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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr.

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Neue Bücher
Ricard" Huch, Luthers Glaube. Briefe an einen Freund. Im Inselverlag zu
Leipzig 191K. Geheftet 4 M., gebunden 6 M.

Es ist eine auf dem Gebiete der Religionsgeschichte nicht seltene Erscheinung,
daß neue Motive nicht als solche empfunden werden, sondern daß es dem reli¬
giösen Menschen scheint, als habe er nur, was auch die Alten hatten. Er weiß
freilich, in wie viel er von diesen abweicht, aber das ist für ihn nicht eine Trennung
von dem innersten Wahrheitsgehalt der Vergangenheit, sondern gerade diesen glaubt
er zu verteidigen gegen "Menschensatzungen", die ihn verdeckt und überwuchert
haben. Nicht als eine "Auflösung", sondern als eine "Erfüllung" tritt die neue
religiöse Bewegung in die Geschichte ein. So ist bekannt, daß Luther der Meinung
gelebt hat, er wolle im Grunde nur, was die Kirche auch erstrebe. Es schien
ihm, als nehme er die Kirche gegen sie selber in Schutz. -- Aber es trat hier die
weitere ebenso logische Erscheinung auf, daß die Vertreter der religiösen Ver¬
gangenheit es gewesen sind, die das Neue erkannten und in gewaltigen Kämpfen
von sich abgestoßen haben. Erst wenn dies eingetreten ist, beginnt auch die neue
Bewegung sich als solche zu fühlen, von sich selbst wäre sie nie darauf gekommen.
Das geht so weit, daß man einer Bewegung, die sich religiös nennt, sich aber
in ihrer Ansicht als im Gegensatze zu den Vertretern der Alten fühlt, eben den
Charakter einer religiösen Strömung absprechen muß.

Es fehlt eben der schöpferischen religiösen Persönlichkeit die Ruhe und auch
die Lust zur logisch begrifflichen Fassung ihrer Gedanken und somit ein Mittel,
durch das ihr an dem Widerspruche der Begriffe der Widerspruch des Lebens
aufgehe. Dann aber ist der Komo religiosus eine bejahende Natur, der trotz
scharfer Polemik keine Freude am Streite hat. Und so vermeidet er es, diesen in
die letzten Tiefen hinunterzutragen. Er lebt zu sehr im sicheren Besitze, als daß
er durch gesuchte Auseinandersetzung mit anderen diesen fraglich zu machen strebte.
Erst wenn er von denen, mit denen er im Grunde eins zu sein glaubt, scharf
bedrängt wird, geht ihm langsam, und ganz deutlich erst seinen Jüngern, das
Bewußtsein auf, daß sie eine junge Bewegung begonnen haben, die sich selbst von
früheren scheiden muß. So hat z. B. den Widerspruch, in dem seine Lehre zu
dem jüdischen Nomismus stand, nicht Jesus selber, sondern sein größter Apostel
Paulus mit vollem Bewußtsein erfaßt und ausgesprochen. Endlich aber dürfen
Kir das innere Recht nicht vergessen, aus dem heraus jeder Religiöse mit jedem
anderen Frommen sich eins fühlt. Sie alle, besonders wenn sie derselben Entwicklung
angehören, verbindet gewissermaßen ein unterirdischer Zusammenhang. Ihnen allen
hat sich das Göttliche erschlossen, und so individuell dieses sich manifestieren mag,
°s ist doch immer das Göttliche. Es ist also kein Wunder, sondern tief berechtigt,




Neue Bücher
Ricard« Huch, Luthers Glaube. Briefe an einen Freund. Im Inselverlag zu
Leipzig 191K. Geheftet 4 M., gebunden 6 M.

Es ist eine auf dem Gebiete der Religionsgeschichte nicht seltene Erscheinung,
daß neue Motive nicht als solche empfunden werden, sondern daß es dem reli¬
giösen Menschen scheint, als habe er nur, was auch die Alten hatten. Er weiß
freilich, in wie viel er von diesen abweicht, aber das ist für ihn nicht eine Trennung
von dem innersten Wahrheitsgehalt der Vergangenheit, sondern gerade diesen glaubt
er zu verteidigen gegen „Menschensatzungen", die ihn verdeckt und überwuchert
haben. Nicht als eine „Auflösung", sondern als eine „Erfüllung" tritt die neue
religiöse Bewegung in die Geschichte ein. So ist bekannt, daß Luther der Meinung
gelebt hat, er wolle im Grunde nur, was die Kirche auch erstrebe. Es schien
ihm, als nehme er die Kirche gegen sie selber in Schutz. — Aber es trat hier die
weitere ebenso logische Erscheinung auf, daß die Vertreter der religiösen Ver¬
gangenheit es gewesen sind, die das Neue erkannten und in gewaltigen Kämpfen
von sich abgestoßen haben. Erst wenn dies eingetreten ist, beginnt auch die neue
Bewegung sich als solche zu fühlen, von sich selbst wäre sie nie darauf gekommen.
Das geht so weit, daß man einer Bewegung, die sich religiös nennt, sich aber
in ihrer Ansicht als im Gegensatze zu den Vertretern der Alten fühlt, eben den
Charakter einer religiösen Strömung absprechen muß.

Es fehlt eben der schöpferischen religiösen Persönlichkeit die Ruhe und auch
die Lust zur logisch begrifflichen Fassung ihrer Gedanken und somit ein Mittel,
durch das ihr an dem Widerspruche der Begriffe der Widerspruch des Lebens
aufgehe. Dann aber ist der Komo religiosus eine bejahende Natur, der trotz
scharfer Polemik keine Freude am Streite hat. Und so vermeidet er es, diesen in
die letzten Tiefen hinunterzutragen. Er lebt zu sehr im sicheren Besitze, als daß
er durch gesuchte Auseinandersetzung mit anderen diesen fraglich zu machen strebte.
Erst wenn er von denen, mit denen er im Grunde eins zu sein glaubt, scharf
bedrängt wird, geht ihm langsam, und ganz deutlich erst seinen Jüngern, das
Bewußtsein auf, daß sie eine junge Bewegung begonnen haben, die sich selbst von
früheren scheiden muß. So hat z. B. den Widerspruch, in dem seine Lehre zu
dem jüdischen Nomismus stand, nicht Jesus selber, sondern sein größter Apostel
Paulus mit vollem Bewußtsein erfaßt und ausgesprochen. Endlich aber dürfen
Kir das innere Recht nicht vergessen, aus dem heraus jeder Religiöse mit jedem
anderen Frommen sich eins fühlt. Sie alle, besonders wenn sie derselben Entwicklung
angehören, verbindet gewissermaßen ein unterirdischer Zusammenhang. Ihnen allen
hat sich das Göttliche erschlossen, und so individuell dieses sich manifestieren mag,
°s ist doch immer das Göttliche. Es ist also kein Wunder, sondern tief berechtigt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_332278/201>, abgerufen am 27.06.2024.