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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Die polnische Frage von Juni bis September M7
Universität-Professor Dr. R. F. Raindl von

l n unserem ersten Berichte über die Entwicklung der polnischen
Frage*) wurde am Schlüsse gezeigt, wie unter dem Einflüsse der
russischen Revolution die radikalen Elemente unter den Polen sich
stärker sichtbar machten. Jene Polen, die aus verschiedenen Gründen
nach Nußland neigen, konnten sür das freie Rußland noch nach¬
drücklicher agitieren, als für das zaristische. Aber auch in dem anderen polnischen
Lager machte sich eine extreme Richtung geltend. Es kamen die erhöhten For¬
derungen des polnischen Staatrates (1. Mai) und als ihnen nicht sofort willfahrt
wurde, die vorübergehende Einstellung der Arbeit dieses Staatrates (17. Mai).
Gleichzeitig haben die österreichischen Polen den Kampf für die Sonderstellung
Galiziens aufgegeben und als ihre einzige Forderung das geeinigte Polen mit
dem Zutritt zum Meere (durch preußisches Gebiet) erhoben. Diesem Begehren
mußten sich auch die vorsichtigen Krakauer Konservativen anschließen (26. Mai).
Zugleich trat der Polenklub in Opposition zur österreichischen Regierung. Die
weitere Entwicklung der Krise bis zum Erscheinen des zweiten kaiserlichen Pa¬
tentes vom 12. September 1917 soll auf folgenden Seiten zusammenfassend ge¬
schildert werden.




Vor allem haben wir in den letzten Monaten in das Treiben der russo-
philen und ententefreundlichen Polen besseren Einblick gewonnen.

Noch am 1. Juli durfte das polnische Staatratsmitglied Lompicki be¬
haupten**), daß alle Polen den Aufbau ihres Staates im Bündnis mit den
Zentralmächten wünschen und von einem Zusammengehen mit Rußland nichts
wissen wollen, und die Zeitschrift "Mittel-Europa" druckt diese Erklärung ohne
kritische Bemerkung ab. Seither ist allerlei bekannt geworden, was die Warnung
vor dem Treiben der panslawistischen Polen nur zu sehr berechtigt erscheinen
läßt. Wie seit Jahrhunderten, so sind diese Polen auch gegenwärtig ein starkes
Hemmnis für die ruhige Entwicklung Polens. Aber auch die "Emigranten"
in Westeuropa sind ebenso, wie vor 1863, wieder an der Arbeit. Als ihr
Führer erscheint der ehemalige Dumaabgeordnete Dmowski, der bekannte Gründer




*) "Grenzboten" Ur. 29 vom 18. Juli 1917.
"*) Diese und andere Nachrichten, die im folgenden verwendet sind, entnehme ich der
neuen Zeitschrift "Mittel-Europa" (Berlin).


Die polnische Frage von Juni bis September M7
Universität-Professor Dr. R. F. Raindl von

l n unserem ersten Berichte über die Entwicklung der polnischen
Frage*) wurde am Schlüsse gezeigt, wie unter dem Einflüsse der
russischen Revolution die radikalen Elemente unter den Polen sich
stärker sichtbar machten. Jene Polen, die aus verschiedenen Gründen
nach Nußland neigen, konnten sür das freie Rußland noch nach¬
drücklicher agitieren, als für das zaristische. Aber auch in dem anderen polnischen
Lager machte sich eine extreme Richtung geltend. Es kamen die erhöhten For¬
derungen des polnischen Staatrates (1. Mai) und als ihnen nicht sofort willfahrt
wurde, die vorübergehende Einstellung der Arbeit dieses Staatrates (17. Mai).
Gleichzeitig haben die österreichischen Polen den Kampf für die Sonderstellung
Galiziens aufgegeben und als ihre einzige Forderung das geeinigte Polen mit
dem Zutritt zum Meere (durch preußisches Gebiet) erhoben. Diesem Begehren
mußten sich auch die vorsichtigen Krakauer Konservativen anschließen (26. Mai).
Zugleich trat der Polenklub in Opposition zur österreichischen Regierung. Die
weitere Entwicklung der Krise bis zum Erscheinen des zweiten kaiserlichen Pa¬
tentes vom 12. September 1917 soll auf folgenden Seiten zusammenfassend ge¬
schildert werden.




Vor allem haben wir in den letzten Monaten in das Treiben der russo-
philen und ententefreundlichen Polen besseren Einblick gewonnen.

Noch am 1. Juli durfte das polnische Staatratsmitglied Lompicki be¬
haupten**), daß alle Polen den Aufbau ihres Staates im Bündnis mit den
Zentralmächten wünschen und von einem Zusammengehen mit Rußland nichts
wissen wollen, und die Zeitschrift „Mittel-Europa" druckt diese Erklärung ohne
kritische Bemerkung ab. Seither ist allerlei bekannt geworden, was die Warnung
vor dem Treiben der panslawistischen Polen nur zu sehr berechtigt erscheinen
läßt. Wie seit Jahrhunderten, so sind diese Polen auch gegenwärtig ein starkes
Hemmnis für die ruhige Entwicklung Polens. Aber auch die „Emigranten"
in Westeuropa sind ebenso, wie vor 1863, wieder an der Arbeit. Als ihr
Führer erscheint der ehemalige Dumaabgeordnete Dmowski, der bekannte Gründer




*) „Grenzboten" Ur. 29 vom 18. Juli 1917.
"*) Diese und andere Nachrichten, die im folgenden verwendet sind, entnehme ich der
neuen Zeitschrift „Mittel-Europa" (Berlin).
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[0092] [Abbildung] Die polnische Frage von Juni bis September M7 Universität-Professor Dr. R. F. Raindl von l n unserem ersten Berichte über die Entwicklung der polnischen Frage*) wurde am Schlüsse gezeigt, wie unter dem Einflüsse der russischen Revolution die radikalen Elemente unter den Polen sich stärker sichtbar machten. Jene Polen, die aus verschiedenen Gründen nach Nußland neigen, konnten sür das freie Rußland noch nach¬ drücklicher agitieren, als für das zaristische. Aber auch in dem anderen polnischen Lager machte sich eine extreme Richtung geltend. Es kamen die erhöhten For¬ derungen des polnischen Staatrates (1. Mai) und als ihnen nicht sofort willfahrt wurde, die vorübergehende Einstellung der Arbeit dieses Staatrates (17. Mai). Gleichzeitig haben die österreichischen Polen den Kampf für die Sonderstellung Galiziens aufgegeben und als ihre einzige Forderung das geeinigte Polen mit dem Zutritt zum Meere (durch preußisches Gebiet) erhoben. Diesem Begehren mußten sich auch die vorsichtigen Krakauer Konservativen anschließen (26. Mai). Zugleich trat der Polenklub in Opposition zur österreichischen Regierung. Die weitere Entwicklung der Krise bis zum Erscheinen des zweiten kaiserlichen Pa¬ tentes vom 12. September 1917 soll auf folgenden Seiten zusammenfassend ge¬ schildert werden. Vor allem haben wir in den letzten Monaten in das Treiben der russo- philen und ententefreundlichen Polen besseren Einblick gewonnen. Noch am 1. Juli durfte das polnische Staatratsmitglied Lompicki be¬ haupten**), daß alle Polen den Aufbau ihres Staates im Bündnis mit den Zentralmächten wünschen und von einem Zusammengehen mit Rußland nichts wissen wollen, und die Zeitschrift „Mittel-Europa" druckt diese Erklärung ohne kritische Bemerkung ab. Seither ist allerlei bekannt geworden, was die Warnung vor dem Treiben der panslawistischen Polen nur zu sehr berechtigt erscheinen läßt. Wie seit Jahrhunderten, so sind diese Polen auch gegenwärtig ein starkes Hemmnis für die ruhige Entwicklung Polens. Aber auch die „Emigranten" in Westeuropa sind ebenso, wie vor 1863, wieder an der Arbeit. Als ihr Führer erscheint der ehemalige Dumaabgeordnete Dmowski, der bekannte Gründer *) „Grenzboten" Ur. 29 vom 18. Juli 1917. "*) Diese und andere Nachrichten, die im folgenden verwendet sind, entnehme ich der neuen Zeitschrift „Mittel-Europa" (Berlin).

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/92>, abgerufen am 27.07.2024.