Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.von einem, der nicht zur Kirche ging und Mitläufer. Und im Reich sieht man gemeinhin wie früher halb verachtungs¬ Von einem, der nicht zur Airche ging Litauisches Märchen v Maria Schade on WMor vielen, vielen Jahren lebte tief in den großen Wäldern ein Greis. "Hier, Gott mir --. Und wenn aus der anderen Seite seine Füße den Boden berührten, rief er: "Da, Gott dir --". So gingen seine Tage dahin in Gedanken an den mächtigen Schöpfer aller Den Teufel verdroß es, den Alten so gut und so glücklich zu sehen. Er "Ich muß ihn unter die Menschen bringen, sagte der Böse zu sich selbst. Doch wie sollte der alte Einsiedler dazu gebracht werden, die ihm so lieb "Ich Habs! rief er. Rasch nahm er die Gestalt eines Pfarrers an. und schon stand der nun "Was tust du da? sagte er mit ernster Stimme, "weißt du denn nicht, "Alle meine Tage sind Feiertage, erwiderte der Alte, "denn Gott ist mir "Gott wird dir näher sein, wenn du in seiner Kirche zu ihm betest. von einem, der nicht zur Kirche ging und Mitläufer. Und im Reich sieht man gemeinhin wie früher halb verachtungs¬ Von einem, der nicht zur Airche ging Litauisches Märchen v Maria Schade on WMor vielen, vielen Jahren lebte tief in den großen Wäldern ein Greis. „Hier, Gott mir —. Und wenn aus der anderen Seite seine Füße den Boden berührten, rief er: „Da, Gott dir —". So gingen seine Tage dahin in Gedanken an den mächtigen Schöpfer aller Den Teufel verdroß es, den Alten so gut und so glücklich zu sehen. Er „Ich muß ihn unter die Menschen bringen, sagte der Böse zu sich selbst. Doch wie sollte der alte Einsiedler dazu gebracht werden, die ihm so lieb „Ich Habs! rief er. Rasch nahm er die Gestalt eines Pfarrers an. und schon stand der nun „Was tust du da? sagte er mit ernster Stimme, „weißt du denn nicht, „Alle meine Tage sind Feiertage, erwiderte der Alte, „denn Gott ist mir »Gott wird dir näher sein, wenn du in seiner Kirche zu ihm betest. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0076" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/333921"/> <fw type="header" place="top"> von einem, der nicht zur Kirche ging</fw><lb/> <p xml:id="ID_267" prev="#ID_266"> und Mitläufer. Und im Reich sieht man gemeinhin wie früher halb verachtungs¬<lb/> voll, halb mitleidig, auf jeden Fall ohne jedes tieferes Interesse, der Entwicklung<lb/> zu. Man tröstet sich mit der Erinnerung an die gewundene, innerlich unwahre<lb/> Loyalitätserklärung, die der Präsident des elsaß-lothringischen Landtages unter<lb/> dem persönlichen Druck der Regierung im Sommer 1917 abgab. Daß selbst diese<lb/> Sätze nur eine ganz knappe Mehrheit gefunden hatten, darüber mußte die deutsche<lb/> Presse schweigen. Man will im Reich nicht verstehen, mit welch ungeheurer<lb/> Wucht das staatsrechtliche Geschick des Reichslandes aufs neue einer Krisis ent¬<lb/> gegendrängt, wie aufs neue, inniger und fester noch wie in der Zeit der Reichs¬<lb/> gründung, die Zukunft des Reiches verknüpft ist mit der elsaß-lothringischen Ver¬<lb/> fassungsfrage. In neuer Fassung tauchen die alten nationalen und internationalen<lb/> Probleme auf, die die Geschichte der deutschen Einheitsbewegung seit mehr als<lb/> hundert Jahren durchziehen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> <div n="1"> <head> Von einem, der nicht zur Airche ging<lb/> Litauisches Märchen<lb/> v<note type="byline"> Maria Schade</note> on </head><lb/> <p xml:id="ID_268"> WMor vielen, vielen Jahren lebte tief in den großen Wäldern ein Greis.<lb/> Ganz hatte er sich von dem Leben und den Menschen zurückgezogen.<lb/> Seine Lippen berührten kein Fleisch. Wurzeln, Pilze und Beeren<lb/> dienten ihm zur Nahrung; die Quelle stillte seinen Durst. Er arbeitete<lb/> nicht. Seine Hauptbeschäftigung war, über einen Graben zu springen.<lb/> ^ Auf der einen Seite sagte er:<lb/> "</p><lb/> <p xml:id="ID_269"> „Hier, Gott mir —.</p><lb/> <p xml:id="ID_270"> Und wenn aus der anderen Seite seine Füße den Boden berührten, rief er:</p><lb/> <p xml:id="ID_271"> „Da, Gott dir —".</p><lb/> <p xml:id="ID_272"> So gingen seine Tage dahin in Gedanken an den mächtigen Schöpfer aller<lb/> Dinge, dem er in seiner Einfalt diente. Seine Seele war wie die eines Kindes;<lb/> kein böses Begehren in seinem Herzen. Friede in ihm und um ihn; heiter strahlten<lb/> seine Augen.</p><lb/> <p xml:id="ID_273"> Den Teufel verdroß es, den Alten so gut und so glücklich zu sehen. Er<lb/> wollte die Reinheit seines Glaubens zerstören, das schöne, stille Leben mit Unruhe<lb/> erfüllen. Aber wie? Viel dachte er darüber nach. Jeder Versuch, sich dem frommen<lb/> Greise zu nähern, scheiterte."</p><lb/> <p xml:id="ID_274"> „Ich muß ihn unter die Menschen bringen, sagte der Böse zu sich selbst.<lb/> „Wenn ich ihn erst aus der Einsamkeit des Waldes heraus habe, wird schon sein<lb/> Unglück beginnen."</p><lb/> <p xml:id="ID_275"> Doch wie sollte der alte Einsiedler dazu gebracht werden, die ihm so lieb<lb/> geworbene Stille zu verlassen? — Der Teufel sann und sann. Endlich stieß er<lb/> einen häßlichen meckernden Freudenruf aus.<lb/> '"</p><lb/> <p xml:id="ID_276"> „Ich Habs! rief er.</p><lb/> <p xml:id="ID_277"> Rasch nahm er die Gestalt eines Pfarrers an. und schon stand der nun<lb/> würdig Aussehende in langem schwarzen Rocke vor dem guten Greise, der gerade<lb/> wieder über den Graben sprang.<lb/> "</p><lb/> <p xml:id="ID_278"> „Was tust du da? sagte er mit ernster Stimme, „weißt du denn nicht,<lb/> daß heute ein großer Feiertag ist?""</p><lb/> <p xml:id="ID_279"> „Alle meine Tage sind Feiertage, erwiderte der Alte, „denn Gott ist mir<lb/> immer nahe.""</p><lb/> <p xml:id="ID_280"> »Gott wird dir näher sein, wenn du in seiner Kirche zu ihm betest.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0076]
von einem, der nicht zur Kirche ging
und Mitläufer. Und im Reich sieht man gemeinhin wie früher halb verachtungs¬
voll, halb mitleidig, auf jeden Fall ohne jedes tieferes Interesse, der Entwicklung
zu. Man tröstet sich mit der Erinnerung an die gewundene, innerlich unwahre
Loyalitätserklärung, die der Präsident des elsaß-lothringischen Landtages unter
dem persönlichen Druck der Regierung im Sommer 1917 abgab. Daß selbst diese
Sätze nur eine ganz knappe Mehrheit gefunden hatten, darüber mußte die deutsche
Presse schweigen. Man will im Reich nicht verstehen, mit welch ungeheurer
Wucht das staatsrechtliche Geschick des Reichslandes aufs neue einer Krisis ent¬
gegendrängt, wie aufs neue, inniger und fester noch wie in der Zeit der Reichs¬
gründung, die Zukunft des Reiches verknüpft ist mit der elsaß-lothringischen Ver¬
fassungsfrage. In neuer Fassung tauchen die alten nationalen und internationalen
Probleme auf, die die Geschichte der deutschen Einheitsbewegung seit mehr als
hundert Jahren durchziehen.
Von einem, der nicht zur Airche ging
Litauisches Märchen
v Maria Schade on
WMor vielen, vielen Jahren lebte tief in den großen Wäldern ein Greis.
Ganz hatte er sich von dem Leben und den Menschen zurückgezogen.
Seine Lippen berührten kein Fleisch. Wurzeln, Pilze und Beeren
dienten ihm zur Nahrung; die Quelle stillte seinen Durst. Er arbeitete
nicht. Seine Hauptbeschäftigung war, über einen Graben zu springen.
^ Auf der einen Seite sagte er:
"
„Hier, Gott mir —.
Und wenn aus der anderen Seite seine Füße den Boden berührten, rief er:
„Da, Gott dir —".
So gingen seine Tage dahin in Gedanken an den mächtigen Schöpfer aller
Dinge, dem er in seiner Einfalt diente. Seine Seele war wie die eines Kindes;
kein böses Begehren in seinem Herzen. Friede in ihm und um ihn; heiter strahlten
seine Augen.
Den Teufel verdroß es, den Alten so gut und so glücklich zu sehen. Er
wollte die Reinheit seines Glaubens zerstören, das schöne, stille Leben mit Unruhe
erfüllen. Aber wie? Viel dachte er darüber nach. Jeder Versuch, sich dem frommen
Greise zu nähern, scheiterte."
„Ich muß ihn unter die Menschen bringen, sagte der Böse zu sich selbst.
„Wenn ich ihn erst aus der Einsamkeit des Waldes heraus habe, wird schon sein
Unglück beginnen."
Doch wie sollte der alte Einsiedler dazu gebracht werden, die ihm so lieb
geworbene Stille zu verlassen? — Der Teufel sann und sann. Endlich stieß er
einen häßlichen meckernden Freudenruf aus.
'"
„Ich Habs! rief er.
Rasch nahm er die Gestalt eines Pfarrers an. und schon stand der nun
würdig Aussehende in langem schwarzen Rocke vor dem guten Greise, der gerade
wieder über den Graben sprang.
"
„Was tust du da? sagte er mit ernster Stimme, „weißt du denn nicht,
daß heute ein großer Feiertag ist?""
„Alle meine Tage sind Feiertage, erwiderte der Alte, „denn Gott ist mir
immer nahe.""
»Gott wird dir näher sein, wenn du in seiner Kirche zu ihm betest.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |