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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr.

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Sammeln im Osten!
Georg Llcinow von

er Punkt dreizehn der berühmten Wilsonschm Artikel hat die Polen
dazu verleitet, ihr Kriegsziel rückhaltlos zu offenbaren. Sie nehmen,
alles von Polen bewohnte Land als "unzweifelhaft polnisches Land"
in Anspruch, soweit es zu Deutschland gehört, während sie auf den
Besitz ehemals russischen Gebietes außerhalb Kongreß-Polens zunächst
verzichten. Die neueste Karte, die auf dem Friedenskongreß als Grundlage für die
Verhandlungen zwischen Deutschland und Polen dienen soll, zeigt uns, daß Deutsch-
Icnrb auf ganz Oberschlesien ohne Reiße, Mittelschlesien östlich der Oder, auf ganz
Posen ohne Meseritz und Bromberg, auf Thorn,'das Kulmer Land, Westpreußen
links der Weichsel, mit Einschluß der Kassubei, und die Kreise Neustadt und Putzig
verzichten soll; ferner sollen Danzig und seine Niederung sowie das südliche
Drittel von Ostpreußen (Masuren) zu dem neuen Polenstaats geschlagen werden.

Es läßt sich denken, daß diese Forderungen in der Ostmark um so größere
Beunruhigung hervorrufen müssen, als die Reichsregierung sich durch ihre Noten
an Herrn Wilson vollständig dem Machtspruch des Präsidenten der Vereinigten
Staaten unterworfen zu haben scheint und heute niemand beurteilen kann, welche
Entscheidung dieser Mann, der die Verhältnisse in der Ostmark wohl ausschließlich
aus Berichten polnischer Emissäre kennt, treffen wird. Die Beunruhigung äußert
sich bei den einen in völliger Kopflosigkeit oder Apathie, bei den anderen in
stürmischem Protest und Aufbegehren gegen mögliche Vergewaltigung. Die Polen
nützen die Stimmung kühl rechtiend aus. Sie sprengen Gerüchte aus, wonach
die Abtrennung preußischer Landesteile vollzogene Tatsache ist, drohen deutschen
Bauern und Gutsbesitzern mit Bolschewismus und Enteignung, lassen die Beamten
hören, daß ihre Stellen schon durch diese und jene Person polnischer Herkunft
besetzt sei, mit einem Wort, schaffen Unsicherheit und eine Panikstimmung, um
dann um so besser im Trüben fischen zu können. Treten dann noch Vorkommnisse
wie gegenwärtig infolge der scheußlichen Geldhamsterei Knappheit an flüssigen Bar¬
mitteln in den Städten hinzu, so verlieren die Deutschen der Ostmark das Ver¬
trauen in die Regierung, das Land halten zu wollen, und die Gefahr droht, daß
plötzlich der Ruf: rette sich wer kann! das Land in Anarchie und Trostlosigkeit wirft.


Grenzwten IV 1918 11


Sammeln im Osten!
Georg Llcinow von

er Punkt dreizehn der berühmten Wilsonschm Artikel hat die Polen
dazu verleitet, ihr Kriegsziel rückhaltlos zu offenbaren. Sie nehmen,
alles von Polen bewohnte Land als „unzweifelhaft polnisches Land"
in Anspruch, soweit es zu Deutschland gehört, während sie auf den
Besitz ehemals russischen Gebietes außerhalb Kongreß-Polens zunächst
verzichten. Die neueste Karte, die auf dem Friedenskongreß als Grundlage für die
Verhandlungen zwischen Deutschland und Polen dienen soll, zeigt uns, daß Deutsch-
Icnrb auf ganz Oberschlesien ohne Reiße, Mittelschlesien östlich der Oder, auf ganz
Posen ohne Meseritz und Bromberg, auf Thorn,'das Kulmer Land, Westpreußen
links der Weichsel, mit Einschluß der Kassubei, und die Kreise Neustadt und Putzig
verzichten soll; ferner sollen Danzig und seine Niederung sowie das südliche
Drittel von Ostpreußen (Masuren) zu dem neuen Polenstaats geschlagen werden.

Es läßt sich denken, daß diese Forderungen in der Ostmark um so größere
Beunruhigung hervorrufen müssen, als die Reichsregierung sich durch ihre Noten
an Herrn Wilson vollständig dem Machtspruch des Präsidenten der Vereinigten
Staaten unterworfen zu haben scheint und heute niemand beurteilen kann, welche
Entscheidung dieser Mann, der die Verhältnisse in der Ostmark wohl ausschließlich
aus Berichten polnischer Emissäre kennt, treffen wird. Die Beunruhigung äußert
sich bei den einen in völliger Kopflosigkeit oder Apathie, bei den anderen in
stürmischem Protest und Aufbegehren gegen mögliche Vergewaltigung. Die Polen
nützen die Stimmung kühl rechtiend aus. Sie sprengen Gerüchte aus, wonach
die Abtrennung preußischer Landesteile vollzogene Tatsache ist, drohen deutschen
Bauern und Gutsbesitzern mit Bolschewismus und Enteignung, lassen die Beamten
hören, daß ihre Stellen schon durch diese und jene Person polnischer Herkunft
besetzt sei, mit einem Wort, schaffen Unsicherheit und eine Panikstimmung, um
dann um so besser im Trüben fischen zu können. Treten dann noch Vorkommnisse
wie gegenwärtig infolge der scheußlichen Geldhamsterei Knappheit an flüssigen Bar¬
mitteln in den Städten hinzu, so verlieren die Deutschen der Ostmark das Ver¬
trauen in die Regierung, das Land halten zu wollen, und die Gefahr droht, daß
plötzlich der Ruf: rette sich wer kann! das Land in Anarchie und Trostlosigkeit wirft.


Grenzwten IV 1918 11
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[0141] [Abbildung] Sammeln im Osten! Georg Llcinow von er Punkt dreizehn der berühmten Wilsonschm Artikel hat die Polen dazu verleitet, ihr Kriegsziel rückhaltlos zu offenbaren. Sie nehmen, alles von Polen bewohnte Land als „unzweifelhaft polnisches Land" in Anspruch, soweit es zu Deutschland gehört, während sie auf den Besitz ehemals russischen Gebietes außerhalb Kongreß-Polens zunächst verzichten. Die neueste Karte, die auf dem Friedenskongreß als Grundlage für die Verhandlungen zwischen Deutschland und Polen dienen soll, zeigt uns, daß Deutsch- Icnrb auf ganz Oberschlesien ohne Reiße, Mittelschlesien östlich der Oder, auf ganz Posen ohne Meseritz und Bromberg, auf Thorn,'das Kulmer Land, Westpreußen links der Weichsel, mit Einschluß der Kassubei, und die Kreise Neustadt und Putzig verzichten soll; ferner sollen Danzig und seine Niederung sowie das südliche Drittel von Ostpreußen (Masuren) zu dem neuen Polenstaats geschlagen werden. Es läßt sich denken, daß diese Forderungen in der Ostmark um so größere Beunruhigung hervorrufen müssen, als die Reichsregierung sich durch ihre Noten an Herrn Wilson vollständig dem Machtspruch des Präsidenten der Vereinigten Staaten unterworfen zu haben scheint und heute niemand beurteilen kann, welche Entscheidung dieser Mann, der die Verhältnisse in der Ostmark wohl ausschließlich aus Berichten polnischer Emissäre kennt, treffen wird. Die Beunruhigung äußert sich bei den einen in völliger Kopflosigkeit oder Apathie, bei den anderen in stürmischem Protest und Aufbegehren gegen mögliche Vergewaltigung. Die Polen nützen die Stimmung kühl rechtiend aus. Sie sprengen Gerüchte aus, wonach die Abtrennung preußischer Landesteile vollzogene Tatsache ist, drohen deutschen Bauern und Gutsbesitzern mit Bolschewismus und Enteignung, lassen die Beamten hören, daß ihre Stellen schon durch diese und jene Person polnischer Herkunft besetzt sei, mit einem Wort, schaffen Unsicherheit und eine Panikstimmung, um dann um so besser im Trüben fischen zu können. Treten dann noch Vorkommnisse wie gegenwärtig infolge der scheußlichen Geldhamsterei Knappheit an flüssigen Bar¬ mitteln in den Städten hinzu, so verlieren die Deutschen der Ostmark das Ver¬ trauen in die Regierung, das Land halten zu wollen, und die Gefahr droht, daß plötzlich der Ruf: rette sich wer kann! das Land in Anarchie und Trostlosigkeit wirft. Grenzwten IV 1918 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_88238/141>, abgerufen am 24.11.2024.