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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Rasputin

hinwegfegen, die, wie man glaubte, nur den lauteren Glanz des reinen Wollens
des russischen Volkes bedeckte. Laßt einmal diesen Glanz zum Vorschein kommen,
und er wird in strahlender Schönheit Rußland die Rettung bringen, setzt einmal
das freie russische Volk auf das von allen Fesseln erlöste Pferd und es wird
im Sturmlaufe alle inneren und äußeren Hemmnisse spielend überwinden.
Das Volk, so dachten und sprachen viele in Rußland, will den Sieg nach
außen und ordentliche Zustände im Innern, Ihr Stürmer, Protopopows und
Trepows, die Ihr ja doch nur gezogen und dirigiert werdet von jenen "dunkeln
Kräften", gegen die sich der Kampf des Volkes richtet, hindert uns daran.
Weg mit Euch und weg mit jenen Rasputins und Mardaris, gebt uns den
Weg frei! Die Debatten des Adelskongresses waren im wesentlichen von diesen
Gedanken erfüllt, die Reden, die dort gehalten wurden, bildeten eine einzige
große Anklage gegen den Mann, den man im geistlichen Ressort ungehinderte
Macht zuschrieb und der durch die hohe Geistlichkeit und seinen Einfluß bei Hofe
auch i" weltlichen Dingen herrsche. In der Resolution des Adelskongresses, die
dem Zaren unterbreitet wurde, heißt es wörtlich: "In der Staatsverwaltung
haben sich dem Gesetze fremde, unverantwortliche finstere Mächte eingenistet.
Diese Mächte unterwerfen ihrem Einfluß die Spitzen der Regierung und greifen
sogar in die kirchliche Verwaltung über." Der Reichsrat verlangte in seinem
mit erdrückender Majorität angenommenen Beschlusse ausdrücklich vor dem
ganzen Lande "die entschiedene Beseitigung der Beeinflussung der Staats¬
geschäfte durch verborgene, unverantwortliche Mächte". In jedem Zeitungs¬
artikel, in jeder politischen Rede finden wir diese stereotype Formel wieder.
Rußland ist auf der schiefen Ebene, die Regierung bewegt sich mit Macht
dorthin, wohin sie von den dunkeln Elementen gezogen wird.

Der Kampf begann. Man stürzte Stürmer, man versuchte mit aller Macht,
die dem Dumablock zur Verfügung stand, Protopopow zu stürzen, man setzte
alle Hebel in Bewegung, um das Trepowsche Ministerium ins Wanken zu
bringen. Mit welchem Ergebnis? Protopopow blieb. Er, gegen den sich die
ganze Duma gewandt hatte, wurde vom Zaren endgültig zum Minister ernannt;
der Erzbischof Pitirim, der mit Rasputin zusammen als Drahtzieher hinter den
Kulissen offen bezeichnet worden war, erhielt eine demonstrative Auszeichnung
vom Zaren; Stürmer, der des Vaterlandsverrates bezichtigt worden war, wurde
in oller Form und in allen Ehren nach seinem Abgang für alle Zeit "dem
Personalbestande des Auswärtigen Ministeriums zugezählt", eine Auszeichnung,
die man Herrn Sasonow nicht hatte zuteil werden lassen. Die Sphären, die
lange geschwankt hatten, hatten sich zur Tat entschlossen.

"Unser Sieg," so klagte Miljukow in der Duma, "war nur ein partieller.
Unsere Ziele erreichten wir nicht. Wir müssen das laut aussprechen. Wir
müssen sagen: Wir haben keine Hoffnung, daß die jetzigen unfähigen
Minister Rußland aus der schwierigen Lage herausbringen werden. Wir
müssen uns gestehen, daß sogar das minimale Ziel: die Befreiung vom Ein-


Rasputin

hinwegfegen, die, wie man glaubte, nur den lauteren Glanz des reinen Wollens
des russischen Volkes bedeckte. Laßt einmal diesen Glanz zum Vorschein kommen,
und er wird in strahlender Schönheit Rußland die Rettung bringen, setzt einmal
das freie russische Volk auf das von allen Fesseln erlöste Pferd und es wird
im Sturmlaufe alle inneren und äußeren Hemmnisse spielend überwinden.
Das Volk, so dachten und sprachen viele in Rußland, will den Sieg nach
außen und ordentliche Zustände im Innern, Ihr Stürmer, Protopopows und
Trepows, die Ihr ja doch nur gezogen und dirigiert werdet von jenen „dunkeln
Kräften", gegen die sich der Kampf des Volkes richtet, hindert uns daran.
Weg mit Euch und weg mit jenen Rasputins und Mardaris, gebt uns den
Weg frei! Die Debatten des Adelskongresses waren im wesentlichen von diesen
Gedanken erfüllt, die Reden, die dort gehalten wurden, bildeten eine einzige
große Anklage gegen den Mann, den man im geistlichen Ressort ungehinderte
Macht zuschrieb und der durch die hohe Geistlichkeit und seinen Einfluß bei Hofe
auch i» weltlichen Dingen herrsche. In der Resolution des Adelskongresses, die
dem Zaren unterbreitet wurde, heißt es wörtlich: „In der Staatsverwaltung
haben sich dem Gesetze fremde, unverantwortliche finstere Mächte eingenistet.
Diese Mächte unterwerfen ihrem Einfluß die Spitzen der Regierung und greifen
sogar in die kirchliche Verwaltung über." Der Reichsrat verlangte in seinem
mit erdrückender Majorität angenommenen Beschlusse ausdrücklich vor dem
ganzen Lande „die entschiedene Beseitigung der Beeinflussung der Staats¬
geschäfte durch verborgene, unverantwortliche Mächte". In jedem Zeitungs¬
artikel, in jeder politischen Rede finden wir diese stereotype Formel wieder.
Rußland ist auf der schiefen Ebene, die Regierung bewegt sich mit Macht
dorthin, wohin sie von den dunkeln Elementen gezogen wird.

Der Kampf begann. Man stürzte Stürmer, man versuchte mit aller Macht,
die dem Dumablock zur Verfügung stand, Protopopow zu stürzen, man setzte
alle Hebel in Bewegung, um das Trepowsche Ministerium ins Wanken zu
bringen. Mit welchem Ergebnis? Protopopow blieb. Er, gegen den sich die
ganze Duma gewandt hatte, wurde vom Zaren endgültig zum Minister ernannt;
der Erzbischof Pitirim, der mit Rasputin zusammen als Drahtzieher hinter den
Kulissen offen bezeichnet worden war, erhielt eine demonstrative Auszeichnung
vom Zaren; Stürmer, der des Vaterlandsverrates bezichtigt worden war, wurde
in oller Form und in allen Ehren nach seinem Abgang für alle Zeit „dem
Personalbestande des Auswärtigen Ministeriums zugezählt", eine Auszeichnung,
die man Herrn Sasonow nicht hatte zuteil werden lassen. Die Sphären, die
lange geschwankt hatten, hatten sich zur Tat entschlossen.

„Unser Sieg," so klagte Miljukow in der Duma, „war nur ein partieller.
Unsere Ziele erreichten wir nicht. Wir müssen das laut aussprechen. Wir
müssen sagen: Wir haben keine Hoffnung, daß die jetzigen unfähigen
Minister Rußland aus der schwierigen Lage herausbringen werden. Wir
müssen uns gestehen, daß sogar das minimale Ziel: die Befreiung vom Ein-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/110>, abgerufen am 23.07.2024.