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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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vom Arieg zum inneren Frieden

Konservativen trotzdem sich keinesfalls versagen. Ziele der Reform dürften sein:
Die Anerkennung der Gewerkschaften als berufene Vertretung der Arbeiterschaft.
Erwägungen über die Vergesellschaftung der Produktionsmittel im Sinne einer
weiteren Ausbildung gemeinwirtschaftlicher Grundsätze. Regelung des Arbeits-
Nachweises für Gewerbe und Landwirtschaft, ein einheitliches Arbeitsrecht, die
Umwandlung der unfruchtbaren revolutionären Arbeiterbewegung in eine frucht¬
bare Reformpartet, überhaupt die Begünstigung sozialer Fortschritte.

Die gleiche Zurückhaltung übt der freikonservative Herr v. Dewitz. Zu
einer Demokratisierung des Verfassungslebens will er keinesfalls die Hand bieten,
für die Lösung der sozialen Probleme aber sein Können einsetzen. Auf diesem
Wege werde dem inneren Frieden ein bedeutsames Unterpfand geboten, wobei
vorausgesetzt werde, daß die freien Gewerkschaften auf ihrer erfreulich bekundeten
nationalen Gesinnung beharren und die Autorität des Staates voll anerkennen.

Für das "gegenseitige Verstehen" scheint uns mit diesen konservativen
Bemerkungen wenig getan zu sein. Der nationalliberale Prinz Schönaich-Carolath
wünscht zwar eine Umgestaltung des preußischen Wahlrechts, hält aber mit
positiven Zielen sonst wohlweislich zurück. Ebenso sieht Dr. Friedrich Naumann
w seiner gedankenreichen Abhandlung über "Die Volksvertretung im Kriege"
davon ab, programmatische Wünsche oder Hoffnungen für die Zeit nach dem
Kriege geltend zu machen. Das erscheint ihm als ein müßiges Herumraten,
während unser ganzes Denken und Trachten einzig auf das eine Ziel: Sieg!
gerichtet sein muß.

An diesen Probestücken aus dem politischen Kapitel des Thimmeschen
Buches müssen wir uns genügen lassen. Die Schwächen des Buches werden
offenbar, wo nach positiven Zielpunkten gehascht wird, weil wir diese angesichts
des blutigen Ernstes der Gegenwart nicht fest ins Auge fassen können. Können
stilvolle Reden über den Friedensgeist diesen heranholen, so müßte er eigentlich
schon da sein. Ist er noch nicht vorhanden, so wird er hoffentlich mit dem
Geläut der Friedensglocken herannahen. Jetzt regiert noch Mars die Stunde
und hat wenig Verständnis für sentimentale Friedenslnrik.




vom Arieg zum inneren Frieden

Konservativen trotzdem sich keinesfalls versagen. Ziele der Reform dürften sein:
Die Anerkennung der Gewerkschaften als berufene Vertretung der Arbeiterschaft.
Erwägungen über die Vergesellschaftung der Produktionsmittel im Sinne einer
weiteren Ausbildung gemeinwirtschaftlicher Grundsätze. Regelung des Arbeits-
Nachweises für Gewerbe und Landwirtschaft, ein einheitliches Arbeitsrecht, die
Umwandlung der unfruchtbaren revolutionären Arbeiterbewegung in eine frucht¬
bare Reformpartet, überhaupt die Begünstigung sozialer Fortschritte.

Die gleiche Zurückhaltung übt der freikonservative Herr v. Dewitz. Zu
einer Demokratisierung des Verfassungslebens will er keinesfalls die Hand bieten,
für die Lösung der sozialen Probleme aber sein Können einsetzen. Auf diesem
Wege werde dem inneren Frieden ein bedeutsames Unterpfand geboten, wobei
vorausgesetzt werde, daß die freien Gewerkschaften auf ihrer erfreulich bekundeten
nationalen Gesinnung beharren und die Autorität des Staates voll anerkennen.

Für das „gegenseitige Verstehen" scheint uns mit diesen konservativen
Bemerkungen wenig getan zu sein. Der nationalliberale Prinz Schönaich-Carolath
wünscht zwar eine Umgestaltung des preußischen Wahlrechts, hält aber mit
positiven Zielen sonst wohlweislich zurück. Ebenso sieht Dr. Friedrich Naumann
w seiner gedankenreichen Abhandlung über „Die Volksvertretung im Kriege"
davon ab, programmatische Wünsche oder Hoffnungen für die Zeit nach dem
Kriege geltend zu machen. Das erscheint ihm als ein müßiges Herumraten,
während unser ganzes Denken und Trachten einzig auf das eine Ziel: Sieg!
gerichtet sein muß.

An diesen Probestücken aus dem politischen Kapitel des Thimmeschen
Buches müssen wir uns genügen lassen. Die Schwächen des Buches werden
offenbar, wo nach positiven Zielpunkten gehascht wird, weil wir diese angesichts
des blutigen Ernstes der Gegenwart nicht fest ins Auge fassen können. Können
stilvolle Reden über den Friedensgeist diesen heranholen, so müßte er eigentlich
schon da sein. Ist er noch nicht vorhanden, so wird er hoffentlich mit dem
Geläut der Friedensglocken herannahen. Jetzt regiert noch Mars die Stunde
und hat wenig Verständnis für sentimentale Friedenslnrik.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/85>, abgerufen am 25.08.2024.