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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Frankreich und die Gründung des Norddeutschen
Bundes
Zum halbhundertjÄhrigen Gedächtnis des präliminarfriedens von Nikolsburg,
25. Juli M<5
Dr. Rcirl Buchheim von

rankreich befindet sich heute im Niedergange seiner Macht, und
der gegenwärtige Krieg wird dazu beitragen, diese Entwicklung
zu beschleunigen. Es bat den Krieg auf jeden Fall verloren
allein schon durch die wachsende Abhängigkeit von England, selbst
wenn ihm ein Sieg über Deutschland noch möglich wäre. Denn
zweifellos haben die Franzosen losgeschlagen in der Hoffnung, die alte Macht¬
stellung ihres Staates zu erneuern: dieses Staates, der bis in die Zeiten des
großen Napoleon den Briten die Herrschaft über das Weltmeer streitig ge¬
macht, und selbst nachher wenigstens auf dem europäischen Kontinent eine
Vorrangstellung eingenommen hat. Uns Deutschen ist nicht immer gegenwärtig,
wie jung unsere Macht, auch nur unsere europäische Macht ist; daß die bis vor
fünfzig Jahren bestehende Ordnung des Deutschen Bundes ähnlich wie gewisse
Balkanstaaten unter der Garantie der europäischen Großmächte stand, daß also
Frankreich ebensogut wie Rußland oder England ein durch den Wiener
Kongreß verbrieftes Recht besaß, in deutschen Angelegenheiten mitzureden. Erst
durch die Gründung des Norddeutschen Bundes verlor Frankreich diese oft zu
unserem Schaden ausgenutzte innerdeutsche Position. Kurz darauf folgte die
nachdrückliche Belehrung, daß es auch im ganzen Bereiche des Kontinents nicht
mehr der Stärkste sei. Der Umschwung kam so schnell, daß die Franzosen
sich bis heute noch nicht mit seiner Unwiderruflichkeit abfinden wollten. Viel¬
leicht werden sie es im jetzigen Kriege lernen I Die Abschüttelung des französi¬
schen Einflusses in innerdeutschen Fragen ist neben dem Gewinn Schleswig-
Holsteins das größte diplomatische Meisterstück Bismarcks, dessen Früchte uns
kein Feind wieder entreißen soll. Und es lohnt sich zumal in den Zeiten des
Weltkrieges, die halbhundertjährigen Gedenktage seines Gelingens nicht ohne
einen dankbaren Rückblick vorübergehen zu lassen.

Erich Brandenburg, der Leipziger Historiker, mit dessen neuem Werke über
die "Reichsgründung" ich die Leser der "Grenzboten" bereits bekannt gemacht
habe (1916 Ur. 17), hat außerdem noch einen dicken Band "Untersuchungen
und Aktenstücke zur Geschichte der Reichsgründung" (Leipzig, Quelle und Meyer,




Frankreich und die Gründung des Norddeutschen
Bundes
Zum halbhundertjÄhrigen Gedächtnis des präliminarfriedens von Nikolsburg,
25. Juli M<5
Dr. Rcirl Buchheim von

rankreich befindet sich heute im Niedergange seiner Macht, und
der gegenwärtige Krieg wird dazu beitragen, diese Entwicklung
zu beschleunigen. Es bat den Krieg auf jeden Fall verloren
allein schon durch die wachsende Abhängigkeit von England, selbst
wenn ihm ein Sieg über Deutschland noch möglich wäre. Denn
zweifellos haben die Franzosen losgeschlagen in der Hoffnung, die alte Macht¬
stellung ihres Staates zu erneuern: dieses Staates, der bis in die Zeiten des
großen Napoleon den Briten die Herrschaft über das Weltmeer streitig ge¬
macht, und selbst nachher wenigstens auf dem europäischen Kontinent eine
Vorrangstellung eingenommen hat. Uns Deutschen ist nicht immer gegenwärtig,
wie jung unsere Macht, auch nur unsere europäische Macht ist; daß die bis vor
fünfzig Jahren bestehende Ordnung des Deutschen Bundes ähnlich wie gewisse
Balkanstaaten unter der Garantie der europäischen Großmächte stand, daß also
Frankreich ebensogut wie Rußland oder England ein durch den Wiener
Kongreß verbrieftes Recht besaß, in deutschen Angelegenheiten mitzureden. Erst
durch die Gründung des Norddeutschen Bundes verlor Frankreich diese oft zu
unserem Schaden ausgenutzte innerdeutsche Position. Kurz darauf folgte die
nachdrückliche Belehrung, daß es auch im ganzen Bereiche des Kontinents nicht
mehr der Stärkste sei. Der Umschwung kam so schnell, daß die Franzosen
sich bis heute noch nicht mit seiner Unwiderruflichkeit abfinden wollten. Viel¬
leicht werden sie es im jetzigen Kriege lernen I Die Abschüttelung des französi¬
schen Einflusses in innerdeutschen Fragen ist neben dem Gewinn Schleswig-
Holsteins das größte diplomatische Meisterstück Bismarcks, dessen Früchte uns
kein Feind wieder entreißen soll. Und es lohnt sich zumal in den Zeiten des
Weltkrieges, die halbhundertjährigen Gedenktage seines Gelingens nicht ohne
einen dankbaren Rückblick vorübergehen zu lassen.

Erich Brandenburg, der Leipziger Historiker, mit dessen neuem Werke über
die „Reichsgründung" ich die Leser der „Grenzboten" bereits bekannt gemacht
habe (1916 Ur. 17), hat außerdem noch einen dicken Band „Untersuchungen
und Aktenstücke zur Geschichte der Reichsgründung" (Leipzig, Quelle und Meyer,


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[0086] [Abbildung] Frankreich und die Gründung des Norddeutschen Bundes Zum halbhundertjÄhrigen Gedächtnis des präliminarfriedens von Nikolsburg, 25. Juli M<5 Dr. Rcirl Buchheim von rankreich befindet sich heute im Niedergange seiner Macht, und der gegenwärtige Krieg wird dazu beitragen, diese Entwicklung zu beschleunigen. Es bat den Krieg auf jeden Fall verloren allein schon durch die wachsende Abhängigkeit von England, selbst wenn ihm ein Sieg über Deutschland noch möglich wäre. Denn zweifellos haben die Franzosen losgeschlagen in der Hoffnung, die alte Macht¬ stellung ihres Staates zu erneuern: dieses Staates, der bis in die Zeiten des großen Napoleon den Briten die Herrschaft über das Weltmeer streitig ge¬ macht, und selbst nachher wenigstens auf dem europäischen Kontinent eine Vorrangstellung eingenommen hat. Uns Deutschen ist nicht immer gegenwärtig, wie jung unsere Macht, auch nur unsere europäische Macht ist; daß die bis vor fünfzig Jahren bestehende Ordnung des Deutschen Bundes ähnlich wie gewisse Balkanstaaten unter der Garantie der europäischen Großmächte stand, daß also Frankreich ebensogut wie Rußland oder England ein durch den Wiener Kongreß verbrieftes Recht besaß, in deutschen Angelegenheiten mitzureden. Erst durch die Gründung des Norddeutschen Bundes verlor Frankreich diese oft zu unserem Schaden ausgenutzte innerdeutsche Position. Kurz darauf folgte die nachdrückliche Belehrung, daß es auch im ganzen Bereiche des Kontinents nicht mehr der Stärkste sei. Der Umschwung kam so schnell, daß die Franzosen sich bis heute noch nicht mit seiner Unwiderruflichkeit abfinden wollten. Viel¬ leicht werden sie es im jetzigen Kriege lernen I Die Abschüttelung des französi¬ schen Einflusses in innerdeutschen Fragen ist neben dem Gewinn Schleswig- Holsteins das größte diplomatische Meisterstück Bismarcks, dessen Früchte uns kein Feind wieder entreißen soll. Und es lohnt sich zumal in den Zeiten des Weltkrieges, die halbhundertjährigen Gedenktage seines Gelingens nicht ohne einen dankbaren Rückblick vorübergehen zu lassen. Erich Brandenburg, der Leipziger Historiker, mit dessen neuem Werke über die „Reichsgründung" ich die Leser der „Grenzboten" bereits bekannt gemacht habe (1916 Ur. 17), hat außerdem noch einen dicken Band „Untersuchungen und Aktenstücke zur Geschichte der Reichsgründung" (Leipzig, Quelle und Meyer,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/86>, abgerufen am 22.07.2024.