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Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr.

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Allgemeines Stimmrecht in den Niederlanden

Die Einführung des allgemeinen Stimmrechtes
in den Niederlanden
Professor Dr. Lonrad Bornhak von

is 18ß9 die Umgestaltung der preußischen Verwaltung in Aussicht
stand und man unter dem Einflüsse von Gneist allgemein auf das
englische Vorbild blickte, wies Miguel in den "Preußischen Jahr¬
büchern" auf die mustergültige Verwaltungsorganisation der Nieder¬
lande hin. Und in der Tat, wenn man rechtsvergleichend fremde
Einrichtungen der eigenen Gesetzgebungspolitik nutzbar machen wollte, so stand
uns unser niederdeutsches Nachbarvolk unendlich viel näher als England, dessen
Rechtszustände in der abgeschlossenen Jnsellage des Landes vielfach eine Ent-
Wicklung genommen hatten, die einen Vergleich mit den Verhältnissen des Fest
landes überhaupt nicht zuließen. Nun vollzieht sich, während wir mit Einführung
des allgemeinen Stimmrechtes in Preußen beschäftigt sind, eine Umgestaltung des
kommunalen Stimmrechtes für die nächste Zukunft zu erwarten ist, in den Nieder¬
landen, von den Tageszeitungen fast unbemerkt, der Übergang zum allgemeinen
Stimmrechte, gleichmäßig für Volksvertretung. Provinz und Gemeinde, gerade in
diesen Tagen. Deshalb gewinnen unter unserer dermaligen politischen Lage die
inneren politischen Zustände der Niederlande für uns wieder eine besondere Be¬
deutung.

Schon durch königliche Verordnung vom Is. November 1913 war ein Staats-
ausschuß von hervorragenden Politikern und Juristen zur Ausarbeitung des neuen
Wahlrechtes mit Verhältniswahl eingesetzt worden. Dieser Ausschuß erstattete
schon am 25. Mai 1914 seinen Bericht unter Vorlage der entsprechenden Gesetz¬
entwürfe. Die parlamentarische Erledigung nahm erheblich längere Zeit in An¬
spruch, da mit den Vorlagen eine Verfassungsänderung verbunden war. die eines
zwiefachen Beschlusses der Generalstaaten mit zwischen beiden Beschlüssen liegender
Auflösung der Kammern bedarf. Aber mitten in den Stürmen des Weltkrieges
wurde das Werk vollendet. Am 5, Dezember 1917 konnten die neuen Gesetze
in der altertümlichen Form von allen Nathaustreppen des Landes verkündet
werden.

Die niederländische Verfassung vom 14. Oktober 1848 ist im wesentlichen
das Werk des Leidener Staatsrechtslehrers Thorbecke als Ministers, dessen Bild,
vom Staate gestiftet, während die anderen Bilder Privatstiftungen sind, in dem
ehrwürdigen Senatssaale der Leidener Universität auf uns niederbückt. Auf Grund
der Verfassung ergingen dann im Juli 1850 das Wahlgesetz, die Gemeinde- und
die Provinzialordnung.

Für die Wahl der zweiten Kammer wurde danach das Zensuswahlrecht
eingeführt. Die Gemeinde- und die Provinzialordnung bestimmten dann das
Gemeinde- und Provinzialwahlrecht nach der Wahlberechtigung für die zweite
Kammer der Generalstaaten. Die erste Kammer der Generalstaaten wurde ihrer¬
seits von den Provinzialstaaten gewählt. Damit bestand ein durchaus einheit¬
liches Wahlrecht von der Gemeinde aufwärts bis zur Volksvertretung -- nur daß


Allgemeines Stimmrecht in den Niederlanden

Die Einführung des allgemeinen Stimmrechtes
in den Niederlanden
Professor Dr. Lonrad Bornhak von

is 18ß9 die Umgestaltung der preußischen Verwaltung in Aussicht
stand und man unter dem Einflüsse von Gneist allgemein auf das
englische Vorbild blickte, wies Miguel in den „Preußischen Jahr¬
büchern" auf die mustergültige Verwaltungsorganisation der Nieder¬
lande hin. Und in der Tat, wenn man rechtsvergleichend fremde
Einrichtungen der eigenen Gesetzgebungspolitik nutzbar machen wollte, so stand
uns unser niederdeutsches Nachbarvolk unendlich viel näher als England, dessen
Rechtszustände in der abgeschlossenen Jnsellage des Landes vielfach eine Ent-
Wicklung genommen hatten, die einen Vergleich mit den Verhältnissen des Fest
landes überhaupt nicht zuließen. Nun vollzieht sich, während wir mit Einführung
des allgemeinen Stimmrechtes in Preußen beschäftigt sind, eine Umgestaltung des
kommunalen Stimmrechtes für die nächste Zukunft zu erwarten ist, in den Nieder¬
landen, von den Tageszeitungen fast unbemerkt, der Übergang zum allgemeinen
Stimmrechte, gleichmäßig für Volksvertretung. Provinz und Gemeinde, gerade in
diesen Tagen. Deshalb gewinnen unter unserer dermaligen politischen Lage die
inneren politischen Zustände der Niederlande für uns wieder eine besondere Be¬
deutung.

Schon durch königliche Verordnung vom Is. November 1913 war ein Staats-
ausschuß von hervorragenden Politikern und Juristen zur Ausarbeitung des neuen
Wahlrechtes mit Verhältniswahl eingesetzt worden. Dieser Ausschuß erstattete
schon am 25. Mai 1914 seinen Bericht unter Vorlage der entsprechenden Gesetz¬
entwürfe. Die parlamentarische Erledigung nahm erheblich längere Zeit in An¬
spruch, da mit den Vorlagen eine Verfassungsänderung verbunden war. die eines
zwiefachen Beschlusses der Generalstaaten mit zwischen beiden Beschlüssen liegender
Auflösung der Kammern bedarf. Aber mitten in den Stürmen des Weltkrieges
wurde das Werk vollendet. Am 5, Dezember 1917 konnten die neuen Gesetze
in der altertümlichen Form von allen Nathaustreppen des Landes verkündet
werden.

Die niederländische Verfassung vom 14. Oktober 1848 ist im wesentlichen
das Werk des Leidener Staatsrechtslehrers Thorbecke als Ministers, dessen Bild,
vom Staate gestiftet, während die anderen Bilder Privatstiftungen sind, in dem
ehrwürdigen Senatssaale der Leidener Universität auf uns niederbückt. Auf Grund
der Verfassung ergingen dann im Juli 1850 das Wahlgesetz, die Gemeinde- und
die Provinzialordnung.

Für die Wahl der zweiten Kammer wurde danach das Zensuswahlrecht
eingeführt. Die Gemeinde- und die Provinzialordnung bestimmten dann das
Gemeinde- und Provinzialwahlrecht nach der Wahlberechtigung für die zweite
Kammer der Generalstaaten. Die erste Kammer der Generalstaaten wurde ihrer¬
seits von den Provinzialstaaten gewählt. Damit bestand ein durchaus einheit¬
liches Wahlrecht von der Gemeinde aufwärts bis zur Volksvertretung -- nur daß


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[0021] Allgemeines Stimmrecht in den Niederlanden Die Einführung des allgemeinen Stimmrechtes in den Niederlanden Professor Dr. Lonrad Bornhak von is 18ß9 die Umgestaltung der preußischen Verwaltung in Aussicht stand und man unter dem Einflüsse von Gneist allgemein auf das englische Vorbild blickte, wies Miguel in den „Preußischen Jahr¬ büchern" auf die mustergültige Verwaltungsorganisation der Nieder¬ lande hin. Und in der Tat, wenn man rechtsvergleichend fremde Einrichtungen der eigenen Gesetzgebungspolitik nutzbar machen wollte, so stand uns unser niederdeutsches Nachbarvolk unendlich viel näher als England, dessen Rechtszustände in der abgeschlossenen Jnsellage des Landes vielfach eine Ent- Wicklung genommen hatten, die einen Vergleich mit den Verhältnissen des Fest landes überhaupt nicht zuließen. Nun vollzieht sich, während wir mit Einführung des allgemeinen Stimmrechtes in Preußen beschäftigt sind, eine Umgestaltung des kommunalen Stimmrechtes für die nächste Zukunft zu erwarten ist, in den Nieder¬ landen, von den Tageszeitungen fast unbemerkt, der Übergang zum allgemeinen Stimmrechte, gleichmäßig für Volksvertretung. Provinz und Gemeinde, gerade in diesen Tagen. Deshalb gewinnen unter unserer dermaligen politischen Lage die inneren politischen Zustände der Niederlande für uns wieder eine besondere Be¬ deutung. Schon durch königliche Verordnung vom Is. November 1913 war ein Staats- ausschuß von hervorragenden Politikern und Juristen zur Ausarbeitung des neuen Wahlrechtes mit Verhältniswahl eingesetzt worden. Dieser Ausschuß erstattete schon am 25. Mai 1914 seinen Bericht unter Vorlage der entsprechenden Gesetz¬ entwürfe. Die parlamentarische Erledigung nahm erheblich längere Zeit in An¬ spruch, da mit den Vorlagen eine Verfassungsänderung verbunden war. die eines zwiefachen Beschlusses der Generalstaaten mit zwischen beiden Beschlüssen liegender Auflösung der Kammern bedarf. Aber mitten in den Stürmen des Weltkrieges wurde das Werk vollendet. Am 5, Dezember 1917 konnten die neuen Gesetze in der altertümlichen Form von allen Nathaustreppen des Landes verkündet werden. Die niederländische Verfassung vom 14. Oktober 1848 ist im wesentlichen das Werk des Leidener Staatsrechtslehrers Thorbecke als Ministers, dessen Bild, vom Staate gestiftet, während die anderen Bilder Privatstiftungen sind, in dem ehrwürdigen Senatssaale der Leidener Universität auf uns niederbückt. Auf Grund der Verfassung ergingen dann im Juli 1850 das Wahlgesetz, die Gemeinde- und die Provinzialordnung. Für die Wahl der zweiten Kammer wurde danach das Zensuswahlrecht eingeführt. Die Gemeinde- und die Provinzialordnung bestimmten dann das Gemeinde- und Provinzialwahlrecht nach der Wahlberechtigung für die zweite Kammer der Generalstaaten. Die erste Kammer der Generalstaaten wurde ihrer¬ seits von den Provinzialstaaten gewählt. Damit bestand ein durchaus einheit¬ liches Wahlrecht von der Gemeinde aufwärts bis zur Volksvertretung -- nur daß

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 77, 1918, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341907_333095/21>, abgerufen am 22.07.2024.