die unterjochten Völker heldenmütig ringen nach Wiedererlangung verlorener Freiheit und Unabhängigkeit — in diesem Augenblick soll dus Elsaß, zum ersten Male, das Andenken an seine Übergabe, an seine schmählich vollbrachte Abtretung an Frankreich festlich begehenI Enkel, repu- blikanischeEnkel ehemaliger Republikaner, sollen das zweihundertjährige Anniversari ^r Unterjochung ihrer Vorfahren durch eine fremde, despotisch-monarchische Macht mit jubelnder Freuds begrüßenI Welch ein Fest! Seit Jahrhunderten hatte Frankreich unverwandt seine lüsternen Augen auf das blühende Elsaß gerichtet. Seit den Zeilen Kaiser Friedrichs des Dritten hatte es alle List der Diplomatie angewendet, um Straßburg abfällig zu machen von seiner alten Treue am Deutschen Reiche. Umsonst aber waren alle Bemühungen, umsonst alle Ranks. Die glänzendsten Versprechungen scheiterten an dem Ehr¬ gefühl unserer Ahnen und an ihrer unerschütterlichen Liebe zur Freiheit und zum Vaterland. Erst nachdem durch die endlosen Drangsale des Dreißigjährigen Krieges Deutschland zerrüttet darniederlag, gelang es Richelieu, das seit Jahrhunderten durch Frankreichs Könige rastlos verfolgte Ziel zu erreichen und sich in dem Frieden von Münster von Osterreich die Landgrafschaft Elsaß und die Reichs- b"glei der zehn Städte abtreten zu lassen. Die zehn Reichsstädte sanken hernieder Zu Munizipalstädten, und nur zu früh schon mußten die im Elsaß ansässigen Grenzboten I 1920 1ö

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/231>, abgerufen am 27.07.2024.