Die Grenzboten. Jg. 78, 1919, Viertes Vierteljahr.England England ährend man in Deutschland nichts besseres zu kennen scheint, als Allerdings ist auch ihre Machtstellung nach innen hin, scheinbar wenigstens, England England ährend man in Deutschland nichts besseres zu kennen scheint, als Allerdings ist auch ihre Machtstellung nach innen hin, scheinbar wenigstens, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0247" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/336537"/> <fw type="header" place="top"> England</fw><lb/> </div> <div n="1"> <head> England</head><lb/> <p xml:id="ID_922"> ährend man in Deutschland nichts besseres zu kennen scheint, als<lb/> sich gegenseitig für den unglücklichen Ausgang und namentlich für<lb/> die Folgen des Krieges verantwortlich zu machen und die ohnehin<lb/> nicht sehr große Aktionskraft der Regierung dadurch lahmt, daß<lb/> man sie zwingt, bei jedem beabsichtigten Schritte nach außen dem<lb/> ^ Eindruck nach innen Rechnung zu tragen, versäumt man es durchaus,<lb/> den Blick auf die andern Länder zu richten und sieht nicht, daß selbst bei den Siegern die<lb/> ^atsache, daß ein großer die Gesamtkräfte der Nation in Anspruch nehmender<lb/> Krieg geführt wurde, auf den meisten Gebieten des öffentlichen Lebens geradezu<lb/> katastrophale Folgen gezeitigt hat. Daß Italien seines Sieges nicht froh geworden<lb/> lst, geben dort sogar die Nationalisten zu. Wie schwer Frankreich leidet, wird<lb/> und erst, abgesehen von dem Sturz seiner Valuta und der schweren Transport-<lb/> lnsis, die, nebenbei gesagt, auch nicht die geringste Ursache der Verzögerung bei<lb/> der Herausgabe unserer Gefangenen bildet, im nächsten Jahre bei der Beratung<lb/> der neuen Steuergesetze erweisen. Sogar Amerika hat, wie im vorletzten Heft<lb/> angedeutet wurde, unter den Folgen des Krieges zu leiden. Am interessantesten<lb/> und lehrreichsten aber liegt wohl der Fall in England, das außenpolitisch zweifel-<lb/> 'L^den größten Erfolg im Kriege davongetragen hat. Nicht als ob alle inneren<lb/> Schwierigkeiten Englands ausschließlich auf den Krieg zurückzuführen seien,<lb/> ^me gewisse Parlamentsmüdigkeit, die wachsende Tyrannei der Gewerkschaften<lb/> vestanden schon vor dem Kriege und die irische Frage war schon im Frühling 1914<lb/> winseln Matze akut geworden, datz ganz Kluge uns Englands Teilnahme am<lb/> ^rege aus seiner Absicht erklären wollten, sich der Lösung dieser Frage zu<lb/> entziehen. (Etwa so, als wollte man in ein brennendes Feuer stürzen, um sein<lb/> baufälliges Haus nicht ausbessern zu brauchen.) Aber der Krieg hat doch hier<lb/> une in andern Ländern die Entwicklung reifender Probleme beschleunigt und,<lb/> ^a auch hier die Parteien oder besser gesagt die einzelnen Interessengruppen die<lb/> Schwierigkeiten, die sich der Regierung naturgemäß aus der Liquidierung des<lb/> ^reges, sowie aus der Umstellung in den Friedenszustand ergaben, zur Durch-<lb/> vwigung ihrer Sonderwünsche benutzt haben, teilweise sogar überstürzt. Besondere<lb/> Schwierigkeiten ergeben sich natürlich auch aus der Tatsache, datz der sogenannte<lb/> Hnedcnszustand, das heißt ein Zustand, wie er vor dem Kriege bestand, selbstverständlich<lb/> auf keinen Fall wiederherzustellen ist. Daraus erklärt sich aber die weitverbreitete<lb/> Unzufriedenheit und die Anforderungen, die heute an die ohnehin schon durch die<lb/> Meigerten Lasten der regulären Verwaltung in Anspruch genommene englische<lb/> Regierung gestellt werden, sind ins Unerhörte gestiegen.</p><lb/> <p xml:id="ID_923" next="#ID_924"> Allerdings ist auch ihre Machtstellung nach innen hin, scheinbar wenigstens,<lb/> unz außerordentlich stark. Es ist bei uns wenig beachtet worden, daß das<lb/> Ergebnis der Dezemberwahlen für die englische Regierungspraxis eine ganzungewöhnliche Neuerung darstellt. In richtiger Erkenntnis, daß die Friedens-<lb/> onferenz eine außenpolitische Angelegenheit darstellte, zu deren möglichst vorteil¬<lb/> st Durchführung alles darauf ankam, die Stellung des englischen Vertreters<lb/> vaourch möglichst stark zu machen, daß sich der größte Teil der Nation geschlossen<lb/> paier ihn stellte, wurde Lloyd George und seinem Kabinett eine Diktatorstellung<lb/> ^"'geräumt, die man sich innenpolitisch wohl gehütet haben würde, in dieser<lb/> no vluten Machtvollkommenheit jemals einer Regierung zuzugestehen. Das<lb/> formale wäre gewesen, daß man die Friedensverhandlungen durchaus als Fort-<lb/> Atzung des Krieges betrachtet hätte und vielleicht ist der Eifer, mit dem sich die<lb/> Konservativen für aktives Eingreifen in Rußland einsetzten, zum Teil aus ein<lb/> uanz richtiges Gefühl dafür zurückzuführen. Es zeigte sich jedoch, daß beim<lb/> Waffenstillstand auch England an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit angekommen<lb/> !°ar. für das Gefühl des Volkes war mit dem Waffenstillstand auch der Friede<lb/> in,'kk , Ungeduld langer und oft enttäuschter Hoffnung ließ sich nicht länger<lb/> "Usyalten und verlangte nach schleuniger Umstellung in einem Maße, daß niemand</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0247]
England
England
ährend man in Deutschland nichts besseres zu kennen scheint, als
sich gegenseitig für den unglücklichen Ausgang und namentlich für
die Folgen des Krieges verantwortlich zu machen und die ohnehin
nicht sehr große Aktionskraft der Regierung dadurch lahmt, daß
man sie zwingt, bei jedem beabsichtigten Schritte nach außen dem
^ Eindruck nach innen Rechnung zu tragen, versäumt man es durchaus,
den Blick auf die andern Länder zu richten und sieht nicht, daß selbst bei den Siegern die
^atsache, daß ein großer die Gesamtkräfte der Nation in Anspruch nehmender
Krieg geführt wurde, auf den meisten Gebieten des öffentlichen Lebens geradezu
katastrophale Folgen gezeitigt hat. Daß Italien seines Sieges nicht froh geworden
lst, geben dort sogar die Nationalisten zu. Wie schwer Frankreich leidet, wird
und erst, abgesehen von dem Sturz seiner Valuta und der schweren Transport-
lnsis, die, nebenbei gesagt, auch nicht die geringste Ursache der Verzögerung bei
der Herausgabe unserer Gefangenen bildet, im nächsten Jahre bei der Beratung
der neuen Steuergesetze erweisen. Sogar Amerika hat, wie im vorletzten Heft
angedeutet wurde, unter den Folgen des Krieges zu leiden. Am interessantesten
und lehrreichsten aber liegt wohl der Fall in England, das außenpolitisch zweifel-
'L^den größten Erfolg im Kriege davongetragen hat. Nicht als ob alle inneren
Schwierigkeiten Englands ausschließlich auf den Krieg zurückzuführen seien,
^me gewisse Parlamentsmüdigkeit, die wachsende Tyrannei der Gewerkschaften
vestanden schon vor dem Kriege und die irische Frage war schon im Frühling 1914
winseln Matze akut geworden, datz ganz Kluge uns Englands Teilnahme am
^rege aus seiner Absicht erklären wollten, sich der Lösung dieser Frage zu
entziehen. (Etwa so, als wollte man in ein brennendes Feuer stürzen, um sein
baufälliges Haus nicht ausbessern zu brauchen.) Aber der Krieg hat doch hier
une in andern Ländern die Entwicklung reifender Probleme beschleunigt und,
^a auch hier die Parteien oder besser gesagt die einzelnen Interessengruppen die
Schwierigkeiten, die sich der Regierung naturgemäß aus der Liquidierung des
^reges, sowie aus der Umstellung in den Friedenszustand ergaben, zur Durch-
vwigung ihrer Sonderwünsche benutzt haben, teilweise sogar überstürzt. Besondere
Schwierigkeiten ergeben sich natürlich auch aus der Tatsache, datz der sogenannte
Hnedcnszustand, das heißt ein Zustand, wie er vor dem Kriege bestand, selbstverständlich
auf keinen Fall wiederherzustellen ist. Daraus erklärt sich aber die weitverbreitete
Unzufriedenheit und die Anforderungen, die heute an die ohnehin schon durch die
Meigerten Lasten der regulären Verwaltung in Anspruch genommene englische
Regierung gestellt werden, sind ins Unerhörte gestiegen.
Allerdings ist auch ihre Machtstellung nach innen hin, scheinbar wenigstens,
unz außerordentlich stark. Es ist bei uns wenig beachtet worden, daß das
Ergebnis der Dezemberwahlen für die englische Regierungspraxis eine ganzungewöhnliche Neuerung darstellt. In richtiger Erkenntnis, daß die Friedens-
onferenz eine außenpolitische Angelegenheit darstellte, zu deren möglichst vorteil¬
st Durchführung alles darauf ankam, die Stellung des englischen Vertreters
vaourch möglichst stark zu machen, daß sich der größte Teil der Nation geschlossen
paier ihn stellte, wurde Lloyd George und seinem Kabinett eine Diktatorstellung
^"'geräumt, die man sich innenpolitisch wohl gehütet haben würde, in dieser
no vluten Machtvollkommenheit jemals einer Regierung zuzugestehen. Das
formale wäre gewesen, daß man die Friedensverhandlungen durchaus als Fort-
Atzung des Krieges betrachtet hätte und vielleicht ist der Eifer, mit dem sich die
Konservativen für aktives Eingreifen in Rußland einsetzten, zum Teil aus ein
uanz richtiges Gefühl dafür zurückzuführen. Es zeigte sich jedoch, daß beim
Waffenstillstand auch England an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit angekommen
!°ar. für das Gefühl des Volkes war mit dem Waffenstillstand auch der Friede
in,'kk , Ungeduld langer und oft enttäuschter Hoffnung ließ sich nicht länger
"Usyalten und verlangte nach schleuniger Umstellung in einem Maße, daß niemand
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