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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Rasputin

UM
WManz Rußland hat in diesen Tagen in atemloser Aufregung gelebt.
Die Telephone in Petersburg schwirrten. In Moskau und in
den Provinzstädten, die Verbindungen mit der Hauptstadt hatten,
wurden in der Nacht vom 17. zum 18. Dezember alten Stils
die Redaktionsstuben mit Anfragen überhäuft. Jedermann in
Rußland wußte es, aber niemand durfte es sagen: Grigori Rasputin war er¬
mordet worden. In den Zeitungen erschienen am Morgen vage Andeutungen,
die doch jeder verstand, man las am Abend von dem mysteriösen Verbrechen
an "der Person, von der man in der letzten Zeit in der Reichsduma und in
der Gesellschaft so viel gesprochen hat", bis endlich in der "Birshewyja Wjedomosti"
eine kurze aber mit großen Lettern geschriebene Notiz erschien: "Der Tod Grigori
Rasputins. Heute um 6 Uhr morgens ist in einem der aristokratischen Palais
im Zentrum der Hauptstadt Grigori Rasputin-Nowych plötzlich verschieden."

Was diese Nachricht für Rußland bedeutet, kann nur der verstehen, der
die letzten Ereignisse in der Hauptstadt mit Aufmerksamkeit verfolgt hat. In
dieser Zeit der Aufregung des Krieges und der inneren Kämpfe wurde ein
Thema immer und immer wieder variiert: das Raunen von den "finsteren
Mächten", die am Werke seien, Rußland zu vernichten. Auch der deutsche
Zeitungsleser hat die große Rede von Miljukow, die zum Sturze Stürmers
führte, wenigstens bruchstückweise kennen gelernt. Die Rede von Purischkjewitsch,
der unter dem demonstrativen Beifallsklatschen des Großfürsten Nikolai Michai-
lowitsch von der Dumatribüne aus einen flammenden Appell an den Zaren
richtete, sich loszusagen von jenen dunkeln Kräften, ist über die Grenzen des
Zarenreiches hinaus beachtet worden. Sie war ein Ausdruck der Stimmungen
und Befürchtungen, die ein großer Teil des russischen Volkes erfüllte, der sich
nach den Tagen von Stürmer mit ihren "unbegrenzten Möglichkeiten" nach
außen und innen nach einem frischen Luftzug sehnte. Der sollte all die Spreu


Grenzboten I 1917 7


Rasputin

UM
WManz Rußland hat in diesen Tagen in atemloser Aufregung gelebt.
Die Telephone in Petersburg schwirrten. In Moskau und in
den Provinzstädten, die Verbindungen mit der Hauptstadt hatten,
wurden in der Nacht vom 17. zum 18. Dezember alten Stils
die Redaktionsstuben mit Anfragen überhäuft. Jedermann in
Rußland wußte es, aber niemand durfte es sagen: Grigori Rasputin war er¬
mordet worden. In den Zeitungen erschienen am Morgen vage Andeutungen,
die doch jeder verstand, man las am Abend von dem mysteriösen Verbrechen
an „der Person, von der man in der letzten Zeit in der Reichsduma und in
der Gesellschaft so viel gesprochen hat", bis endlich in der „Birshewyja Wjedomosti"
eine kurze aber mit großen Lettern geschriebene Notiz erschien: „Der Tod Grigori
Rasputins. Heute um 6 Uhr morgens ist in einem der aristokratischen Palais
im Zentrum der Hauptstadt Grigori Rasputin-Nowych plötzlich verschieden."

Was diese Nachricht für Rußland bedeutet, kann nur der verstehen, der
die letzten Ereignisse in der Hauptstadt mit Aufmerksamkeit verfolgt hat. In
dieser Zeit der Aufregung des Krieges und der inneren Kämpfe wurde ein
Thema immer und immer wieder variiert: das Raunen von den „finsteren
Mächten", die am Werke seien, Rußland zu vernichten. Auch der deutsche
Zeitungsleser hat die große Rede von Miljukow, die zum Sturze Stürmers
führte, wenigstens bruchstückweise kennen gelernt. Die Rede von Purischkjewitsch,
der unter dem demonstrativen Beifallsklatschen des Großfürsten Nikolai Michai-
lowitsch von der Dumatribüne aus einen flammenden Appell an den Zaren
richtete, sich loszusagen von jenen dunkeln Kräften, ist über die Grenzen des
Zarenreiches hinaus beachtet worden. Sie war ein Ausdruck der Stimmungen
und Befürchtungen, die ein großer Teil des russischen Volkes erfüllte, der sich
nach den Tagen von Stürmer mit ihren „unbegrenzten Möglichkeiten" nach
außen und innen nach einem frischen Luftzug sehnte. Der sollte all die Spreu


Grenzboten I 1917 7
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[0109] [Abbildung] Rasputin UM WManz Rußland hat in diesen Tagen in atemloser Aufregung gelebt. Die Telephone in Petersburg schwirrten. In Moskau und in den Provinzstädten, die Verbindungen mit der Hauptstadt hatten, wurden in der Nacht vom 17. zum 18. Dezember alten Stils die Redaktionsstuben mit Anfragen überhäuft. Jedermann in Rußland wußte es, aber niemand durfte es sagen: Grigori Rasputin war er¬ mordet worden. In den Zeitungen erschienen am Morgen vage Andeutungen, die doch jeder verstand, man las am Abend von dem mysteriösen Verbrechen an „der Person, von der man in der letzten Zeit in der Reichsduma und in der Gesellschaft so viel gesprochen hat", bis endlich in der „Birshewyja Wjedomosti" eine kurze aber mit großen Lettern geschriebene Notiz erschien: „Der Tod Grigori Rasputins. Heute um 6 Uhr morgens ist in einem der aristokratischen Palais im Zentrum der Hauptstadt Grigori Rasputin-Nowych plötzlich verschieden." Was diese Nachricht für Rußland bedeutet, kann nur der verstehen, der die letzten Ereignisse in der Hauptstadt mit Aufmerksamkeit verfolgt hat. In dieser Zeit der Aufregung des Krieges und der inneren Kämpfe wurde ein Thema immer und immer wieder variiert: das Raunen von den „finsteren Mächten", die am Werke seien, Rußland zu vernichten. Auch der deutsche Zeitungsleser hat die große Rede von Miljukow, die zum Sturze Stürmers führte, wenigstens bruchstückweise kennen gelernt. Die Rede von Purischkjewitsch, der unter dem demonstrativen Beifallsklatschen des Großfürsten Nikolai Michai- lowitsch von der Dumatribüne aus einen flammenden Appell an den Zaren richtete, sich loszusagen von jenen dunkeln Kräften, ist über die Grenzen des Zarenreiches hinaus beachtet worden. Sie war ein Ausdruck der Stimmungen und Befürchtungen, die ein großer Teil des russischen Volkes erfüllte, der sich nach den Tagen von Stürmer mit ihren „unbegrenzten Möglichkeiten" nach außen und innen nach einem frischen Luftzug sehnte. Der sollte all die Spreu Grenzboten I 1917 7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/109>, abgerufen am 22.07.2024.