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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Noch einmal: Ethik und Politik
Professor Dr. Otto v. d. pfordten von

^"in ersten Dezemberheft 1914 dieser Zeitschrift hatte ich einige Ge¬
danken unter obigem Titel veröffentlicht, vor allem um gegen die
Proklamierung eines Nietzscheschen Amoralismus als Sinn dieses
Weltkriegs Stellung zu nehmen. Zwei Jahre sind seither ver¬
flossen und das Thema inzwischen vielfach erörtert worden, am
bedeutendsten wohl von O. Külpe*), Heinrich Scholz**) und jüngst von Otto
Baumgarten***), dem evangelischen Theologen. Darf man sich im einzelnen
vielfach Widersprechendes zusammenfassen, so ist das Ergebnis die offene Proklamie¬
rung einer doppelten Moral für den Staat und den einzelnen; für jenen wird
Machiavelli verherrlicht, wenn auch leise verbessert, für diesen soll die Berg¬
predigt gelten. Wie ein Staatsmann die Widersprüche in sich vereinigen soll,
wird nicht klar und statt dessen als "tragisch" hingestellt; diese "ungelöste
Dissonanz", die besonders von Baumgarten, der lichtvoll über das Historische
orientiert, mit erschreckender Folgerichtigkeit als der Weisheit letzter Schluß aus¬
gegeben wird, zwingt dazu, noch einmal solcher Verwirrung entgegenzutreten.

Die Ethik kann nicht und niemals zugeben, daß es zweierlei Regelsysteme
gibt, die einander noch dazu völlig widersprechen und ob das ein einzelner,
und sei es Bismarck, als "tragisch" fühlt oder ob man solche Tragik bei ihm
finden will, ist dem Ethiker völlig gleichgültig. Denn tragisch ist ein ästhetischer
Begriff und die Maßstäbe der Ethik sind nicht dazu da, dem betrachtenden
Welt-Beschauer tragische Schauer einzujagen. Sobald man diese Folgerung
ugibt, ist eine der beiden Moralen falsch; denn die Norm redet überzeitlichs





*) "Die Ethik und der Krieg". Hirzel, Leipzig 1915.
-) "Politik und Moral". F. A. Perthes, Gotha 1915.*')'
*) Ebenso I. C. B. Mohr, Tübingen 1916."""t
Grenzboten I 1917


Noch einmal: Ethik und Politik
Professor Dr. Otto v. d. pfordten von

^«in ersten Dezemberheft 1914 dieser Zeitschrift hatte ich einige Ge¬
danken unter obigem Titel veröffentlicht, vor allem um gegen die
Proklamierung eines Nietzscheschen Amoralismus als Sinn dieses
Weltkriegs Stellung zu nehmen. Zwei Jahre sind seither ver¬
flossen und das Thema inzwischen vielfach erörtert worden, am
bedeutendsten wohl von O. Külpe*), Heinrich Scholz**) und jüngst von Otto
Baumgarten***), dem evangelischen Theologen. Darf man sich im einzelnen
vielfach Widersprechendes zusammenfassen, so ist das Ergebnis die offene Proklamie¬
rung einer doppelten Moral für den Staat und den einzelnen; für jenen wird
Machiavelli verherrlicht, wenn auch leise verbessert, für diesen soll die Berg¬
predigt gelten. Wie ein Staatsmann die Widersprüche in sich vereinigen soll,
wird nicht klar und statt dessen als „tragisch" hingestellt; diese „ungelöste
Dissonanz", die besonders von Baumgarten, der lichtvoll über das Historische
orientiert, mit erschreckender Folgerichtigkeit als der Weisheit letzter Schluß aus¬
gegeben wird, zwingt dazu, noch einmal solcher Verwirrung entgegenzutreten.

Die Ethik kann nicht und niemals zugeben, daß es zweierlei Regelsysteme
gibt, die einander noch dazu völlig widersprechen und ob das ein einzelner,
und sei es Bismarck, als „tragisch" fühlt oder ob man solche Tragik bei ihm
finden will, ist dem Ethiker völlig gleichgültig. Denn tragisch ist ein ästhetischer
Begriff und die Maßstäbe der Ethik sind nicht dazu da, dem betrachtenden
Welt-Beschauer tragische Schauer einzujagen. Sobald man diese Folgerung
ugibt, ist eine der beiden Moralen falsch; denn die Norm redet überzeitlichs





*) „Die Ethik und der Krieg". Hirzel, Leipzig 1915.
-) „Politik und Moral". F. A. Perthes, Gotha 1915.*')'
*) Ebenso I. C. B. Mohr, Tübingen 1916.»«»t
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[0045] [Abbildung] Noch einmal: Ethik und Politik Professor Dr. Otto v. d. pfordten von ^«in ersten Dezemberheft 1914 dieser Zeitschrift hatte ich einige Ge¬ danken unter obigem Titel veröffentlicht, vor allem um gegen die Proklamierung eines Nietzscheschen Amoralismus als Sinn dieses Weltkriegs Stellung zu nehmen. Zwei Jahre sind seither ver¬ flossen und das Thema inzwischen vielfach erörtert worden, am bedeutendsten wohl von O. Külpe*), Heinrich Scholz**) und jüngst von Otto Baumgarten***), dem evangelischen Theologen. Darf man sich im einzelnen vielfach Widersprechendes zusammenfassen, so ist das Ergebnis die offene Proklamie¬ rung einer doppelten Moral für den Staat und den einzelnen; für jenen wird Machiavelli verherrlicht, wenn auch leise verbessert, für diesen soll die Berg¬ predigt gelten. Wie ein Staatsmann die Widersprüche in sich vereinigen soll, wird nicht klar und statt dessen als „tragisch" hingestellt; diese „ungelöste Dissonanz", die besonders von Baumgarten, der lichtvoll über das Historische orientiert, mit erschreckender Folgerichtigkeit als der Weisheit letzter Schluß aus¬ gegeben wird, zwingt dazu, noch einmal solcher Verwirrung entgegenzutreten. Die Ethik kann nicht und niemals zugeben, daß es zweierlei Regelsysteme gibt, die einander noch dazu völlig widersprechen und ob das ein einzelner, und sei es Bismarck, als „tragisch" fühlt oder ob man solche Tragik bei ihm finden will, ist dem Ethiker völlig gleichgültig. Denn tragisch ist ein ästhetischer Begriff und die Maßstäbe der Ethik sind nicht dazu da, dem betrachtenden Welt-Beschauer tragische Schauer einzujagen. Sobald man diese Folgerung ugibt, ist eine der beiden Moralen falsch; denn die Norm redet überzeitlichs *) „Die Ethik und der Krieg". Hirzel, Leipzig 1915. -) „Politik und Moral". F. A. Perthes, Gotha 1915.*')' *) Ebenso I. C. B. Mohr, Tübingen 1916.»«»t Grenzboten I 1917

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/45>, abgerufen am 22.07.2024.