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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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skandinavismus
Dr. Elfe Lzildcbrandt von

as neunzehnte Jahrhundert steht -- es ist bereits ein volkstüm¬
licher Gedanke -- im Zeichen der Konsolidierung großer Staats¬
und Völkergruppen. Der Einzelstaat strebt auch im Frieden nach
Bundesgenossen, die seine politischen und wirtschaftlichen Ziele
erweitern und unterstützen.

Ist die Kopenhagener Konferenz, zu der die Regierungsvertreter der drei
skandinavischen Staaten über Fragen der auswärtigen Politik wieder zusammen¬
traten, ein Ausfluß dieser großen Entwicklung?

Das Streben nach einem Zusammenwirken Schwedens, Norwegens und
Dänemarks, eine Bewegung, die man mit dem Namen "Skandinavismus" be¬
zeichnet, ergibt sich mit natürlicher Notwendigkeit aus der engen Stammesver¬
wandtschaft der drei nordischen Staaten, der benachbarten geographischen Lage,
ihrer geschichtlichen Entwicklung und der Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten in
vielen ihrer sozialen, politischen und sonstigen kulturellen Verhältnisse. Und so
nimmt es nicht wunder, daß wir die Wurzeln des Skandinavismus bis weit zurück
ins Mittelalter verfolgen können, als Margaretha in der Kalmarischen Union
1397 die drei Reiche unter ihrem Szepter vereinigte.

In dieser Zeit ging der "Skandinavismus" von Dänemark aus wie bei
seiner Wiedererweckung im Anfang und in der Mitte des neunzehnten Jahr¬
hunderts.

Der freie schwedische Bauernstand, der die Geschicke der alten Landgemeinden
bis zum Erlaß des Reichsgesetzes 1350 selbständig geleitet hatte, trug ungern
das dänische Joch. Er haßte die dänischen Vögte noch mehr als den schwedischen
Adel, der im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert an Bedeutung gewonnen
hatte. Aber der Aufstand der Bauern Datames 1434 verhütete nicht nur das
Aufkommen eines Feudalismus in Schweden, fondern mit ihm erwachte auch
wieder unter dem heldenhaften Bauernführer Engelbrekt das schwedische National¬
bewußtsein, sodaß auch in der Unionszeit die schwedischen Reichsverweser den
dänischen Königen die Spitze zu bieten wagten.

Seit Auflösung der Union machte sich Schweden immer unabhängiger von
dem Nachbarlande Dänemark. Im dänischen Kriege gelang es Schweden 1658,
sein Territorium zu erweitern und seine Landesgrenzen bis zum Meere vor¬
zuschieben, indem es im Roskilder Frieden die drei südlichen Provinzen des




skandinavismus
Dr. Elfe Lzildcbrandt von

as neunzehnte Jahrhundert steht — es ist bereits ein volkstüm¬
licher Gedanke — im Zeichen der Konsolidierung großer Staats¬
und Völkergruppen. Der Einzelstaat strebt auch im Frieden nach
Bundesgenossen, die seine politischen und wirtschaftlichen Ziele
erweitern und unterstützen.

Ist die Kopenhagener Konferenz, zu der die Regierungsvertreter der drei
skandinavischen Staaten über Fragen der auswärtigen Politik wieder zusammen¬
traten, ein Ausfluß dieser großen Entwicklung?

Das Streben nach einem Zusammenwirken Schwedens, Norwegens und
Dänemarks, eine Bewegung, die man mit dem Namen „Skandinavismus" be¬
zeichnet, ergibt sich mit natürlicher Notwendigkeit aus der engen Stammesver¬
wandtschaft der drei nordischen Staaten, der benachbarten geographischen Lage,
ihrer geschichtlichen Entwicklung und der Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten in
vielen ihrer sozialen, politischen und sonstigen kulturellen Verhältnisse. Und so
nimmt es nicht wunder, daß wir die Wurzeln des Skandinavismus bis weit zurück
ins Mittelalter verfolgen können, als Margaretha in der Kalmarischen Union
1397 die drei Reiche unter ihrem Szepter vereinigte.

In dieser Zeit ging der „Skandinavismus" von Dänemark aus wie bei
seiner Wiedererweckung im Anfang und in der Mitte des neunzehnten Jahr¬
hunderts.

Der freie schwedische Bauernstand, der die Geschicke der alten Landgemeinden
bis zum Erlaß des Reichsgesetzes 1350 selbständig geleitet hatte, trug ungern
das dänische Joch. Er haßte die dänischen Vögte noch mehr als den schwedischen
Adel, der im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert an Bedeutung gewonnen
hatte. Aber der Aufstand der Bauern Datames 1434 verhütete nicht nur das
Aufkommen eines Feudalismus in Schweden, fondern mit ihm erwachte auch
wieder unter dem heldenhaften Bauernführer Engelbrekt das schwedische National¬
bewußtsein, sodaß auch in der Unionszeit die schwedischen Reichsverweser den
dänischen Königen die Spitze zu bieten wagten.

Seit Auflösung der Union machte sich Schweden immer unabhängiger von
dem Nachbarlande Dänemark. Im dänischen Kriege gelang es Schweden 1658,
sein Territorium zu erweitern und seine Landesgrenzen bis zum Meere vor¬
zuschieben, indem es im Roskilder Frieden die drei südlichen Provinzen des


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[0092] [Abbildung] skandinavismus Dr. Elfe Lzildcbrandt von as neunzehnte Jahrhundert steht — es ist bereits ein volkstüm¬ licher Gedanke — im Zeichen der Konsolidierung großer Staats¬ und Völkergruppen. Der Einzelstaat strebt auch im Frieden nach Bundesgenossen, die seine politischen und wirtschaftlichen Ziele erweitern und unterstützen. Ist die Kopenhagener Konferenz, zu der die Regierungsvertreter der drei skandinavischen Staaten über Fragen der auswärtigen Politik wieder zusammen¬ traten, ein Ausfluß dieser großen Entwicklung? Das Streben nach einem Zusammenwirken Schwedens, Norwegens und Dänemarks, eine Bewegung, die man mit dem Namen „Skandinavismus" be¬ zeichnet, ergibt sich mit natürlicher Notwendigkeit aus der engen Stammesver¬ wandtschaft der drei nordischen Staaten, der benachbarten geographischen Lage, ihrer geschichtlichen Entwicklung und der Ähnlichkeiten und Gemeinsamkeiten in vielen ihrer sozialen, politischen und sonstigen kulturellen Verhältnisse. Und so nimmt es nicht wunder, daß wir die Wurzeln des Skandinavismus bis weit zurück ins Mittelalter verfolgen können, als Margaretha in der Kalmarischen Union 1397 die drei Reiche unter ihrem Szepter vereinigte. In dieser Zeit ging der „Skandinavismus" von Dänemark aus wie bei seiner Wiedererweckung im Anfang und in der Mitte des neunzehnten Jahr¬ hunderts. Der freie schwedische Bauernstand, der die Geschicke der alten Landgemeinden bis zum Erlaß des Reichsgesetzes 1350 selbständig geleitet hatte, trug ungern das dänische Joch. Er haßte die dänischen Vögte noch mehr als den schwedischen Adel, der im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert an Bedeutung gewonnen hatte. Aber der Aufstand der Bauern Datames 1434 verhütete nicht nur das Aufkommen eines Feudalismus in Schweden, fondern mit ihm erwachte auch wieder unter dem heldenhaften Bauernführer Engelbrekt das schwedische National¬ bewußtsein, sodaß auch in der Unionszeit die schwedischen Reichsverweser den dänischen Königen die Spitze zu bieten wagten. Seit Auflösung der Union machte sich Schweden immer unabhängiger von dem Nachbarlande Dänemark. Im dänischen Kriege gelang es Schweden 1658, sein Territorium zu erweitern und seine Landesgrenzen bis zum Meere vor¬ zuschieben, indem es im Roskilder Frieden die drei südlichen Provinzen des

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/92>, abgerufen am 27.07.2024.