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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Rolonialverluste und Kriegsziele

Aolonialverluste und Ariegsziele
Professor Dr. I. Hashagen von

eit der Mitte des Jahres 1917 haben sich die Grenzen der euro¬
päischen Kriegskarte von neuem in der überraschendsten Weise zu¬
gunsten der Mittelmächte verschoben. Im Nordosten und im Süden
sind ihnen Eroberungen gelungen, hinter denen der geringfügige,
mit maßlosen Opfern erkaufte westmächtliche Geländegewinn im
Schatten versinkt. Dies schreiende Mißverhältnis kann durch keine verbands-
fromme Schönfärberei mehr verdeckt werden.

Aber es gibt auch eine außereuropäische Kriegskarte, und deren Bild sieht
für den Vierbund weit ungünstiger aus. Man könnte sogar meinen, es sei ein
schwarzes und trostloses Bild, und es habe nur noch einige wenige Lichtpunkte
aufzuweisen. Selbst wenn man nämlich von den äußerlich nicht sofort sichtbaren,
weil örtlich nicht immer greifbaren schweren und teilweise unersetzlichen Verlusten
an Handel und Prestige, an weltwirtschaftlichem und weltpolitischen Einflüsse ab¬
sieht, die Deutschland dort draußen erlitten hat, so sind doch auch schon die örtlich
greifbaren, deutschen überseeischen Verluste außerordentlich empfindlich! Die deutschen
Kolonien sind sämtlich den räuberischen und mörderischen Feinden zum Opfer ge¬
fallen. Damit sind natürlich nicht nur kostbare Affektionswerte zerstört, sondern
auch die höchsten materiellen Werte.

Zu diesem bittersten Kerne deutscher Kolonialverluste kommen ferner eine
Reihe weiterer schwerzlicher Einbußen, die zwar zu den Kolonialverlusten im engsten
Sinne nicht mehr gerechnet werden können, aber in ihrem weiteren Bereiche doch
nicht gut zu übersehen sind. Eine beträchtliche Anzahl von souveränen oder Halb¬
souveränen Staaten, auch von fremden Protektoraten, zu denen das Deutsche Reich
im Frieden freundliche Beziehungen unterhielt, sind ihm jetzt infolge der Wühl¬
arbeit des angelsächsischen Weltbundes für längere Zeit oder für immer verschlossen,
oder sie haben sich sogar mit besonderer Feindseligkeit gegen die deutsche Sache
gewandt. Nicht nur Marokko und Liberia gehören hierher, sondern auch China
und eine lange Reihe südamerikanischer Staaten. Fast überall haben die Deutschen
schwere Einbuße erlitten, die durch die .Kolonialverluste im engeren Sinne nur
noch verschärft wird, nicht minder durch die immerhin doch auch örtlich greifbare
Verdrängung der deutschen Handelsflagge von den außereuropäischen Meeren.

Die letzte und nicht die kleinste Reihe solcher außereuropäischer Verluste wird
durch die Eroberungen gebildet, die den Engländern und selbst den Russen auf
dem Boden des Osmanischen Reiches gelungen sind. Die beiden großen zukunfts¬
reichen türkischen Bahnen, an denen Deutschland mit seinem Kapital, seinem tech¬
nischen Können und seinem weltpolitischen Prestige vor allem beteiligt ist, die
Bagdadbahn und die Hedschasbcchn, haben die türkischen Mißerfolge an den Reichs¬
grenzen auf die Dauer nicht aufhalten können, sind vielmehr selbst von ihnen in
peinlicher Weise in Mitleidenschaft gezogen worden- die Bagdadbahn jetzt ohne
Bagdad und die Hedschasbcchn ohne Hedschas. Indirekt wird man auch darin
außereuropäische Verluste Deutschlands erkennen müssen.


Rolonialverluste und Kriegsziele

Aolonialverluste und Ariegsziele
Professor Dr. I. Hashagen von

eit der Mitte des Jahres 1917 haben sich die Grenzen der euro¬
päischen Kriegskarte von neuem in der überraschendsten Weise zu¬
gunsten der Mittelmächte verschoben. Im Nordosten und im Süden
sind ihnen Eroberungen gelungen, hinter denen der geringfügige,
mit maßlosen Opfern erkaufte westmächtliche Geländegewinn im
Schatten versinkt. Dies schreiende Mißverhältnis kann durch keine verbands-
fromme Schönfärberei mehr verdeckt werden.

Aber es gibt auch eine außereuropäische Kriegskarte, und deren Bild sieht
für den Vierbund weit ungünstiger aus. Man könnte sogar meinen, es sei ein
schwarzes und trostloses Bild, und es habe nur noch einige wenige Lichtpunkte
aufzuweisen. Selbst wenn man nämlich von den äußerlich nicht sofort sichtbaren,
weil örtlich nicht immer greifbaren schweren und teilweise unersetzlichen Verlusten
an Handel und Prestige, an weltwirtschaftlichem und weltpolitischen Einflüsse ab¬
sieht, die Deutschland dort draußen erlitten hat, so sind doch auch schon die örtlich
greifbaren, deutschen überseeischen Verluste außerordentlich empfindlich! Die deutschen
Kolonien sind sämtlich den räuberischen und mörderischen Feinden zum Opfer ge¬
fallen. Damit sind natürlich nicht nur kostbare Affektionswerte zerstört, sondern
auch die höchsten materiellen Werte.

Zu diesem bittersten Kerne deutscher Kolonialverluste kommen ferner eine
Reihe weiterer schwerzlicher Einbußen, die zwar zu den Kolonialverlusten im engsten
Sinne nicht mehr gerechnet werden können, aber in ihrem weiteren Bereiche doch
nicht gut zu übersehen sind. Eine beträchtliche Anzahl von souveränen oder Halb¬
souveränen Staaten, auch von fremden Protektoraten, zu denen das Deutsche Reich
im Frieden freundliche Beziehungen unterhielt, sind ihm jetzt infolge der Wühl¬
arbeit des angelsächsischen Weltbundes für längere Zeit oder für immer verschlossen,
oder sie haben sich sogar mit besonderer Feindseligkeit gegen die deutsche Sache
gewandt. Nicht nur Marokko und Liberia gehören hierher, sondern auch China
und eine lange Reihe südamerikanischer Staaten. Fast überall haben die Deutschen
schwere Einbuße erlitten, die durch die .Kolonialverluste im engeren Sinne nur
noch verschärft wird, nicht minder durch die immerhin doch auch örtlich greifbare
Verdrängung der deutschen Handelsflagge von den außereuropäischen Meeren.

Die letzte und nicht die kleinste Reihe solcher außereuropäischer Verluste wird
durch die Eroberungen gebildet, die den Engländern und selbst den Russen auf
dem Boden des Osmanischen Reiches gelungen sind. Die beiden großen zukunfts¬
reichen türkischen Bahnen, an denen Deutschland mit seinem Kapital, seinem tech¬
nischen Können und seinem weltpolitischen Prestige vor allem beteiligt ist, die
Bagdadbahn und die Hedschasbcchn, haben die türkischen Mißerfolge an den Reichs¬
grenzen auf die Dauer nicht aufhalten können, sind vielmehr selbst von ihnen in
peinlicher Weise in Mitleidenschaft gezogen worden- die Bagdadbahn jetzt ohne
Bagdad und die Hedschasbcchn ohne Hedschas. Indirekt wird man auch darin
außereuropäische Verluste Deutschlands erkennen müssen.


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[0336] Rolonialverluste und Kriegsziele Aolonialverluste und Ariegsziele Professor Dr. I. Hashagen von eit der Mitte des Jahres 1917 haben sich die Grenzen der euro¬ päischen Kriegskarte von neuem in der überraschendsten Weise zu¬ gunsten der Mittelmächte verschoben. Im Nordosten und im Süden sind ihnen Eroberungen gelungen, hinter denen der geringfügige, mit maßlosen Opfern erkaufte westmächtliche Geländegewinn im Schatten versinkt. Dies schreiende Mißverhältnis kann durch keine verbands- fromme Schönfärberei mehr verdeckt werden. Aber es gibt auch eine außereuropäische Kriegskarte, und deren Bild sieht für den Vierbund weit ungünstiger aus. Man könnte sogar meinen, es sei ein schwarzes und trostloses Bild, und es habe nur noch einige wenige Lichtpunkte aufzuweisen. Selbst wenn man nämlich von den äußerlich nicht sofort sichtbaren, weil örtlich nicht immer greifbaren schweren und teilweise unersetzlichen Verlusten an Handel und Prestige, an weltwirtschaftlichem und weltpolitischen Einflüsse ab¬ sieht, die Deutschland dort draußen erlitten hat, so sind doch auch schon die örtlich greifbaren, deutschen überseeischen Verluste außerordentlich empfindlich! Die deutschen Kolonien sind sämtlich den räuberischen und mörderischen Feinden zum Opfer ge¬ fallen. Damit sind natürlich nicht nur kostbare Affektionswerte zerstört, sondern auch die höchsten materiellen Werte. Zu diesem bittersten Kerne deutscher Kolonialverluste kommen ferner eine Reihe weiterer schwerzlicher Einbußen, die zwar zu den Kolonialverlusten im engsten Sinne nicht mehr gerechnet werden können, aber in ihrem weiteren Bereiche doch nicht gut zu übersehen sind. Eine beträchtliche Anzahl von souveränen oder Halb¬ souveränen Staaten, auch von fremden Protektoraten, zu denen das Deutsche Reich im Frieden freundliche Beziehungen unterhielt, sind ihm jetzt infolge der Wühl¬ arbeit des angelsächsischen Weltbundes für längere Zeit oder für immer verschlossen, oder sie haben sich sogar mit besonderer Feindseligkeit gegen die deutsche Sache gewandt. Nicht nur Marokko und Liberia gehören hierher, sondern auch China und eine lange Reihe südamerikanischer Staaten. Fast überall haben die Deutschen schwere Einbuße erlitten, die durch die .Kolonialverluste im engeren Sinne nur noch verschärft wird, nicht minder durch die immerhin doch auch örtlich greifbare Verdrängung der deutschen Handelsflagge von den außereuropäischen Meeren. Die letzte und nicht die kleinste Reihe solcher außereuropäischer Verluste wird durch die Eroberungen gebildet, die den Engländern und selbst den Russen auf dem Boden des Osmanischen Reiches gelungen sind. Die beiden großen zukunfts¬ reichen türkischen Bahnen, an denen Deutschland mit seinem Kapital, seinem tech¬ nischen Können und seinem weltpolitischen Prestige vor allem beteiligt ist, die Bagdadbahn und die Hedschasbcchn, haben die türkischen Mißerfolge an den Reichs¬ grenzen auf die Dauer nicht aufhalten können, sind vielmehr selbst von ihnen in peinlicher Weise in Mitleidenschaft gezogen worden- die Bagdadbahn jetzt ohne Bagdad und die Hedschasbcchn ohne Hedschas. Indirekt wird man auch darin außereuropäische Verluste Deutschlands erkennen müssen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/336>, abgerufen am 27.07.2024.