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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr.

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Kritik
(Leorg Lleinow von

er gezwungen ist, die Lage der Mittemächte lediglich nach den kurzen
Meldungen der amtlichen Telegramme und den halbamtlichen Kom¬
mentaren dazu zu beurteilen, wird kaum imstande sein, sich ein zu¬
treffendes Bild vom wirklichen Stande der Dinge zu machen und
hat einen Schein des Rechtes, besorgt den Kopf zu wiegen. Was
in den letzten Wochen geschehen, ist obenhin angesehen tatsächlich nicht geeignet
zu rosigen Betrachtungen. Militärisch und politisch kann der der Politik fern¬
stehende den Eindruck haben, als befänden wir uns auf einem allgemeinen Rück-
zuge vor übergewaltigen Druck. An der Piave, wo sich die Elemente mit den
Italienern verbündet zu haben schienen, setzte die rückläufige Bewegung ein; es
folgt die überraschende Wendung der Dinge an der Marne, die zum Rückzug auf
die Veste führt; im Osten bedroht der inzwischen beigelegte Eisenbahnerausstand
in der Ukraina und die mit Attentaten einsetzende Kriegserklärung der Sozial¬
revolutionäre die friedliche Entwicklung, während in Litauen die Taryba sich Rechte
anmaßt, die sie im Widerspruch zu den Reichsinteressen keck ausnutzt; in Finnland
zeigen die inzwischen auf den glatten Weg geführten Verfassungsverhandlungen im
Parlament, daß es auch dort politische Gruppen gibt, die sich versucht sühlen, ihreWege
ohne Rücksicht auf die Wünsche des deutschen Befreiers zu wandeln; zwischen Somme
und Altare erleiden unsere Truppen durch Überraschung eine ernste Schlappe, und
schließlich zieht sich die deutsche Gesandtschaft aus Moskau zurück, während Entente-
trnppen, Tschecho-Slowaken, Japaner, Amerikaner von Norden und Osten heran¬
rücken, um die russische Front wiederherzustellen. Das sieht schlimm genug aus,
und es ist gewiß kein erfreuliches Bild, das uns der amtliche Apparat malet
Dies Bild erfährt noch eine ungewollte- Verdüsterung durch Veröffentlichungen,
wie etwa die über die Mission des Obersten Roanda, die die Friedensverhandlungen
von Bukarest einleitete, wie überhaupt verschiedene Nachrichten aus Österreich.

Allein der Umstand, daß das unerfreuliche Bild hier so unbekümmert auf
engstem Raum ohne Beschönigung zusammengestellt werden darf, möge dem Leser
schon als Beweis dafür dienen, daß außer dem veröffentlichten politischen Material
noch weiteres vorhanden ist, das im offiziellen Pressedienst nicht zum Ausdruck


Grenzboten III 1918 13


Kritik
(Leorg Lleinow von

er gezwungen ist, die Lage der Mittemächte lediglich nach den kurzen
Meldungen der amtlichen Telegramme und den halbamtlichen Kom¬
mentaren dazu zu beurteilen, wird kaum imstande sein, sich ein zu¬
treffendes Bild vom wirklichen Stande der Dinge zu machen und
hat einen Schein des Rechtes, besorgt den Kopf zu wiegen. Was
in den letzten Wochen geschehen, ist obenhin angesehen tatsächlich nicht geeignet
zu rosigen Betrachtungen. Militärisch und politisch kann der der Politik fern¬
stehende den Eindruck haben, als befänden wir uns auf einem allgemeinen Rück-
zuge vor übergewaltigen Druck. An der Piave, wo sich die Elemente mit den
Italienern verbündet zu haben schienen, setzte die rückläufige Bewegung ein; es
folgt die überraschende Wendung der Dinge an der Marne, die zum Rückzug auf
die Veste führt; im Osten bedroht der inzwischen beigelegte Eisenbahnerausstand
in der Ukraina und die mit Attentaten einsetzende Kriegserklärung der Sozial¬
revolutionäre die friedliche Entwicklung, während in Litauen die Taryba sich Rechte
anmaßt, die sie im Widerspruch zu den Reichsinteressen keck ausnutzt; in Finnland
zeigen die inzwischen auf den glatten Weg geführten Verfassungsverhandlungen im
Parlament, daß es auch dort politische Gruppen gibt, die sich versucht sühlen, ihreWege
ohne Rücksicht auf die Wünsche des deutschen Befreiers zu wandeln; zwischen Somme
und Altare erleiden unsere Truppen durch Überraschung eine ernste Schlappe, und
schließlich zieht sich die deutsche Gesandtschaft aus Moskau zurück, während Entente-
trnppen, Tschecho-Slowaken, Japaner, Amerikaner von Norden und Osten heran¬
rücken, um die russische Front wiederherzustellen. Das sieht schlimm genug aus,
und es ist gewiß kein erfreuliches Bild, das uns der amtliche Apparat malet
Dies Bild erfährt noch eine ungewollte- Verdüsterung durch Veröffentlichungen,
wie etwa die über die Mission des Obersten Roanda, die die Friedensverhandlungen
von Bukarest einleitete, wie überhaupt verschiedene Nachrichten aus Österreich.

Allein der Umstand, daß das unerfreuliche Bild hier so unbekümmert auf
engstem Raum ohne Beschönigung zusammengestellt werden darf, möge dem Leser
schon als Beweis dafür dienen, daß außer dem veröffentlichten politischen Material
noch weiteres vorhanden ist, das im offiziellen Pressedienst nicht zum Ausdruck


Grenzboten III 1918 13
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[0165] [Abbildung] Kritik (Leorg Lleinow von er gezwungen ist, die Lage der Mittemächte lediglich nach den kurzen Meldungen der amtlichen Telegramme und den halbamtlichen Kom¬ mentaren dazu zu beurteilen, wird kaum imstande sein, sich ein zu¬ treffendes Bild vom wirklichen Stande der Dinge zu machen und hat einen Schein des Rechtes, besorgt den Kopf zu wiegen. Was in den letzten Wochen geschehen, ist obenhin angesehen tatsächlich nicht geeignet zu rosigen Betrachtungen. Militärisch und politisch kann der der Politik fern¬ stehende den Eindruck haben, als befänden wir uns auf einem allgemeinen Rück- zuge vor übergewaltigen Druck. An der Piave, wo sich die Elemente mit den Italienern verbündet zu haben schienen, setzte die rückläufige Bewegung ein; es folgt die überraschende Wendung der Dinge an der Marne, die zum Rückzug auf die Veste führt; im Osten bedroht der inzwischen beigelegte Eisenbahnerausstand in der Ukraina und die mit Attentaten einsetzende Kriegserklärung der Sozial¬ revolutionäre die friedliche Entwicklung, während in Litauen die Taryba sich Rechte anmaßt, die sie im Widerspruch zu den Reichsinteressen keck ausnutzt; in Finnland zeigen die inzwischen auf den glatten Weg geführten Verfassungsverhandlungen im Parlament, daß es auch dort politische Gruppen gibt, die sich versucht sühlen, ihreWege ohne Rücksicht auf die Wünsche des deutschen Befreiers zu wandeln; zwischen Somme und Altare erleiden unsere Truppen durch Überraschung eine ernste Schlappe, und schließlich zieht sich die deutsche Gesandtschaft aus Moskau zurück, während Entente- trnppen, Tschecho-Slowaken, Japaner, Amerikaner von Norden und Osten heran¬ rücken, um die russische Front wiederherzustellen. Das sieht schlimm genug aus, und es ist gewiß kein erfreuliches Bild, das uns der amtliche Apparat malet Dies Bild erfährt noch eine ungewollte- Verdüsterung durch Veröffentlichungen, wie etwa die über die Mission des Obersten Roanda, die die Friedensverhandlungen von Bukarest einleitete, wie überhaupt verschiedene Nachrichten aus Österreich. Allein der Umstand, daß das unerfreuliche Bild hier so unbekümmert auf engstem Raum ohne Beschönigung zusammengestellt werden darf, möge dem Leser schon als Beweis dafür dienen, daß außer dem veröffentlichten politischen Material noch weiteres vorhanden ist, das im offiziellen Pressedienst nicht zum Ausdruck Grenzboten III 1918 13

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333844/165>, abgerufen am 27.06.2024.