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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Die tschechischen Erfolge
seit Eröffnung des österreichischen Parlaments
von Karl Hermann

le schwer es Fernerstehenden ist, das Gewirr der innerpolitischeu
Kämpfe in Österreich sicher und bis in die letzten Motive hinein
zu beurteilen, zeigen gerade die jüngsten Wendungen in dem
innerpolitischen Schicksal der Monarchie. Sie wurden, -- und
damit bewahrheitet sich die alte, mit Herostratenstolz aus¬
gesprochene Behauptung der Tschechen, die österreichische Frage sei die tschechische
Frage --, in der Hauptsache von den Tschechen bestimmt. Ihre hohe Zeit
begann mit dem Ausbruch der russischen Revolution, deren Einfluß auf die
westslawische Welt man sich bei uns vielleicht nicht stark genug vorstellt. Das
letzte Hemmnis für die Hingabe der demokratischen Tschechen an das Russentunu
der Zarismus, schien beseitigt, und die Fluten panslawistischen Gefühlsüber¬
schwanges stiegen um so höher, als gleichzeitig Deutschland, durch eigene inner"
politische Schwierigkeiten gehemmt, in der österreichischen öffentlichen Meinung
sehr viel an Autorität einbüßte. Um den Weg nach Stockholm offen zu haben,
aber auch unter dem Druck von sehr ernsthaften tschechischen Drohungen, be¬
wirkte Czernin die Beseitigung der "Voraussetzungen" für den Reichsrat und
dessen voraussetzungslose Einberufung. Die Eröffnung des Parlaments "in
1. Mai brachte einen so unverhüllten Radikalismus der österreichischen Slawen
daß selbst Kundige zunächst überrascht., waren. Die Feindschaft gegen das
österreichische Deutschtum schuf We. geschlossene, flämische Front, die als erste
Kraftprobe die Protokollierung der nichtdeutschen Reden erzwang, und zugleich
zeigte sich wieder, daß die innerösterreichische Politik und die außenpolitischen
Wünsche der Slawen gleichsam in kommunizierenden Röhren laufen: jede inner¬
politische Stärkung der Slawen hat Äußerungen heftigster Feindschaft gegen
das Bündnis mit Deutschland zur Folge. Die Reden der Herren Praschek
und Stransky im Reichsrat, des Bischofs Theodorewitsch im Herrenhaus haben
den Regierungen des Vielverbandes in der öffentlichen Meinung ihrer Völker
eine Keine siegreiche Offensive ersetzt. Die staatsrechtliche Verwahrung de^
Tschechen bei Eröffnung des Reichsrates nicht minder.

Bei dieser mußte namentlich in Erstaunen setzen, daß die Tschechen un¬
bedenklich die immerhin gefährliche Feindschaft der Madjaren wagten und den




Die tschechischen Erfolge
seit Eröffnung des österreichischen Parlaments
von Karl Hermann

le schwer es Fernerstehenden ist, das Gewirr der innerpolitischeu
Kämpfe in Österreich sicher und bis in die letzten Motive hinein
zu beurteilen, zeigen gerade die jüngsten Wendungen in dem
innerpolitischen Schicksal der Monarchie. Sie wurden, — und
damit bewahrheitet sich die alte, mit Herostratenstolz aus¬
gesprochene Behauptung der Tschechen, die österreichische Frage sei die tschechische
Frage —, in der Hauptsache von den Tschechen bestimmt. Ihre hohe Zeit
begann mit dem Ausbruch der russischen Revolution, deren Einfluß auf die
westslawische Welt man sich bei uns vielleicht nicht stark genug vorstellt. Das
letzte Hemmnis für die Hingabe der demokratischen Tschechen an das Russentunu
der Zarismus, schien beseitigt, und die Fluten panslawistischen Gefühlsüber¬
schwanges stiegen um so höher, als gleichzeitig Deutschland, durch eigene inner«
politische Schwierigkeiten gehemmt, in der österreichischen öffentlichen Meinung
sehr viel an Autorität einbüßte. Um den Weg nach Stockholm offen zu haben,
aber auch unter dem Druck von sehr ernsthaften tschechischen Drohungen, be¬
wirkte Czernin die Beseitigung der „Voraussetzungen" für den Reichsrat und
dessen voraussetzungslose Einberufung. Die Eröffnung des Parlaments «in
1. Mai brachte einen so unverhüllten Radikalismus der österreichischen Slawen
daß selbst Kundige zunächst überrascht., waren. Die Feindschaft gegen das
österreichische Deutschtum schuf We. geschlossene, flämische Front, die als erste
Kraftprobe die Protokollierung der nichtdeutschen Reden erzwang, und zugleich
zeigte sich wieder, daß die innerösterreichische Politik und die außenpolitischen
Wünsche der Slawen gleichsam in kommunizierenden Röhren laufen: jede inner¬
politische Stärkung der Slawen hat Äußerungen heftigster Feindschaft gegen
das Bündnis mit Deutschland zur Folge. Die Reden der Herren Praschek
und Stransky im Reichsrat, des Bischofs Theodorewitsch im Herrenhaus haben
den Regierungen des Vielverbandes in der öffentlichen Meinung ihrer Völker
eine Keine siegreiche Offensive ersetzt. Die staatsrechtliche Verwahrung de^
Tschechen bei Eröffnung des Reichsrates nicht minder.

Bei dieser mußte namentlich in Erstaunen setzen, daß die Tschechen un¬
bedenklich die immerhin gefährliche Feindschaft der Madjaren wagten und den


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[0354] [Abbildung] Die tschechischen Erfolge seit Eröffnung des österreichischen Parlaments von Karl Hermann le schwer es Fernerstehenden ist, das Gewirr der innerpolitischeu Kämpfe in Österreich sicher und bis in die letzten Motive hinein zu beurteilen, zeigen gerade die jüngsten Wendungen in dem innerpolitischen Schicksal der Monarchie. Sie wurden, — und damit bewahrheitet sich die alte, mit Herostratenstolz aus¬ gesprochene Behauptung der Tschechen, die österreichische Frage sei die tschechische Frage —, in der Hauptsache von den Tschechen bestimmt. Ihre hohe Zeit begann mit dem Ausbruch der russischen Revolution, deren Einfluß auf die westslawische Welt man sich bei uns vielleicht nicht stark genug vorstellt. Das letzte Hemmnis für die Hingabe der demokratischen Tschechen an das Russentunu der Zarismus, schien beseitigt, und die Fluten panslawistischen Gefühlsüber¬ schwanges stiegen um so höher, als gleichzeitig Deutschland, durch eigene inner« politische Schwierigkeiten gehemmt, in der österreichischen öffentlichen Meinung sehr viel an Autorität einbüßte. Um den Weg nach Stockholm offen zu haben, aber auch unter dem Druck von sehr ernsthaften tschechischen Drohungen, be¬ wirkte Czernin die Beseitigung der „Voraussetzungen" für den Reichsrat und dessen voraussetzungslose Einberufung. Die Eröffnung des Parlaments «in 1. Mai brachte einen so unverhüllten Radikalismus der österreichischen Slawen daß selbst Kundige zunächst überrascht., waren. Die Feindschaft gegen das österreichische Deutschtum schuf We. geschlossene, flämische Front, die als erste Kraftprobe die Protokollierung der nichtdeutschen Reden erzwang, und zugleich zeigte sich wieder, daß die innerösterreichische Politik und die außenpolitischen Wünsche der Slawen gleichsam in kommunizierenden Röhren laufen: jede inner¬ politische Stärkung der Slawen hat Äußerungen heftigster Feindschaft gegen das Bündnis mit Deutschland zur Folge. Die Reden der Herren Praschek und Stransky im Reichsrat, des Bischofs Theodorewitsch im Herrenhaus haben den Regierungen des Vielverbandes in der öffentlichen Meinung ihrer Völker eine Keine siegreiche Offensive ersetzt. Die staatsrechtliche Verwahrung de^ Tschechen bei Eröffnung des Reichsrates nicht minder. Bei dieser mußte namentlich in Erstaunen setzen, daß die Tschechen un¬ bedenklich die immerhin gefährliche Feindschaft der Madjaren wagten und den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/354>, abgerufen am 27.06.2024.