Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

diese Möglichkeit deutet auch der Umstand hin,
daß die beiden Mörder in ein von Sozial¬
revolutionären besetztes und mit Maschinen¬
gewehren verteidigtes Haus geflüchtet sind.

Ob nach Lage der Dinge diese Entwicklung
in Rußland den Ententeregierungen willkom¬
men sein kann, mag dahin gestellt bleiben; je¬
denfalls wäre es von ihrem Standpunkt aus
fehlerhaft, wenn sie sie nicht nützen wollten.

Eine wesentlich neue Politische Situation
Wird durch die Ermordung für uns nicht
geschaffen. Die Frage, ob wir ernstlich die
nmximalistische Regierung stützen wollen, schält
sich nur schärfer umrissen aus dem ganzen
Fragenkomplex, im Osten hervor. Ich halte
ja unsere Freundschaft mit den gegenwärtig
regierenden Herren für unnatürlich, und ich
denke mir, daß sie in dem Augenblick auf¬
hört, wo eine andere Regierung an ihre
Stelle tritt. Zu Gunsten einer der uns im
innern ihrer Seele feindlichen Parteien, seien
es Sozialrevolutionäre oder Kadetten, zu
intervenieren, haben wir jedenfalls keinen
G. Lleinow Anlaß.

Politische Gcschichtsfälschmtgen.

Es ist
eine traurige, aber wahre Beobachtung, daß
Beharrlichkeit auch für schlechte Zwecke zum
Ziele führt. Wie die Hetzpropaganda der
Entente durch planmäßiges Trommelfeuer
das Publikum in den eigenen und zum Teil
auch in den neutralen Staaten mürbe und
gläubig macht, davon weiß ein Lied zu singen,
wer sich mit dieser trüben Materie auch nur
flüchtig beschäftigt hat. Der Hydra der Ver¬
leumdung wachsen stets neue Köpfe, wieviele
man ihr herunterschlagen mag. Leider ist
auch unser innerpolitisches Leben von der¬
gleichen Erscheinungen nicht frei, und die
Entwicklung von der Erfindung und Legende
von heute zur Tatsache von morgen nur eine
Frage der Zeit und -- des Holzpapiers.
Aber vielleicht ist die Abwehr hier leichter,
wenn sie früh genug einsetzt, Weil die öffent¬
liche Meinung im allgemeinen ehrlicher Be¬
lehrung zugänglicher erscheint als im Auslande.
In diesen- Sinne soll Protest eingelegt
werden gegen die bedenkenlose Art (wir ver¬
meiden schärfere Worte), wie ein Teil der
Presse die parlamentarischen Vorgänge an¬
läßlich des Antrages Hagemeister beleuchtet
und ortdauernd aus ihnen Kapital schlägt.

[Spaltenumbruch]

Es handelte sich dabei bekanntlich um die
Gewährung einer Zusatzstimme an die Kriegs¬
teilnehmer, die im letzten Augenblick (kurz
vor der vierten Lesung der Wahlrechtsvorlage)
von der Linken aufs Tapet gebracht wurde.
Der Antrag war -- das ist sogar von libe¬
raler Seite zugegeben worden -- von vorm
herein als eine Falle für die Kompromi߬
parteien gedacht und nicht (oder nicht nur)
aus sachlichen, sondern aus parteitaktischsn
Gründen gestellt. Deshalb hatte man in
ihm die Zusatzstimme für Kriegsteilnehmer
mit einer solchen für die Besitzer eines
selbständigen Hausstandes und einer abgewan¬
delten "Tüchtigkeits"°Stimme verkoppelt, und'
zwar unter Ausschluß getrennter Abstimmung,
zu welcherKlauseldie Antragstellernach derGe-
schäftsordnung berechtigt waren. Der freikon¬
servative Abgeordnete Dr. Arendt betonte, und
der Präsident Graf Schwerin-Lowitz stellte im
Anschluß hieran ausdrücklich fest, daß die
Antragsteller zu einer Einzelabstimmung nicht
bereit waren. Damit entfiel für den Sozial¬
demokraten Hirsch jede Berechtigung zu seiner
Behauptung, daß die Rechte eS in der Hand
gehabt hlM, getrennte Abstimmung über den
Antrag bornehmen zu lassen. Und seine
Pathetischen Drohungen, die Entrüstung ins
Volk zu tragen, das bigotte Augenverdrehen
über ein "Spiel" mit den Rechten der Kriegs¬
teilnehmer enthüllen sich als übelste Dema¬
gogie. (Zu den widerlichsten Erscheinungen
der Tagespolitik gehört das Hineinzerren
unserer Feldgrauen in den Kampf der Par¬
teien. Unser Vollsheer sollte zu heilig sein,
um als Politische Handelsware gemarktet zu
werden I) Wie soll man aber vollends das Ver¬
halten des "Vorwärts" bezeichnen, der zwar die
Anwürfe seines, Parteivertreters in aller
Ausführlichkeit abdrückt, dagegen die Rede
des Abgeordneten Arendt und die formelle
Feststellung des Präsidenten unter--drückt. (I)
ES ist ja nur zu bekannt, welch höchst ein¬
seitiges Bild unsere Tageszeitungen je nach
ihrer politischen Observanz dem Leser von
den Parlamentarischen Verhandlungen über¬
mitteln, aber bis zur offenbaren Fälschung
durch Auslassung sollten sich doch diese
Methoden nicht verirren dürfen I Nun ließe
es sich ja noch zur Not ertragen, wenn
die Sache mit der einmaligen Bericht-

[Ende Spaltensatz]
Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

diese Möglichkeit deutet auch der Umstand hin,
daß die beiden Mörder in ein von Sozial¬
revolutionären besetztes und mit Maschinen¬
gewehren verteidigtes Haus geflüchtet sind.

Ob nach Lage der Dinge diese Entwicklung
in Rußland den Ententeregierungen willkom¬
men sein kann, mag dahin gestellt bleiben; je¬
denfalls wäre es von ihrem Standpunkt aus
fehlerhaft, wenn sie sie nicht nützen wollten.

Eine wesentlich neue Politische Situation
Wird durch die Ermordung für uns nicht
geschaffen. Die Frage, ob wir ernstlich die
nmximalistische Regierung stützen wollen, schält
sich nur schärfer umrissen aus dem ganzen
Fragenkomplex, im Osten hervor. Ich halte
ja unsere Freundschaft mit den gegenwärtig
regierenden Herren für unnatürlich, und ich
denke mir, daß sie in dem Augenblick auf¬
hört, wo eine andere Regierung an ihre
Stelle tritt. Zu Gunsten einer der uns im
innern ihrer Seele feindlichen Parteien, seien
es Sozialrevolutionäre oder Kadetten, zu
intervenieren, haben wir jedenfalls keinen
G. Lleinow Anlaß.

Politische Gcschichtsfälschmtgen.

Es ist
eine traurige, aber wahre Beobachtung, daß
Beharrlichkeit auch für schlechte Zwecke zum
Ziele führt. Wie die Hetzpropaganda der
Entente durch planmäßiges Trommelfeuer
das Publikum in den eigenen und zum Teil
auch in den neutralen Staaten mürbe und
gläubig macht, davon weiß ein Lied zu singen,
wer sich mit dieser trüben Materie auch nur
flüchtig beschäftigt hat. Der Hydra der Ver¬
leumdung wachsen stets neue Köpfe, wieviele
man ihr herunterschlagen mag. Leider ist
auch unser innerpolitisches Leben von der¬
gleichen Erscheinungen nicht frei, und die
Entwicklung von der Erfindung und Legende
von heute zur Tatsache von morgen nur eine
Frage der Zeit und — des Holzpapiers.
Aber vielleicht ist die Abwehr hier leichter,
wenn sie früh genug einsetzt, Weil die öffent¬
liche Meinung im allgemeinen ehrlicher Be¬
lehrung zugänglicher erscheint als im Auslande.
In diesen- Sinne soll Protest eingelegt
werden gegen die bedenkenlose Art (wir ver¬
meiden schärfere Worte), wie ein Teil der
Presse die parlamentarischen Vorgänge an¬
läßlich des Antrages Hagemeister beleuchtet
und ortdauernd aus ihnen Kapital schlägt.

[Spaltenumbruch]

Es handelte sich dabei bekanntlich um die
Gewährung einer Zusatzstimme an die Kriegs¬
teilnehmer, die im letzten Augenblick (kurz
vor der vierten Lesung der Wahlrechtsvorlage)
von der Linken aufs Tapet gebracht wurde.
Der Antrag war — das ist sogar von libe¬
raler Seite zugegeben worden — von vorm
herein als eine Falle für die Kompromi߬
parteien gedacht und nicht (oder nicht nur)
aus sachlichen, sondern aus parteitaktischsn
Gründen gestellt. Deshalb hatte man in
ihm die Zusatzstimme für Kriegsteilnehmer
mit einer solchen für die Besitzer eines
selbständigen Hausstandes und einer abgewan¬
delten „Tüchtigkeits"°Stimme verkoppelt, und'
zwar unter Ausschluß getrennter Abstimmung,
zu welcherKlauseldie Antragstellernach derGe-
schäftsordnung berechtigt waren. Der freikon¬
servative Abgeordnete Dr. Arendt betonte, und
der Präsident Graf Schwerin-Lowitz stellte im
Anschluß hieran ausdrücklich fest, daß die
Antragsteller zu einer Einzelabstimmung nicht
bereit waren. Damit entfiel für den Sozial¬
demokraten Hirsch jede Berechtigung zu seiner
Behauptung, daß die Rechte eS in der Hand
gehabt hlM, getrennte Abstimmung über den
Antrag bornehmen zu lassen. Und seine
Pathetischen Drohungen, die Entrüstung ins
Volk zu tragen, das bigotte Augenverdrehen
über ein „Spiel" mit den Rechten der Kriegs¬
teilnehmer enthüllen sich als übelste Dema¬
gogie. (Zu den widerlichsten Erscheinungen
der Tagespolitik gehört das Hineinzerren
unserer Feldgrauen in den Kampf der Par¬
teien. Unser Vollsheer sollte zu heilig sein,
um als Politische Handelsware gemarktet zu
werden I) Wie soll man aber vollends das Ver¬
halten des „Vorwärts" bezeichnen, der zwar die
Anwürfe seines, Parteivertreters in aller
Ausführlichkeit abdrückt, dagegen die Rede
des Abgeordneten Arendt und die formelle
Feststellung des Präsidenten unter—drückt. (I)
ES ist ja nur zu bekannt, welch höchst ein¬
seitiges Bild unsere Tageszeitungen je nach
ihrer politischen Observanz dem Leser von
den Parlamentarischen Verhandlungen über¬
mitteln, aber bis zur offenbaren Fälschung
durch Auslassung sollten sich doch diese
Methoden nicht verirren dürfen I Nun ließe
es sich ja noch zur Not ertragen, wenn
die Sache mit der einmaligen Bericht-

[Ende Spaltensatz]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0059" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/333904"/>
            <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
            <cb type="start"/>
            <p xml:id="ID_217" prev="#ID_216"> diese Möglichkeit deutet auch der Umstand hin,<lb/>
daß die beiden Mörder in ein von Sozial¬<lb/>
revolutionären besetztes und mit Maschinen¬<lb/>
gewehren verteidigtes Haus geflüchtet sind.</p>
            <p xml:id="ID_218"> Ob nach Lage der Dinge diese Entwicklung<lb/>
in Rußland den Ententeregierungen willkom¬<lb/>
men sein kann, mag dahin gestellt bleiben; je¬<lb/>
denfalls wäre es von ihrem Standpunkt aus<lb/>
fehlerhaft, wenn sie sie nicht nützen wollten.</p>
            <p xml:id="ID_219"> Eine wesentlich neue Politische Situation<lb/>
Wird durch die Ermordung für uns nicht<lb/>
geschaffen. Die Frage, ob wir ernstlich die<lb/>
nmximalistische Regierung stützen wollen, schält<lb/>
sich nur schärfer umrissen aus dem ganzen<lb/>
Fragenkomplex, im Osten hervor. Ich halte<lb/>
ja unsere Freundschaft mit den gegenwärtig<lb/>
regierenden Herren für unnatürlich, und ich<lb/>
denke mir, daß sie in dem Augenblick auf¬<lb/>
hört, wo eine andere Regierung an ihre<lb/>
Stelle tritt. Zu Gunsten einer der uns im<lb/>
innern ihrer Seele feindlichen Parteien, seien<lb/>
es Sozialrevolutionäre oder Kadetten, zu<lb/>
intervenieren, haben wir jedenfalls keinen<lb/><note type="byline"> G. Lleinow</note> Anlaß. </p>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Politische Gcschichtsfälschmtgen.</head>
            <p xml:id="ID_220"> Es ist<lb/>
eine traurige, aber wahre Beobachtung, daß<lb/>
Beharrlichkeit auch für schlechte Zwecke zum<lb/>
Ziele führt. Wie die Hetzpropaganda der<lb/>
Entente durch planmäßiges Trommelfeuer<lb/>
das Publikum in den eigenen und zum Teil<lb/>
auch in den neutralen Staaten mürbe und<lb/>
gläubig macht, davon weiß ein Lied zu singen,<lb/>
wer sich mit dieser trüben Materie auch nur<lb/>
flüchtig beschäftigt hat. Der Hydra der Ver¬<lb/>
leumdung wachsen stets neue Köpfe, wieviele<lb/>
man ihr herunterschlagen mag. Leider ist<lb/>
auch unser innerpolitisches Leben von der¬<lb/>
gleichen Erscheinungen nicht frei, und die<lb/>
Entwicklung von der Erfindung und Legende<lb/>
von heute zur Tatsache von morgen nur eine<lb/>
Frage der Zeit und &#x2014; des Holzpapiers.<lb/>
Aber vielleicht ist die Abwehr hier leichter,<lb/>
wenn sie früh genug einsetzt, Weil die öffent¬<lb/>
liche Meinung im allgemeinen ehrlicher Be¬<lb/>
lehrung zugänglicher erscheint als im Auslande.<lb/>
In diesen- Sinne soll Protest eingelegt<lb/>
werden gegen die bedenkenlose Art (wir ver¬<lb/>
meiden schärfere Worte), wie ein Teil der<lb/>
Presse die parlamentarischen Vorgänge an¬<lb/>
läßlich des Antrages Hagemeister beleuchtet<lb/>
und ortdauernd aus ihnen Kapital schlägt.</p>
            <cb/><lb/>
            <p xml:id="ID_221" next="#ID_222"> Es handelte sich dabei bekanntlich um die<lb/>
Gewährung einer Zusatzstimme an die Kriegs¬<lb/>
teilnehmer, die im letzten Augenblick (kurz<lb/>
vor der vierten Lesung der Wahlrechtsvorlage)<lb/>
von der Linken aufs Tapet gebracht wurde.<lb/>
Der Antrag war &#x2014; das ist sogar von libe¬<lb/>
raler Seite zugegeben worden &#x2014; von vorm<lb/>
herein als eine Falle für die Kompromi߬<lb/>
parteien gedacht und nicht (oder nicht nur)<lb/>
aus sachlichen, sondern aus parteitaktischsn<lb/>
Gründen gestellt. Deshalb hatte man in<lb/>
ihm die Zusatzstimme für Kriegsteilnehmer<lb/>
mit einer solchen für die Besitzer eines<lb/>
selbständigen Hausstandes und einer abgewan¬<lb/>
delten &#x201E;Tüchtigkeits"°Stimme verkoppelt, und'<lb/>
zwar unter Ausschluß getrennter Abstimmung,<lb/>
zu welcherKlauseldie Antragstellernach derGe-<lb/>
schäftsordnung berechtigt waren. Der freikon¬<lb/>
servative Abgeordnete Dr. Arendt betonte, und<lb/>
der Präsident Graf Schwerin-Lowitz stellte im<lb/>
Anschluß hieran ausdrücklich fest, daß die<lb/>
Antragsteller zu einer Einzelabstimmung nicht<lb/>
bereit waren. Damit entfiel für den Sozial¬<lb/>
demokraten Hirsch jede Berechtigung zu seiner<lb/>
Behauptung, daß die Rechte eS in der Hand<lb/>
gehabt hlM, getrennte Abstimmung über den<lb/>
Antrag bornehmen zu lassen. Und seine<lb/>
Pathetischen Drohungen, die Entrüstung ins<lb/>
Volk zu tragen, das bigotte Augenverdrehen<lb/>
über ein &#x201E;Spiel" mit den Rechten der Kriegs¬<lb/>
teilnehmer enthüllen sich als übelste Dema¬<lb/>
gogie. (Zu den widerlichsten Erscheinungen<lb/>
der Tagespolitik gehört das Hineinzerren<lb/>
unserer Feldgrauen in den Kampf der Par¬<lb/>
teien. Unser Vollsheer sollte zu heilig sein,<lb/>
um als Politische Handelsware gemarktet zu<lb/>
werden I) Wie soll man aber vollends das Ver¬<lb/>
halten des &#x201E;Vorwärts" bezeichnen, der zwar die<lb/>
Anwürfe seines, Parteivertreters in aller<lb/>
Ausführlichkeit abdrückt, dagegen die Rede<lb/>
des Abgeordneten Arendt und die formelle<lb/>
Feststellung des Präsidenten unter&#x2014;drückt. (I)<lb/>
ES ist ja nur zu bekannt, welch höchst ein¬<lb/>
seitiges Bild unsere Tageszeitungen je nach<lb/>
ihrer politischen Observanz dem Leser von<lb/>
den Parlamentarischen Verhandlungen über¬<lb/>
mitteln, aber bis zur offenbaren Fälschung<lb/>
durch Auslassung sollten sich doch diese<lb/>
Methoden nicht verirren dürfen I Nun ließe<lb/>
es sich ja noch zur Not ertragen, wenn<lb/>
die Sache mit der einmaligen Bericht-</p>
            <cb type="end"/><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0059] Maßgebliches und Unmaßgebliches diese Möglichkeit deutet auch der Umstand hin, daß die beiden Mörder in ein von Sozial¬ revolutionären besetztes und mit Maschinen¬ gewehren verteidigtes Haus geflüchtet sind. Ob nach Lage der Dinge diese Entwicklung in Rußland den Ententeregierungen willkom¬ men sein kann, mag dahin gestellt bleiben; je¬ denfalls wäre es von ihrem Standpunkt aus fehlerhaft, wenn sie sie nicht nützen wollten. Eine wesentlich neue Politische Situation Wird durch die Ermordung für uns nicht geschaffen. Die Frage, ob wir ernstlich die nmximalistische Regierung stützen wollen, schält sich nur schärfer umrissen aus dem ganzen Fragenkomplex, im Osten hervor. Ich halte ja unsere Freundschaft mit den gegenwärtig regierenden Herren für unnatürlich, und ich denke mir, daß sie in dem Augenblick auf¬ hört, wo eine andere Regierung an ihre Stelle tritt. Zu Gunsten einer der uns im innern ihrer Seele feindlichen Parteien, seien es Sozialrevolutionäre oder Kadetten, zu intervenieren, haben wir jedenfalls keinen G. Lleinow Anlaß. Politische Gcschichtsfälschmtgen. Es ist eine traurige, aber wahre Beobachtung, daß Beharrlichkeit auch für schlechte Zwecke zum Ziele führt. Wie die Hetzpropaganda der Entente durch planmäßiges Trommelfeuer das Publikum in den eigenen und zum Teil auch in den neutralen Staaten mürbe und gläubig macht, davon weiß ein Lied zu singen, wer sich mit dieser trüben Materie auch nur flüchtig beschäftigt hat. Der Hydra der Ver¬ leumdung wachsen stets neue Köpfe, wieviele man ihr herunterschlagen mag. Leider ist auch unser innerpolitisches Leben von der¬ gleichen Erscheinungen nicht frei, und die Entwicklung von der Erfindung und Legende von heute zur Tatsache von morgen nur eine Frage der Zeit und — des Holzpapiers. Aber vielleicht ist die Abwehr hier leichter, wenn sie früh genug einsetzt, Weil die öffent¬ liche Meinung im allgemeinen ehrlicher Be¬ lehrung zugänglicher erscheint als im Auslande. In diesen- Sinne soll Protest eingelegt werden gegen die bedenkenlose Art (wir ver¬ meiden schärfere Worte), wie ein Teil der Presse die parlamentarischen Vorgänge an¬ läßlich des Antrages Hagemeister beleuchtet und ortdauernd aus ihnen Kapital schlägt. Es handelte sich dabei bekanntlich um die Gewährung einer Zusatzstimme an die Kriegs¬ teilnehmer, die im letzten Augenblick (kurz vor der vierten Lesung der Wahlrechtsvorlage) von der Linken aufs Tapet gebracht wurde. Der Antrag war — das ist sogar von libe¬ raler Seite zugegeben worden — von vorm herein als eine Falle für die Kompromi߬ parteien gedacht und nicht (oder nicht nur) aus sachlichen, sondern aus parteitaktischsn Gründen gestellt. Deshalb hatte man in ihm die Zusatzstimme für Kriegsteilnehmer mit einer solchen für die Besitzer eines selbständigen Hausstandes und einer abgewan¬ delten „Tüchtigkeits"°Stimme verkoppelt, und' zwar unter Ausschluß getrennter Abstimmung, zu welcherKlauseldie Antragstellernach derGe- schäftsordnung berechtigt waren. Der freikon¬ servative Abgeordnete Dr. Arendt betonte, und der Präsident Graf Schwerin-Lowitz stellte im Anschluß hieran ausdrücklich fest, daß die Antragsteller zu einer Einzelabstimmung nicht bereit waren. Damit entfiel für den Sozial¬ demokraten Hirsch jede Berechtigung zu seiner Behauptung, daß die Rechte eS in der Hand gehabt hlM, getrennte Abstimmung über den Antrag bornehmen zu lassen. Und seine Pathetischen Drohungen, die Entrüstung ins Volk zu tragen, das bigotte Augenverdrehen über ein „Spiel" mit den Rechten der Kriegs¬ teilnehmer enthüllen sich als übelste Dema¬ gogie. (Zu den widerlichsten Erscheinungen der Tagespolitik gehört das Hineinzerren unserer Feldgrauen in den Kampf der Par¬ teien. Unser Vollsheer sollte zu heilig sein, um als Politische Handelsware gemarktet zu werden I) Wie soll man aber vollends das Ver¬ halten des „Vorwärts" bezeichnen, der zwar die Anwürfe seines, Parteivertreters in aller Ausführlichkeit abdrückt, dagegen die Rede des Abgeordneten Arendt und die formelle Feststellung des Präsidenten unter—drückt. (I) ES ist ja nur zu bekannt, welch höchst ein¬ seitiges Bild unsere Tageszeitungen je nach ihrer politischen Observanz dem Leser von den Parlamentarischen Verhandlungen über¬ mitteln, aber bis zur offenbaren Fälschung durch Auslassung sollten sich doch diese Methoden nicht verirren dürfen I Nun ließe es sich ja noch zur Not ertragen, wenn die Sache mit der einmaligen Bericht-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/59
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/59>, abgerufen am 27.06.2024.