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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Deutschland und England in Afrika

dem verschiedenartigsten Anbau zuträglicher Hochflächen im Innern. Erst die
großen, um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts in verstärktem Maße ein¬
setzenden Entdeckungsreisen heilten den Zustand des Erdteilinnern auf; vollends
brachte für Äquatorialaftika die Durchquerung Stanleys in den Jahren 1875/77
völlig neue Ergebnisse und warf mit einem Schlage die bisher fast allgemein
herrschende Ansicht von der Wertlosigkeit des Erdteils über den Haufen. Es
kommt dazu, daß die fast gleichzeitige Aufhebung des Sklavenhandels, der ja
seine Ware ans Afrika bezog, dazu zwang, sich nach neuen Erwerbs- und
Handelserzeugnissen des Erdteils umzusehen.

England erkannte die große Bedeutung der neuen Entdeckung. Unter dem
Gesichtspunkt der eben beginnenden imperialistischen Politik trieb es, wie ich mich
ausdrücken möchte, von jetzt an in Afrika "rein afrikanische" Politik. Es erwarb
oder erweiterte seine Besitzungen um ihrer felbst willen, im Gegensatz zu der
bisher geübten "indisch-afrikanischen" Politik, worunter ich die Maßnahme Eng¬
lands verstanden wissen möchte, daß alle seine afrikanischen Erwerbungen nur
Stützpunkte und Schutzniederlassungen auf dem einstmals einzigen Wege von
Europa nach Indien um das Kap herum bilden*).

Man kann den Zeitpunkt, in dem England den neuen Weg seiner Politik
einschlug, nämlich sich auch möglichst die Zugänge zum Innern Afrikas zu sichern,
fast genau bestimmen. Es ist der September 1876, im Geburtsjahr des Kongo¬
staates, als in Brüssel auf Einladung König Leopolds II. von Belgien die
Kongokonferenz zusammentrat. In diesem Augenblick richtete die englische
Politik mit sicherem geographischen Blick ihr Ziel auf die Flußmündungen, in
der richtigen Erkenntnis, damit die Zugangspfortsn und -Straßen zu beherrschen,
wen" etwa das Innere des Erdteils sich reicher erweisen sollte, als man bisher
allgemein annahm. Die Stanlenschen Entdeckungen schienen diese bisherige
falsche Annahme zu entkräften. Dieses "Zugreifen auf gut Glück" ist immer
ein Kennzeichen der englischen Ausdehnungsvolitik gewesen.

Mit der Sperrung der Kongomündung setzt dieser neue Zweig der afri¬
kanischen Kolonialpolitik Englands ein.

Allerdings lehrt nun ein Blick auf die Karte, daß England heute gar keine"
Besitz an der Kongomündung hat und auch niemals hatte. Dennoch liegt hier
das typische Beispiel der angedeuteten britischen Abdrängungs- und Sperrpolitik
vor. England weigerte sich bekanntlich, der im Anschluß an jene Konferenz 1882
entstandenen ^880Liatic>n lnternaticznÄw 6u LoriM beizutreten, um sich in jeder
Weise seine Handlungsfreiheit wahren zu können. Selbst die besondere Auf¬
merksamkeit, die Frankreich seit 1880 durch Lavoi-Unan, as Lra-^^a der Kongo-



Ähnliches bezweckte bereits im siebenzehnten Jahrhundert Holland zur Sicherung
des Seeweges zu seinen ostindischen Kolonien durch Erwerbung von Se. Helena 1633 (bis
1651), von Mauritius 1638 (bis 1710) und vom Kapland 16S1 (bis 1814). -- Auch der
Streit um Madagaskar zwischen England und Frankreich im Anfang des neunzehnten Jahr¬
hunderts dient zur Kennzeichnung dieser britischen Absicht.
Deutschland und England in Afrika

dem verschiedenartigsten Anbau zuträglicher Hochflächen im Innern. Erst die
großen, um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts in verstärktem Maße ein¬
setzenden Entdeckungsreisen heilten den Zustand des Erdteilinnern auf; vollends
brachte für Äquatorialaftika die Durchquerung Stanleys in den Jahren 1875/77
völlig neue Ergebnisse und warf mit einem Schlage die bisher fast allgemein
herrschende Ansicht von der Wertlosigkeit des Erdteils über den Haufen. Es
kommt dazu, daß die fast gleichzeitige Aufhebung des Sklavenhandels, der ja
seine Ware ans Afrika bezog, dazu zwang, sich nach neuen Erwerbs- und
Handelserzeugnissen des Erdteils umzusehen.

England erkannte die große Bedeutung der neuen Entdeckung. Unter dem
Gesichtspunkt der eben beginnenden imperialistischen Politik trieb es, wie ich mich
ausdrücken möchte, von jetzt an in Afrika „rein afrikanische" Politik. Es erwarb
oder erweiterte seine Besitzungen um ihrer felbst willen, im Gegensatz zu der
bisher geübten „indisch-afrikanischen" Politik, worunter ich die Maßnahme Eng¬
lands verstanden wissen möchte, daß alle seine afrikanischen Erwerbungen nur
Stützpunkte und Schutzniederlassungen auf dem einstmals einzigen Wege von
Europa nach Indien um das Kap herum bilden*).

Man kann den Zeitpunkt, in dem England den neuen Weg seiner Politik
einschlug, nämlich sich auch möglichst die Zugänge zum Innern Afrikas zu sichern,
fast genau bestimmen. Es ist der September 1876, im Geburtsjahr des Kongo¬
staates, als in Brüssel auf Einladung König Leopolds II. von Belgien die
Kongokonferenz zusammentrat. In diesem Augenblick richtete die englische
Politik mit sicherem geographischen Blick ihr Ziel auf die Flußmündungen, in
der richtigen Erkenntnis, damit die Zugangspfortsn und -Straßen zu beherrschen,
wen« etwa das Innere des Erdteils sich reicher erweisen sollte, als man bisher
allgemein annahm. Die Stanlenschen Entdeckungen schienen diese bisherige
falsche Annahme zu entkräften. Dieses „Zugreifen auf gut Glück" ist immer
ein Kennzeichen der englischen Ausdehnungsvolitik gewesen.

Mit der Sperrung der Kongomündung setzt dieser neue Zweig der afri¬
kanischen Kolonialpolitik Englands ein.

Allerdings lehrt nun ein Blick auf die Karte, daß England heute gar keine«
Besitz an der Kongomündung hat und auch niemals hatte. Dennoch liegt hier
das typische Beispiel der angedeuteten britischen Abdrängungs- und Sperrpolitik
vor. England weigerte sich bekanntlich, der im Anschluß an jene Konferenz 1882
entstandenen ^880Liatic>n lnternaticznÄw 6u LoriM beizutreten, um sich in jeder
Weise seine Handlungsfreiheit wahren zu können. Selbst die besondere Auf¬
merksamkeit, die Frankreich seit 1880 durch Lavoi-Unan, as Lra-^^a der Kongo-



Ähnliches bezweckte bereits im siebenzehnten Jahrhundert Holland zur Sicherung
des Seeweges zu seinen ostindischen Kolonien durch Erwerbung von Se. Helena 1633 (bis
1651), von Mauritius 1638 (bis 1710) und vom Kapland 16S1 (bis 1814). — Auch der
Streit um Madagaskar zwischen England und Frankreich im Anfang des neunzehnten Jahr¬
hunderts dient zur Kennzeichnung dieser britischen Absicht.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/309>, abgerufen am 23.07.2024.