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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Deutschland und England in Afrika
Oberlehrer Dr. wütschke von

n einem früheren Aufsatz*) habe ich anzudeuten versucht, wie
England auf dem ganzen Erdball Stützpunkte seiner Macht sich
erworben, wie es durch Besitzergreifung scheinbar noch so unbe¬
deutender Punkte des Festlandes und Ozeans sein System eines
Stützpunktnetzes aufbaute, wie es ihm gelang, den größten Teil
der Hauptengpäfse des Seehandels in starkem Maße zu beherrschen und damit
tatsächlich eine einzigartige Macht der See- und Weltherrschaft zu erringen.

Diesen Weg hat England auch auf dem afrikanischen Festland eingeschlagen.
Den Gegner abzudrängen von den günstigsten Punkten der Erdoberfläche, ihm
die geographischen Grundlagen einer Machtentwicklung zu entziehen oder doch
mindestens deren Wert zu beeinträchtigen, das ist das Mittel, das England in
Afrika leider allzu häufig mit größtem Erfolge angewendet hat.

Afrikas natürliche Eingangstore bilden die Flußmündungen. Sein
Charakter als Hochfläche mit mehr oder minder schroffem, terrassenförmigen
Rande weist den großen Flußtälern die Aufgabe von Eingangsstraßen in das
Innere zu. Aber dieses Innere des Erdteils lockte bis in die Mitte des
neunzehnten Jahrhunderts als Wirtschaftsgebiet niemanden; man hatte sich bis
dahin in Europa mit der Vorstellung des "dunklen" Erdteils abgefunden.
Die unermeßliche, öde, menschenfeindliche Sandwüste des Nordens und Südens
übte ebensowenig Anziehungskraft aus wie der undurchdringliche Urwald der
heißen Mitte; denn anders schilderte keine Überlieferung den Erdteil. Wohl
bildeten einzelne Küstenstriche des gemäßigten Afrika teils alten Kulturbesttz.
wie die Mittelmeerküste, das Ntltal, teils waren sie bereits im siebzehnten Jahr¬
hundert europäischer Kulturbesitz geworden, wie das holländische Burengebiet
in Südafrika, aber sobald man weiter ins Innere vorzudringen versuchte, stieß
mau auf den unfruchtbaren, jeden Wertes urbar erscheinenden Wüstensand
oder auf den Urwald, der die ansteigenden Höhen überdeckte und das ganze
Innere des Erdteils zu erfüllen schien. Man ahnte weder den Reichtum des
südafrikanischen Wüstengebiets an gleißenden Gold und blitzendem Edelgestein
der Diamanten, noch die wahre Ausdehnung und den wirtschaftlichen Wert
der Urwälder, noch das Vorhandensein weiter steppenartiger, viehreicher und



*) Englische Weltpolitik und Weltverkehrsfragen vor dem Kriege, "Grenzboten" 191S.
Heft 37. S. 321 ff.


Deutschland und England in Afrika
Oberlehrer Dr. wütschke von

n einem früheren Aufsatz*) habe ich anzudeuten versucht, wie
England auf dem ganzen Erdball Stützpunkte seiner Macht sich
erworben, wie es durch Besitzergreifung scheinbar noch so unbe¬
deutender Punkte des Festlandes und Ozeans sein System eines
Stützpunktnetzes aufbaute, wie es ihm gelang, den größten Teil
der Hauptengpäfse des Seehandels in starkem Maße zu beherrschen und damit
tatsächlich eine einzigartige Macht der See- und Weltherrschaft zu erringen.

Diesen Weg hat England auch auf dem afrikanischen Festland eingeschlagen.
Den Gegner abzudrängen von den günstigsten Punkten der Erdoberfläche, ihm
die geographischen Grundlagen einer Machtentwicklung zu entziehen oder doch
mindestens deren Wert zu beeinträchtigen, das ist das Mittel, das England in
Afrika leider allzu häufig mit größtem Erfolge angewendet hat.

Afrikas natürliche Eingangstore bilden die Flußmündungen. Sein
Charakter als Hochfläche mit mehr oder minder schroffem, terrassenförmigen
Rande weist den großen Flußtälern die Aufgabe von Eingangsstraßen in das
Innere zu. Aber dieses Innere des Erdteils lockte bis in die Mitte des
neunzehnten Jahrhunderts als Wirtschaftsgebiet niemanden; man hatte sich bis
dahin in Europa mit der Vorstellung des „dunklen" Erdteils abgefunden.
Die unermeßliche, öde, menschenfeindliche Sandwüste des Nordens und Südens
übte ebensowenig Anziehungskraft aus wie der undurchdringliche Urwald der
heißen Mitte; denn anders schilderte keine Überlieferung den Erdteil. Wohl
bildeten einzelne Küstenstriche des gemäßigten Afrika teils alten Kulturbesttz.
wie die Mittelmeerküste, das Ntltal, teils waren sie bereits im siebzehnten Jahr¬
hundert europäischer Kulturbesitz geworden, wie das holländische Burengebiet
in Südafrika, aber sobald man weiter ins Innere vorzudringen versuchte, stieß
mau auf den unfruchtbaren, jeden Wertes urbar erscheinenden Wüstensand
oder auf den Urwald, der die ansteigenden Höhen überdeckte und das ganze
Innere des Erdteils zu erfüllen schien. Man ahnte weder den Reichtum des
südafrikanischen Wüstengebiets an gleißenden Gold und blitzendem Edelgestein
der Diamanten, noch die wahre Ausdehnung und den wirtschaftlichen Wert
der Urwälder, noch das Vorhandensein weiter steppenartiger, viehreicher und



*) Englische Weltpolitik und Weltverkehrsfragen vor dem Kriege, „Grenzboten" 191S.
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[0308] [Abbildung] Deutschland und England in Afrika Oberlehrer Dr. wütschke von n einem früheren Aufsatz*) habe ich anzudeuten versucht, wie England auf dem ganzen Erdball Stützpunkte seiner Macht sich erworben, wie es durch Besitzergreifung scheinbar noch so unbe¬ deutender Punkte des Festlandes und Ozeans sein System eines Stützpunktnetzes aufbaute, wie es ihm gelang, den größten Teil der Hauptengpäfse des Seehandels in starkem Maße zu beherrschen und damit tatsächlich eine einzigartige Macht der See- und Weltherrschaft zu erringen. Diesen Weg hat England auch auf dem afrikanischen Festland eingeschlagen. Den Gegner abzudrängen von den günstigsten Punkten der Erdoberfläche, ihm die geographischen Grundlagen einer Machtentwicklung zu entziehen oder doch mindestens deren Wert zu beeinträchtigen, das ist das Mittel, das England in Afrika leider allzu häufig mit größtem Erfolge angewendet hat. Afrikas natürliche Eingangstore bilden die Flußmündungen. Sein Charakter als Hochfläche mit mehr oder minder schroffem, terrassenförmigen Rande weist den großen Flußtälern die Aufgabe von Eingangsstraßen in das Innere zu. Aber dieses Innere des Erdteils lockte bis in die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts als Wirtschaftsgebiet niemanden; man hatte sich bis dahin in Europa mit der Vorstellung des „dunklen" Erdteils abgefunden. Die unermeßliche, öde, menschenfeindliche Sandwüste des Nordens und Südens übte ebensowenig Anziehungskraft aus wie der undurchdringliche Urwald der heißen Mitte; denn anders schilderte keine Überlieferung den Erdteil. Wohl bildeten einzelne Küstenstriche des gemäßigten Afrika teils alten Kulturbesttz. wie die Mittelmeerküste, das Ntltal, teils waren sie bereits im siebzehnten Jahr¬ hundert europäischer Kulturbesitz geworden, wie das holländische Burengebiet in Südafrika, aber sobald man weiter ins Innere vorzudringen versuchte, stieß mau auf den unfruchtbaren, jeden Wertes urbar erscheinenden Wüstensand oder auf den Urwald, der die ansteigenden Höhen überdeckte und das ganze Innere des Erdteils zu erfüllen schien. Man ahnte weder den Reichtum des südafrikanischen Wüstengebiets an gleißenden Gold und blitzendem Edelgestein der Diamanten, noch die wahre Ausdehnung und den wirtschaftlichen Wert der Urwälder, noch das Vorhandensein weiter steppenartiger, viehreicher und *) Englische Weltpolitik und Weltverkehrsfragen vor dem Kriege, „Grenzboten" 191S. Heft 37. S. 321 ff.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/308>, abgerufen am 22.07.2024.