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Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr.

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Drinnen und draußen

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nach Rußland verschleppt worden sind:
Bibliotheken, Archive, Lehrmittel, Doku¬
mente und andere Gegenstände, die Samm¬
lungen der Universität Dorpat und haupt¬
sächlich alles, was sür Estland einen wissen¬
schaftlichen oder historischen Wert hat. Die
Handelsbeziehungen werden durch eine be¬
sondere Kommission festgesetzt, Transitwaren
unterliegen keinem Zoll. Estland wird Nu߬
land in den Freihafen, die in Estland ge¬
schaffen werden, Plätze zum Transport und
zur Lagerung dieser Transitwaren anweisen.
Rußland erkennt Estland das Vorrecht zu,
Moskau mit irgend einem Punkte der che-
mischen Grenze durch eine ein- oder zwei¬
gleisige Eisenbahn zu verbinden und den
Betrieb dieser Bahn zu übernehmen, außer¬
dem Konzessionsvorrechte zur Ausbeutung
von Wäldern auf einem Gebiet von seiner
Million Desjatinen. Estland seinerseits er¬
kennt Rußland das Vorrecht zu, die Wasser¬
fälle an der Mündung der Narowa auszu¬
beuten. Der Austausch der Ratifikationen
oll sobald wie möglich in Moskau statt¬
finden.

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Der Abschluß dieses Friedens läßt aller¬
hand bedeutsame Rückschlüsse auf England;
Absichten und ihr Verhältnis zur franzk-
sischen Ostpolitik zu. Im Gegensatz zu
Frankreich betreibt England die Annäherung
an Sowjet-Rußland. Was von Kennern
der baltischen Frage und übrigens auch d"!l
estmschen Blättern von der deutschen Okku¬
pation befürchtet wurde, ist eingetreten. Es!-,
land ist Englands kommerzieller Vorposten
geworden und soll nun die Bedeutung einer
Isolierschicht zwischen dem verseuchten Ru߬
land "ud dem gewinnlüsternen England
erlangen. Wie der "Pionier des Ostens"
berichtet, ist man in Skandinavien auf die
Gefahren durchaus aufmerksam geworden,
die mit Englands Absichten verbunden sind.
Frankreich schlägt den indirekten Weg em
und läßt Estland seine schlechte Linne
spüren. Indem es die ungelöste Grenzfraae
benutzt, um den Gegensatz gegen Lettland
akut zu erhalten, trägt es seinerseits zu
jener Vulkanisierung des Randgebietes bei,
die das verhängnisvolle Ergebnis der deut¬
M. schen Niederlage gewesen ist.

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Verantwortlich: Dr. Max Hildcbcrt Br>el,in In Verliu-??riedenan,.
Schristleiwng und Verlast: Berlin SW 11, Tempelhofer User Mg. Fernrns: Liitiow S6I0.
Verlag: K. F. Koester, Abteilung Grcnzoolen, Berlin.
Druck: "Der Reichsbote" "S. ",. b. H. in Berlin SW II, Dessauer Strahl 36/Z7.

Rücksendung von Manuskripte" erfolgt nur gegen beigefügtes Rückporto.
Nachdruck sämtlicher Aufsätze ist nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Verlages gestattet"


Drinnen und draußen

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nach Rußland verschleppt worden sind:
Bibliotheken, Archive, Lehrmittel, Doku¬
mente und andere Gegenstände, die Samm¬
lungen der Universität Dorpat und haupt¬
sächlich alles, was sür Estland einen wissen¬
schaftlichen oder historischen Wert hat. Die
Handelsbeziehungen werden durch eine be¬
sondere Kommission festgesetzt, Transitwaren
unterliegen keinem Zoll. Estland wird Nu߬
land in den Freihafen, die in Estland ge¬
schaffen werden, Plätze zum Transport und
zur Lagerung dieser Transitwaren anweisen.
Rußland erkennt Estland das Vorrecht zu,
Moskau mit irgend einem Punkte der che-
mischen Grenze durch eine ein- oder zwei¬
gleisige Eisenbahn zu verbinden und den
Betrieb dieser Bahn zu übernehmen, außer¬
dem Konzessionsvorrechte zur Ausbeutung
von Wäldern auf einem Gebiet von seiner
Million Desjatinen. Estland seinerseits er¬
kennt Rußland das Vorrecht zu, die Wasser¬
fälle an der Mündung der Narowa auszu¬
beuten. Der Austausch der Ratifikationen
oll sobald wie möglich in Moskau statt¬
finden.

[Spaltenumbruch]

Der Abschluß dieses Friedens läßt aller¬
hand bedeutsame Rückschlüsse auf England;
Absichten und ihr Verhältnis zur franzk-
sischen Ostpolitik zu. Im Gegensatz zu
Frankreich betreibt England die Annäherung
an Sowjet-Rußland. Was von Kennern
der baltischen Frage und übrigens auch d»!l
estmschen Blättern von der deutschen Okku¬
pation befürchtet wurde, ist eingetreten. Es!-,
land ist Englands kommerzieller Vorposten
geworden und soll nun die Bedeutung einer
Isolierschicht zwischen dem verseuchten Ru߬
land »ud dem gewinnlüsternen England
erlangen. Wie der „Pionier des Ostens"
berichtet, ist man in Skandinavien auf die
Gefahren durchaus aufmerksam geworden,
die mit Englands Absichten verbunden sind.
Frankreich schlägt den indirekten Weg em
und läßt Estland seine schlechte Linne
spüren. Indem es die ungelöste Grenzfraae
benutzt, um den Gegensatz gegen Lettland
akut zu erhalten, trägt es seinerseits zu
jener Vulkanisierung des Randgebietes bei,
die das verhängnisvolle Ergebnis der deut¬
M. schen Niederlage gewesen ist.

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Verantwortlich: Dr. Max Hildcbcrt Br>el,in In Verliu-??riedenan,.
Schristleiwng und Verlast: Berlin SW 11, Tempelhofer User Mg. Fernrns: Liitiow S6I0.
Verlag: K. F. Koester, Abteilung Grcnzoolen, Berlin.
Druck: „Der Reichsbote" «S. »,. b. H. in Berlin SW II, Dessauer Strahl 36/Z7.

Rücksendung von Manuskripte« erfolgt nur gegen beigefügtes Rückporto.
Nachdruck sämtlicher Aufsätze ist nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Verlages gestattet«


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[0230] Drinnen und draußen nach Rußland verschleppt worden sind: Bibliotheken, Archive, Lehrmittel, Doku¬ mente und andere Gegenstände, die Samm¬ lungen der Universität Dorpat und haupt¬ sächlich alles, was sür Estland einen wissen¬ schaftlichen oder historischen Wert hat. Die Handelsbeziehungen werden durch eine be¬ sondere Kommission festgesetzt, Transitwaren unterliegen keinem Zoll. Estland wird Nu߬ land in den Freihafen, die in Estland ge¬ schaffen werden, Plätze zum Transport und zur Lagerung dieser Transitwaren anweisen. Rußland erkennt Estland das Vorrecht zu, Moskau mit irgend einem Punkte der che- mischen Grenze durch eine ein- oder zwei¬ gleisige Eisenbahn zu verbinden und den Betrieb dieser Bahn zu übernehmen, außer¬ dem Konzessionsvorrechte zur Ausbeutung von Wäldern auf einem Gebiet von seiner Million Desjatinen. Estland seinerseits er¬ kennt Rußland das Vorrecht zu, die Wasser¬ fälle an der Mündung der Narowa auszu¬ beuten. Der Austausch der Ratifikationen oll sobald wie möglich in Moskau statt¬ finden. Der Abschluß dieses Friedens läßt aller¬ hand bedeutsame Rückschlüsse auf England; Absichten und ihr Verhältnis zur franzk- sischen Ostpolitik zu. Im Gegensatz zu Frankreich betreibt England die Annäherung an Sowjet-Rußland. Was von Kennern der baltischen Frage und übrigens auch d»!l estmschen Blättern von der deutschen Okku¬ pation befürchtet wurde, ist eingetreten. Es!-, land ist Englands kommerzieller Vorposten geworden und soll nun die Bedeutung einer Isolierschicht zwischen dem verseuchten Ru߬ land »ud dem gewinnlüsternen England erlangen. Wie der „Pionier des Ostens" berichtet, ist man in Skandinavien auf die Gefahren durchaus aufmerksam geworden, die mit Englands Absichten verbunden sind. Frankreich schlägt den indirekten Weg em und läßt Estland seine schlechte Linne spüren. Indem es die ungelöste Grenzfraae benutzt, um den Gegensatz gegen Lettland akut zu erhalten, trägt es seinerseits zu jener Vulkanisierung des Randgebietes bei, die das verhängnisvolle Ergebnis der deut¬ M. schen Niederlage gewesen ist. Verantwortlich: Dr. Max Hildcbcrt Br>el,in In Verliu-??riedenan,. Schristleiwng und Verlast: Berlin SW 11, Tempelhofer User Mg. Fernrns: Liitiow S6I0. Verlag: K. F. Koester, Abteilung Grcnzoolen, Berlin. Druck: „Der Reichsbote" «S. »,. b. H. in Berlin SW II, Dessauer Strahl 36/Z7. Rücksendung von Manuskripte« erfolgt nur gegen beigefügtes Rückporto. Nachdruck sämtlicher Aufsätze ist nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Verlages gestattet«

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 79, 1920, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341911_336844/230>, abgerufen am 06.10.2024.