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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

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Polen in politisch-geographischer Beleuchtung

Polen in politisch-geographischer Beleuchtung
Dr. Wütschkc von

eder selbständige Staatsorganismus ist die Verkörperung einer aus
dem Zusammenwachsen und der inneren Festigung von Volk und
Lebensboten erstandenen und von ihn: getragenen "politischen Idee",
die in den einzelnen Staatswesen je nach der Verschiedenheit der
ethnischen und wirtschaftlichen Grundlagen verschieden sein muß.
Bald geben die einen, bald die anderen den Ausschlag. Sie bestimmt das politische
Verhältnis des Staates zu seinen Nachbarn und weist der politischen Entwicklung
Weg und Richtung unzweideutig zu.

Die politische Idee des neuen Königreiches Polen beruht auf der Einheit¬
lichkeit der Nationalität. Die hundertjährige Sehnsucht nach der Wiedererstehung
des alten mächtigen Piaster- und Jagellonenreiches hat seit der Zeit der Aufteilung
diesen Grundton der polnischen politischen Idee immer lauter und reiner erklingen
lassen. Aber die Verkörperung dieser politischen Idee, wie sie in dem neu errichteten
Polen von den Mittelmächten geschaffen ist, hat ihre volle Auswirkung der Idee
nicht ergeben. Diese war vielmehr von vornherein beschränkt und beengt durch
die vor der Errichtung des Königreiches bestehenden politischen Verhältnisse der
Mittelmächte und durch die im Kriege neu geschaffenen. Dabei ist beiden. Deutsch¬
land und Osterreich, eine grundsätzlich verschiedene Stellungnahme eigen, die sich
aus deren leitender "politischen Idee" ergibt. Deutschland ist ein ausgesprochener
Nationalstaat, der bestrebt ist, die im Verhältnis zu seiner deutschen Bevölkerung
geringfügigen fremden Bestandteile in sich organisch aufzunehmen; ob der Weg,
den zu diesem Ziele die deutsche Polenpolitik eingeschlagen hat, der richtige ist,
das zu untersuchen, ist hier nicht der Platz. Osterreich ist ein in seinen Natio¬
nalitäten auseinanderstrebender Staat, dessen politische Idee in einer möglichst
engen Ausgleichung der Nationalitätsgegensätze zur Auswirkung kommt. Der
Verlust und das Ausscheiden einer der Nationalitäten kann ihm unter Umständen
nur zugute kommen; daher der verhältnismäßig leichte Entschluß, Galizien mit
seiner polnischen Bevölkerung aus dem österreichischen Staatsverbande zu entlassen,
worauf Professor Bornhak in seinem Aufsatz in den "Grenzboten" (1917, Ur. 48)
hinweist.

Im Hinblick auf diese Verhältnisse erwies sich von vornherein die deutsche
Grenze, Polens Westgrenze, als eine starre, feste, unverrückbare Linie von Schlesien
bis nach Ostpreußen, deren Antastung überhaupt niemals in Frage kommen
konnte. Sie war von vornherein eine feste, undurchstoßbare Mauer gegen eine
volle Auswirkung der politischen Idee, die in der Einbeziehung aller Polen ihre
höchste Entwicklung und Bejahung sehen muß. Ihre volle Auswirkung war, da
man von Anbeginn mit einer Nachgiebigkeit der gegen Osterreich liegenden Grenze
rechnen konnte, nur nach Süden und nach Osten gegeben. Vor allem nach Ru߬
land hinein konnten die kriegerischen Erfolge der Mittelmächte sie voll in Er-
scheinung treten lassen.

Die in dem polnischen Staat verkörperte politische Idee hat sich also von
vornherein eine Einschränkung gefallen lassen müssen. Sie ist gebunden, ihre


Polen in politisch-geographischer Beleuchtung

Polen in politisch-geographischer Beleuchtung
Dr. Wütschkc von

eder selbständige Staatsorganismus ist die Verkörperung einer aus
dem Zusammenwachsen und der inneren Festigung von Volk und
Lebensboten erstandenen und von ihn: getragenen „politischen Idee",
die in den einzelnen Staatswesen je nach der Verschiedenheit der
ethnischen und wirtschaftlichen Grundlagen verschieden sein muß.
Bald geben die einen, bald die anderen den Ausschlag. Sie bestimmt das politische
Verhältnis des Staates zu seinen Nachbarn und weist der politischen Entwicklung
Weg und Richtung unzweideutig zu.

Die politische Idee des neuen Königreiches Polen beruht auf der Einheit¬
lichkeit der Nationalität. Die hundertjährige Sehnsucht nach der Wiedererstehung
des alten mächtigen Piaster- und Jagellonenreiches hat seit der Zeit der Aufteilung
diesen Grundton der polnischen politischen Idee immer lauter und reiner erklingen
lassen. Aber die Verkörperung dieser politischen Idee, wie sie in dem neu errichteten
Polen von den Mittelmächten geschaffen ist, hat ihre volle Auswirkung der Idee
nicht ergeben. Diese war vielmehr von vornherein beschränkt und beengt durch
die vor der Errichtung des Königreiches bestehenden politischen Verhältnisse der
Mittelmächte und durch die im Kriege neu geschaffenen. Dabei ist beiden. Deutsch¬
land und Osterreich, eine grundsätzlich verschiedene Stellungnahme eigen, die sich
aus deren leitender „politischen Idee" ergibt. Deutschland ist ein ausgesprochener
Nationalstaat, der bestrebt ist, die im Verhältnis zu seiner deutschen Bevölkerung
geringfügigen fremden Bestandteile in sich organisch aufzunehmen; ob der Weg,
den zu diesem Ziele die deutsche Polenpolitik eingeschlagen hat, der richtige ist,
das zu untersuchen, ist hier nicht der Platz. Osterreich ist ein in seinen Natio¬
nalitäten auseinanderstrebender Staat, dessen politische Idee in einer möglichst
engen Ausgleichung der Nationalitätsgegensätze zur Auswirkung kommt. Der
Verlust und das Ausscheiden einer der Nationalitäten kann ihm unter Umständen
nur zugute kommen; daher der verhältnismäßig leichte Entschluß, Galizien mit
seiner polnischen Bevölkerung aus dem österreichischen Staatsverbande zu entlassen,
worauf Professor Bornhak in seinem Aufsatz in den „Grenzboten" (1917, Ur. 48)
hinweist.

Im Hinblick auf diese Verhältnisse erwies sich von vornherein die deutsche
Grenze, Polens Westgrenze, als eine starre, feste, unverrückbare Linie von Schlesien
bis nach Ostpreußen, deren Antastung überhaupt niemals in Frage kommen
konnte. Sie war von vornherein eine feste, undurchstoßbare Mauer gegen eine
volle Auswirkung der politischen Idee, die in der Einbeziehung aller Polen ihre
höchste Entwicklung und Bejahung sehen muß. Ihre volle Auswirkung war, da
man von Anbeginn mit einer Nachgiebigkeit der gegen Osterreich liegenden Grenze
rechnen konnte, nur nach Süden und nach Osten gegeben. Vor allem nach Ru߬
land hinein konnten die kriegerischen Erfolge der Mittelmächte sie voll in Er-
scheinung treten lassen.

Die in dem polnischen Staat verkörperte politische Idee hat sich also von
vornherein eine Einschränkung gefallen lassen müssen. Sie ist gebunden, ihre


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[0329] Polen in politisch-geographischer Beleuchtung Polen in politisch-geographischer Beleuchtung Dr. Wütschkc von eder selbständige Staatsorganismus ist die Verkörperung einer aus dem Zusammenwachsen und der inneren Festigung von Volk und Lebensboten erstandenen und von ihn: getragenen „politischen Idee", die in den einzelnen Staatswesen je nach der Verschiedenheit der ethnischen und wirtschaftlichen Grundlagen verschieden sein muß. Bald geben die einen, bald die anderen den Ausschlag. Sie bestimmt das politische Verhältnis des Staates zu seinen Nachbarn und weist der politischen Entwicklung Weg und Richtung unzweideutig zu. Die politische Idee des neuen Königreiches Polen beruht auf der Einheit¬ lichkeit der Nationalität. Die hundertjährige Sehnsucht nach der Wiedererstehung des alten mächtigen Piaster- und Jagellonenreiches hat seit der Zeit der Aufteilung diesen Grundton der polnischen politischen Idee immer lauter und reiner erklingen lassen. Aber die Verkörperung dieser politischen Idee, wie sie in dem neu errichteten Polen von den Mittelmächten geschaffen ist, hat ihre volle Auswirkung der Idee nicht ergeben. Diese war vielmehr von vornherein beschränkt und beengt durch die vor der Errichtung des Königreiches bestehenden politischen Verhältnisse der Mittelmächte und durch die im Kriege neu geschaffenen. Dabei ist beiden. Deutsch¬ land und Osterreich, eine grundsätzlich verschiedene Stellungnahme eigen, die sich aus deren leitender „politischen Idee" ergibt. Deutschland ist ein ausgesprochener Nationalstaat, der bestrebt ist, die im Verhältnis zu seiner deutschen Bevölkerung geringfügigen fremden Bestandteile in sich organisch aufzunehmen; ob der Weg, den zu diesem Ziele die deutsche Polenpolitik eingeschlagen hat, der richtige ist, das zu untersuchen, ist hier nicht der Platz. Osterreich ist ein in seinen Natio¬ nalitäten auseinanderstrebender Staat, dessen politische Idee in einer möglichst engen Ausgleichung der Nationalitätsgegensätze zur Auswirkung kommt. Der Verlust und das Ausscheiden einer der Nationalitäten kann ihm unter Umständen nur zugute kommen; daher der verhältnismäßig leichte Entschluß, Galizien mit seiner polnischen Bevölkerung aus dem österreichischen Staatsverbande zu entlassen, worauf Professor Bornhak in seinem Aufsatz in den „Grenzboten" (1917, Ur. 48) hinweist. Im Hinblick auf diese Verhältnisse erwies sich von vornherein die deutsche Grenze, Polens Westgrenze, als eine starre, feste, unverrückbare Linie von Schlesien bis nach Ostpreußen, deren Antastung überhaupt niemals in Frage kommen konnte. Sie war von vornherein eine feste, undurchstoßbare Mauer gegen eine volle Auswirkung der politischen Idee, die in der Einbeziehung aller Polen ihre höchste Entwicklung und Bejahung sehen muß. Ihre volle Auswirkung war, da man von Anbeginn mit einer Nachgiebigkeit der gegen Osterreich liegenden Grenze rechnen konnte, nur nach Süden und nach Osten gegeben. Vor allem nach Ru߬ land hinein konnten die kriegerischen Erfolge der Mittelmächte sie voll in Er- scheinung treten lassen. Die in dem polnischen Staat verkörperte politische Idee hat sich also von vornherein eine Einschränkung gefallen lassen müssen. Sie ist gebunden, ihre

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Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/329>, abgerufen am 27.07.2024.