Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Wortes wrwns, sciujvat!

als lebten wir in einer großen Lüge, -- in einer Spannung, die durch die Lüge,
die unser politisches Leben beherrscht, immer neu gespeist wird. Welches sind die
Pole der Spannung?

Man fordert uns von der Rechten auf: mißtraue Hertling. vertraue Tirpitz I
und von der Linken schallt es: Hertling ist Träger des Fortschritts, Tirpitz bereitet
die Reaktion vor! Dabei wirkt die Einbringung der Wahlrechtsvorlage im
preußischen Landtage und der Verlauf der ersten Lesung so auf die öffentliche
Meinung, als habe man in ein Munitionslager die brennende Lunte geworfen.
Was beabsichtigt die Negierung zu tun? will sie den Zunder in der Kommission
durch Monate ins Ungewisse hinein Schwalm lassen oder will sie den neuen Burg¬
frieden in die Luft gehen lassen? Es wurde an dieser Stelle davor gewarnt, zu
jetziger Zeit eine so heiß umstrittene Frage, wie die der preußischen Wahlrechts¬
reform zur Erörterung zu stellen. Die verantwortlichen Ratgeber des Königs
hielten den entgegengesetzten Weg für den gangbareren. Jetzt aber gilt es auch,
den Brand so schnell wie möglich aus dem Hause zu schaffen. Wir erwarten
dringend eine Kundgebung der Regierung, die es den Parteien und der freien
Publizistik ermöglichte, scharf Stellung zu nehmen. Gegenwärtig ist die Lage
noch völlig ungeklärt, von einer Sammlung der Geister kann keine Rede sein,
wenn man nicht den Ruf des Großadmirals von Tirpitz als Sammlungsruf be¬
werten will. Je energischer und freimütiger die Regierung in dieser Phase des
Kampfes für die eingeleitete Politik der Reformen eintritt, um so größer und tat¬
kräftiger wird die Gefolgschaft sein, die sich hinter sie stellen kann, und um so
größer werden die Aussichten sein, den neu begründeten Burgfrieden zu erhalten
und seine lebendige nationale Kraft erfolgreich für den Kampf um den Frieden
einzusetzen. Welche Mittel die Regierung hat, dem sich anbahnenden ungesunden
Zustande ein Ende zu bereiten, dürfte ihr bewußt sein, seit sie sich entschloß, ihre
Reformvorschläge auf die Tagesordnung zu setzen. Jetzt gilt es vor allen Dingen,
den Mut zur frischen Tat zu erweisen. Neben dem. was von der Nation noch
draußen im Felde verlangt werden wird, zur eigenen Sicherheit ist die ganze
Reformfrage in Preußen eine Nebensächlichkeit. Tatfroher Zugriff in der inneren
Politik würde aber doch Beruhigung wegen der Führung der Friedensbesprechungen
herbeiführen. Diese Wechselwirkung sollte nicht unterschätzt werden! Nur in ihr
liegt die momentane Bedeutung der Wahlrechtskämpfe.

Von der Haltung der Regierung bei Führung des Kampfes um diese
Reform in Preußen wird auch unsere Stellung zu ihr abhängen. So große
persönliche Wertschätzung wir jedem einzelnen Mitgliede des Triumvirats im Hin¬
blick auf seine bisherige Tätigkeit entgegenzubringen Veranlassung haben, so stehen
die Leistungsmöglichkeiten des Triumvirats als Ganzem noch nicht fest. In:
Kampf um die preußische Wahlrechtsreform muß es sich bewähren. Wortes wrtuna
"äjuvat!




Wortes wrwns, sciujvat!

als lebten wir in einer großen Lüge, — in einer Spannung, die durch die Lüge,
die unser politisches Leben beherrscht, immer neu gespeist wird. Welches sind die
Pole der Spannung?

Man fordert uns von der Rechten auf: mißtraue Hertling. vertraue Tirpitz I
und von der Linken schallt es: Hertling ist Träger des Fortschritts, Tirpitz bereitet
die Reaktion vor! Dabei wirkt die Einbringung der Wahlrechtsvorlage im
preußischen Landtage und der Verlauf der ersten Lesung so auf die öffentliche
Meinung, als habe man in ein Munitionslager die brennende Lunte geworfen.
Was beabsichtigt die Negierung zu tun? will sie den Zunder in der Kommission
durch Monate ins Ungewisse hinein Schwalm lassen oder will sie den neuen Burg¬
frieden in die Luft gehen lassen? Es wurde an dieser Stelle davor gewarnt, zu
jetziger Zeit eine so heiß umstrittene Frage, wie die der preußischen Wahlrechts¬
reform zur Erörterung zu stellen. Die verantwortlichen Ratgeber des Königs
hielten den entgegengesetzten Weg für den gangbareren. Jetzt aber gilt es auch,
den Brand so schnell wie möglich aus dem Hause zu schaffen. Wir erwarten
dringend eine Kundgebung der Regierung, die es den Parteien und der freien
Publizistik ermöglichte, scharf Stellung zu nehmen. Gegenwärtig ist die Lage
noch völlig ungeklärt, von einer Sammlung der Geister kann keine Rede sein,
wenn man nicht den Ruf des Großadmirals von Tirpitz als Sammlungsruf be¬
werten will. Je energischer und freimütiger die Regierung in dieser Phase des
Kampfes für die eingeleitete Politik der Reformen eintritt, um so größer und tat¬
kräftiger wird die Gefolgschaft sein, die sich hinter sie stellen kann, und um so
größer werden die Aussichten sein, den neu begründeten Burgfrieden zu erhalten
und seine lebendige nationale Kraft erfolgreich für den Kampf um den Frieden
einzusetzen. Welche Mittel die Regierung hat, dem sich anbahnenden ungesunden
Zustande ein Ende zu bereiten, dürfte ihr bewußt sein, seit sie sich entschloß, ihre
Reformvorschläge auf die Tagesordnung zu setzen. Jetzt gilt es vor allen Dingen,
den Mut zur frischen Tat zu erweisen. Neben dem. was von der Nation noch
draußen im Felde verlangt werden wird, zur eigenen Sicherheit ist die ganze
Reformfrage in Preußen eine Nebensächlichkeit. Tatfroher Zugriff in der inneren
Politik würde aber doch Beruhigung wegen der Führung der Friedensbesprechungen
herbeiführen. Diese Wechselwirkung sollte nicht unterschätzt werden! Nur in ihr
liegt die momentane Bedeutung der Wahlrechtskämpfe.

Von der Haltung der Regierung bei Führung des Kampfes um diese
Reform in Preußen wird auch unsere Stellung zu ihr abhängen. So große
persönliche Wertschätzung wir jedem einzelnen Mitgliede des Triumvirats im Hin¬
blick auf seine bisherige Tätigkeit entgegenzubringen Veranlassung haben, so stehen
die Leistungsmöglichkeiten des Triumvirats als Ganzem noch nicht fest. In:
Kampf um die preußische Wahlrechtsreform muß es sich bewähren. Wortes wrtuna
Ȋjuvat!




<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0328" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/333043"/>
          <fw type="header" place="top"> Wortes wrwns, sciujvat!</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1051" prev="#ID_1050"> als lebten wir in einer großen Lüge, &#x2014; in einer Spannung, die durch die Lüge,<lb/>
die unser politisches Leben beherrscht, immer neu gespeist wird. Welches sind die<lb/>
Pole der Spannung?</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1052"> Man fordert uns von der Rechten auf: mißtraue Hertling. vertraue Tirpitz I<lb/>
und von der Linken schallt es: Hertling ist Träger des Fortschritts, Tirpitz bereitet<lb/>
die Reaktion vor! Dabei wirkt die Einbringung der Wahlrechtsvorlage im<lb/>
preußischen Landtage und der Verlauf der ersten Lesung so auf die öffentliche<lb/>
Meinung, als habe man in ein Munitionslager die brennende Lunte geworfen.<lb/>
Was beabsichtigt die Negierung zu tun? will sie den Zunder in der Kommission<lb/>
durch Monate ins Ungewisse hinein Schwalm lassen oder will sie den neuen Burg¬<lb/>
frieden in die Luft gehen lassen? Es wurde an dieser Stelle davor gewarnt, zu<lb/>
jetziger Zeit eine so heiß umstrittene Frage, wie die der preußischen Wahlrechts¬<lb/>
reform zur Erörterung zu stellen. Die verantwortlichen Ratgeber des Königs<lb/>
hielten den entgegengesetzten Weg für den gangbareren. Jetzt aber gilt es auch,<lb/>
den Brand so schnell wie möglich aus dem Hause zu schaffen. Wir erwarten<lb/>
dringend eine Kundgebung der Regierung, die es den Parteien und der freien<lb/>
Publizistik ermöglichte, scharf Stellung zu nehmen. Gegenwärtig ist die Lage<lb/>
noch völlig ungeklärt, von einer Sammlung der Geister kann keine Rede sein,<lb/>
wenn man nicht den Ruf des Großadmirals von Tirpitz als Sammlungsruf be¬<lb/>
werten will. Je energischer und freimütiger die Regierung in dieser Phase des<lb/>
Kampfes für die eingeleitete Politik der Reformen eintritt, um so größer und tat¬<lb/>
kräftiger wird die Gefolgschaft sein, die sich hinter sie stellen kann, und um so<lb/>
größer werden die Aussichten sein, den neu begründeten Burgfrieden zu erhalten<lb/>
und seine lebendige nationale Kraft erfolgreich für den Kampf um den Frieden<lb/>
einzusetzen. Welche Mittel die Regierung hat, dem sich anbahnenden ungesunden<lb/>
Zustande ein Ende zu bereiten, dürfte ihr bewußt sein, seit sie sich entschloß, ihre<lb/>
Reformvorschläge auf die Tagesordnung zu setzen. Jetzt gilt es vor allen Dingen,<lb/>
den Mut zur frischen Tat zu erweisen. Neben dem. was von der Nation noch<lb/>
draußen im Felde verlangt werden wird, zur eigenen Sicherheit ist die ganze<lb/>
Reformfrage in Preußen eine Nebensächlichkeit. Tatfroher Zugriff in der inneren<lb/>
Politik würde aber doch Beruhigung wegen der Führung der Friedensbesprechungen<lb/>
herbeiführen. Diese Wechselwirkung sollte nicht unterschätzt werden! Nur in ihr<lb/>
liegt die momentane Bedeutung der Wahlrechtskämpfe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1053"> Von der Haltung der Regierung bei Führung des Kampfes um diese<lb/>
Reform in Preußen wird auch unsere Stellung zu ihr abhängen. So große<lb/>
persönliche Wertschätzung wir jedem einzelnen Mitgliede des Triumvirats im Hin¬<lb/>
blick auf seine bisherige Tätigkeit entgegenzubringen Veranlassung haben, so stehen<lb/>
die Leistungsmöglichkeiten des Triumvirats als Ganzem noch nicht fest. In:<lb/>
Kampf um die preußische Wahlrechtsreform muß es sich bewähren. Wortes wrtuna<lb/>
Ȋjuvat!</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0328] Wortes wrwns, sciujvat! als lebten wir in einer großen Lüge, — in einer Spannung, die durch die Lüge, die unser politisches Leben beherrscht, immer neu gespeist wird. Welches sind die Pole der Spannung? Man fordert uns von der Rechten auf: mißtraue Hertling. vertraue Tirpitz I und von der Linken schallt es: Hertling ist Träger des Fortschritts, Tirpitz bereitet die Reaktion vor! Dabei wirkt die Einbringung der Wahlrechtsvorlage im preußischen Landtage und der Verlauf der ersten Lesung so auf die öffentliche Meinung, als habe man in ein Munitionslager die brennende Lunte geworfen. Was beabsichtigt die Negierung zu tun? will sie den Zunder in der Kommission durch Monate ins Ungewisse hinein Schwalm lassen oder will sie den neuen Burg¬ frieden in die Luft gehen lassen? Es wurde an dieser Stelle davor gewarnt, zu jetziger Zeit eine so heiß umstrittene Frage, wie die der preußischen Wahlrechts¬ reform zur Erörterung zu stellen. Die verantwortlichen Ratgeber des Königs hielten den entgegengesetzten Weg für den gangbareren. Jetzt aber gilt es auch, den Brand so schnell wie möglich aus dem Hause zu schaffen. Wir erwarten dringend eine Kundgebung der Regierung, die es den Parteien und der freien Publizistik ermöglichte, scharf Stellung zu nehmen. Gegenwärtig ist die Lage noch völlig ungeklärt, von einer Sammlung der Geister kann keine Rede sein, wenn man nicht den Ruf des Großadmirals von Tirpitz als Sammlungsruf be¬ werten will. Je energischer und freimütiger die Regierung in dieser Phase des Kampfes für die eingeleitete Politik der Reformen eintritt, um so größer und tat¬ kräftiger wird die Gefolgschaft sein, die sich hinter sie stellen kann, und um so größer werden die Aussichten sein, den neu begründeten Burgfrieden zu erhalten und seine lebendige nationale Kraft erfolgreich für den Kampf um den Frieden einzusetzen. Welche Mittel die Regierung hat, dem sich anbahnenden ungesunden Zustande ein Ende zu bereiten, dürfte ihr bewußt sein, seit sie sich entschloß, ihre Reformvorschläge auf die Tagesordnung zu setzen. Jetzt gilt es vor allen Dingen, den Mut zur frischen Tat zu erweisen. Neben dem. was von der Nation noch draußen im Felde verlangt werden wird, zur eigenen Sicherheit ist die ganze Reformfrage in Preußen eine Nebensächlichkeit. Tatfroher Zugriff in der inneren Politik würde aber doch Beruhigung wegen der Führung der Friedensbesprechungen herbeiführen. Diese Wechselwirkung sollte nicht unterschätzt werden! Nur in ihr liegt die momentane Bedeutung der Wahlrechtskämpfe. Von der Haltung der Regierung bei Führung des Kampfes um diese Reform in Preußen wird auch unsere Stellung zu ihr abhängen. So große persönliche Wertschätzung wir jedem einzelnen Mitgliede des Triumvirats im Hin¬ blick auf seine bisherige Tätigkeit entgegenzubringen Veranlassung haben, so stehen die Leistungsmöglichkeiten des Triumvirats als Ganzem noch nicht fest. In: Kampf um die preußische Wahlrechtsreform muß es sich bewähren. Wortes wrtuna »äjuvat!

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/328
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332712/328>, abgerufen am 06.10.2024.