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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Die tschechischen Erfolge des österreichischen Parlaments

Anschluß der madjarischen Slowaken an den künftigen "böhmischen Staat"
forderten. Es hätte nicht der besonders offenen Äußerungen des Brunner
Abgeordneten Stransky bedurft, wonach die Tschechenfrage keine österreichische,
sondern eine internationale Frage sei und der Friedenskonferenz vorbehalten
bleiben müsse: es war aus jenen staatsrechtlichen Erklärungen an sich, aus
dem Verzicht auf alle Kompromisse mit den tatsächlichen Verhältnissen ohne
weiteres erkennbar, was die Tschechen wollten. Sie setzten alles auf eine
Karte. Das Wohlwollen des Vielverbandes und die Übereinstimmung mit
Wilsons Forderungen, der die Freiheit der kleinen Nationen in Österreich,
nicht ohne Belehrung durch Masaryk und die tschechische Agitation im feind¬
lichen Auslande, verkündet hatte, waren ihnen über alles wertvoll; wertvoller
als alle Verhandlungsmöglichkeiten mit den deutschen und den madjarischen
Mitgliedern der Monarchie. Es ist für die Maßlosigkeit der tschechischen Politik
und für die eigentümliche seelische Verfassung der tschechischen Halbintelligenz,
die diese Politik macht, überaus kennzeichnend, daß sie sofort den Boden der
Wirklichkeit verliert, wenn die allgemeine Lage einige Hoffnungen erweckt und
für die Deutschen ungünstig scheint.

Befremden mußte dabei, daß dieses größenwahnsinnige Vabanque-Spiel,
das nur noch mit der Niederlage der Mittelmächte rechnete, nicht nur von den
radikalsten Gruppen, den Nationalsozialen und Jungtschechen, sondern auch von
den auf loyale Beziehungen haltenden tschechischen Klerikalen, den Sozial¬
demokraten und namentlich von den bisher immer sehr opportunistischen Agrariern
mitgemacht wurde. Jetzt zeigt sich des Rätsels Lösung. Die Agrarier, aus
deren Reihen auch der Vorsitzende des tschechischen Verbandes im Reichsrat,
Staniek, genommen ist, gaben als stärkste Partei den Ausschlag und terrorisierten
sowohl die Klerikalen wie die Sozialdemokraten. Ihr auffallender Radikalismus
aber beruht auf Gründen, die erst die neueste Zeit völlig enthüllt hat.

Schon seit Beginn des Krieges wiederholen sich die Klagen über die
mangelhaften Leistungen der Kornkammer Österreichs, des inneren Böhmens.
Während die weniger ertragreichen deutschen Randgebiete sich in Lebensmittel¬
lieferungen erschöpften, schwammen die inneren, rein agrarischen Bezirke, wie
sich jeder flüchtige Reisende überzeugen konnte, buchstäblich in Fett, und setzten,
zum Teil unter Duldung rationalistischer Beamter, selbst den militärischen
Kommisstonen erfolgreichen passiven Widerstand entgegen. So ergab sich die
ungeheuerliche Tatsache, daß das fruchtbare Böhmen in den letzten zwei Jahren
überhaupt kein Hartgetreide für die Armee weder im Felde noch im Hinter,
lande geliefert hat. Die anklägerischen Zahlen waren natürlich bei den Andern
sehr wohl bekannt und die Statthalterei in Prag, sowie der Ernährungsminister
Höfer. griffen schließlich zu sehr energischen Mitteln, die auch erstaunliche Er¬
folge zelligem. Diese Requisitionen erregten um so mehr den Unmut der
tschechischen Agrarier, als mit Lebensmittellieferungen aus Böhmen für die
Wiener Zentrale nach ihrer Meinung die Selbständigkeitsrechte des böhmischen


Die tschechischen Erfolge des österreichischen Parlaments

Anschluß der madjarischen Slowaken an den künftigen „böhmischen Staat"
forderten. Es hätte nicht der besonders offenen Äußerungen des Brunner
Abgeordneten Stransky bedurft, wonach die Tschechenfrage keine österreichische,
sondern eine internationale Frage sei und der Friedenskonferenz vorbehalten
bleiben müsse: es war aus jenen staatsrechtlichen Erklärungen an sich, aus
dem Verzicht auf alle Kompromisse mit den tatsächlichen Verhältnissen ohne
weiteres erkennbar, was die Tschechen wollten. Sie setzten alles auf eine
Karte. Das Wohlwollen des Vielverbandes und die Übereinstimmung mit
Wilsons Forderungen, der die Freiheit der kleinen Nationen in Österreich,
nicht ohne Belehrung durch Masaryk und die tschechische Agitation im feind¬
lichen Auslande, verkündet hatte, waren ihnen über alles wertvoll; wertvoller
als alle Verhandlungsmöglichkeiten mit den deutschen und den madjarischen
Mitgliedern der Monarchie. Es ist für die Maßlosigkeit der tschechischen Politik
und für die eigentümliche seelische Verfassung der tschechischen Halbintelligenz,
die diese Politik macht, überaus kennzeichnend, daß sie sofort den Boden der
Wirklichkeit verliert, wenn die allgemeine Lage einige Hoffnungen erweckt und
für die Deutschen ungünstig scheint.

Befremden mußte dabei, daß dieses größenwahnsinnige Vabanque-Spiel,
das nur noch mit der Niederlage der Mittelmächte rechnete, nicht nur von den
radikalsten Gruppen, den Nationalsozialen und Jungtschechen, sondern auch von
den auf loyale Beziehungen haltenden tschechischen Klerikalen, den Sozial¬
demokraten und namentlich von den bisher immer sehr opportunistischen Agrariern
mitgemacht wurde. Jetzt zeigt sich des Rätsels Lösung. Die Agrarier, aus
deren Reihen auch der Vorsitzende des tschechischen Verbandes im Reichsrat,
Staniek, genommen ist, gaben als stärkste Partei den Ausschlag und terrorisierten
sowohl die Klerikalen wie die Sozialdemokraten. Ihr auffallender Radikalismus
aber beruht auf Gründen, die erst die neueste Zeit völlig enthüllt hat.

Schon seit Beginn des Krieges wiederholen sich die Klagen über die
mangelhaften Leistungen der Kornkammer Österreichs, des inneren Böhmens.
Während die weniger ertragreichen deutschen Randgebiete sich in Lebensmittel¬
lieferungen erschöpften, schwammen die inneren, rein agrarischen Bezirke, wie
sich jeder flüchtige Reisende überzeugen konnte, buchstäblich in Fett, und setzten,
zum Teil unter Duldung rationalistischer Beamter, selbst den militärischen
Kommisstonen erfolgreichen passiven Widerstand entgegen. So ergab sich die
ungeheuerliche Tatsache, daß das fruchtbare Böhmen in den letzten zwei Jahren
überhaupt kein Hartgetreide für die Armee weder im Felde noch im Hinter,
lande geliefert hat. Die anklägerischen Zahlen waren natürlich bei den Andern
sehr wohl bekannt und die Statthalterei in Prag, sowie der Ernährungsminister
Höfer. griffen schließlich zu sehr energischen Mitteln, die auch erstaunliche Er¬
folge zelligem. Diese Requisitionen erregten um so mehr den Unmut der
tschechischen Agrarier, als mit Lebensmittellieferungen aus Böhmen für die
Wiener Zentrale nach ihrer Meinung die Selbständigkeitsrechte des böhmischen


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[0355] Die tschechischen Erfolge des österreichischen Parlaments Anschluß der madjarischen Slowaken an den künftigen „böhmischen Staat" forderten. Es hätte nicht der besonders offenen Äußerungen des Brunner Abgeordneten Stransky bedurft, wonach die Tschechenfrage keine österreichische, sondern eine internationale Frage sei und der Friedenskonferenz vorbehalten bleiben müsse: es war aus jenen staatsrechtlichen Erklärungen an sich, aus dem Verzicht auf alle Kompromisse mit den tatsächlichen Verhältnissen ohne weiteres erkennbar, was die Tschechen wollten. Sie setzten alles auf eine Karte. Das Wohlwollen des Vielverbandes und die Übereinstimmung mit Wilsons Forderungen, der die Freiheit der kleinen Nationen in Österreich, nicht ohne Belehrung durch Masaryk und die tschechische Agitation im feind¬ lichen Auslande, verkündet hatte, waren ihnen über alles wertvoll; wertvoller als alle Verhandlungsmöglichkeiten mit den deutschen und den madjarischen Mitgliedern der Monarchie. Es ist für die Maßlosigkeit der tschechischen Politik und für die eigentümliche seelische Verfassung der tschechischen Halbintelligenz, die diese Politik macht, überaus kennzeichnend, daß sie sofort den Boden der Wirklichkeit verliert, wenn die allgemeine Lage einige Hoffnungen erweckt und für die Deutschen ungünstig scheint. Befremden mußte dabei, daß dieses größenwahnsinnige Vabanque-Spiel, das nur noch mit der Niederlage der Mittelmächte rechnete, nicht nur von den radikalsten Gruppen, den Nationalsozialen und Jungtschechen, sondern auch von den auf loyale Beziehungen haltenden tschechischen Klerikalen, den Sozial¬ demokraten und namentlich von den bisher immer sehr opportunistischen Agrariern mitgemacht wurde. Jetzt zeigt sich des Rätsels Lösung. Die Agrarier, aus deren Reihen auch der Vorsitzende des tschechischen Verbandes im Reichsrat, Staniek, genommen ist, gaben als stärkste Partei den Ausschlag und terrorisierten sowohl die Klerikalen wie die Sozialdemokraten. Ihr auffallender Radikalismus aber beruht auf Gründen, die erst die neueste Zeit völlig enthüllt hat. Schon seit Beginn des Krieges wiederholen sich die Klagen über die mangelhaften Leistungen der Kornkammer Österreichs, des inneren Böhmens. Während die weniger ertragreichen deutschen Randgebiete sich in Lebensmittel¬ lieferungen erschöpften, schwammen die inneren, rein agrarischen Bezirke, wie sich jeder flüchtige Reisende überzeugen konnte, buchstäblich in Fett, und setzten, zum Teil unter Duldung rationalistischer Beamter, selbst den militärischen Kommisstonen erfolgreichen passiven Widerstand entgegen. So ergab sich die ungeheuerliche Tatsache, daß das fruchtbare Böhmen in den letzten zwei Jahren überhaupt kein Hartgetreide für die Armee weder im Felde noch im Hinter, lande geliefert hat. Die anklägerischen Zahlen waren natürlich bei den Andern sehr wohl bekannt und die Statthalterei in Prag, sowie der Ernährungsminister Höfer. griffen schließlich zu sehr energischen Mitteln, die auch erstaunliche Er¬ folge zelligem. Diese Requisitionen erregten um so mehr den Unmut der tschechischen Agrarier, als mit Lebensmittellieferungen aus Böhmen für die Wiener Zentrale nach ihrer Meinung die Selbständigkeitsrechte des böhmischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/355>, abgerufen am 20.06.2024.