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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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irgend welchen Menschrankcs, gar nach jeder Sitzung in der Tasche sämtliche
Papiere nach Hause tragen und gleicherweise wieder zur nächsten Versammlung
zurückbringen mußte.

Dies sind Kleinigkeiten, aber für den ganzen Arbeit§gang typisch und sie
hatten das Ergebnis, daß die jungen und tüchtigen Kräfte keine Freude an
ihrer Wirksamkeit haben konnten. Wie im Kleinen machte sich leider ja auch
im Großen der Mangel jeder Organisierung bemerkbar. Wie der erste Staats-
sekretär keinen Schreiber erlangen konnte und sich beispielsweise gezwungen sah,
das Rundschreiben, in dem der Fürst den übrigen Staatshäuptern seinen Re¬
gierungsantritt mitteilte, eigenhändig nicht nur zu verfassen -- was seines
Amtes war --. sondern auch einige zwanzig Mal abzuschreiben, so stockte über¬
haupt jede Unternehmung am Mangel an Arbeitseinteilung und System, und
es griff schon sehr bald in weiten Kreisen die Überzeugung Platz, daß man
sich nicht auf guter Bahn befand.

Da in Albanien die breite Mehrheit und auch die in den Städten die öffent¬
liche Meinung beherrschende Mittelklasse zu ungebildet ist, um Ursache und
Wirkung richtig zu unterscheiden und nach ihrem Wert einzuschätzen, sucht man
sich in solchem Falle eine Persönlichkeit, der dann mit größter Gemütsruhe alles
zur Last gelegt wird, was Mißliches und Schädliches geschieht.

Dieser Sündenbock war schließlich in Durazzo Essad.

Er war gewiß ein Hemmnis; er war, vielleicht halb unbewußt, ein
Werkzeug für italienische Pläne und Absichten -- und der Plan und die Absicht
Italiens war sicher nicht, Albaniens Entwicklung zu fördern, sondern überall
dem österreichischen Einfluß und den österreichischen Interessen entgegenzutreten.
Die öffentliche Meinung schob Essad aber schließlich jeden Fehlschlag, jedes
Mißgeschick, jeden Irrtum in die Schuhe.

Unter diesen Umständen war es besonders von Nachteil, daß der Fürst
in der ersten Zeit fast nur in Essads Begleitung gesehen wurde. Man glaubte
ihn deshalb ganz unter Essads Einfluß und der Haß gegen Essad, der namentlich
unter den Süd- und Nordalbauern, unter denen das Haus Toptan niemals
Stimme und Gewicht hatte, täglich um sich griff, hätte darum leicht auch in
einen Haß gegen Fürst Wilhelm umschlagen können. Um also den Fürsten
von der öffentlichen Unbeliebtheit zu trennen, der Essad mehr und mehr anheim¬
gefallen ist, waren in jenen Tagen auch sehr gemäßigte und wirklich landes-
kundige Persönlichkeiten der Ansicht, daß in den Gunstbezeugungen gegen Essad
etwas mehr Maß gehalten werden solle. Wie aber alles durch ein Verhängnis
Albanien zum Unheil diente, so auch diese an sich berechtigte Warnung.
Der landesunkundigen Umgebung des Fürsten, dem Holländer Major Sluys.
nämlich schien sie eine Bestätigung von Verdächtigungen zu sein, die ihm stündlich
von berufsmäßigen Hetzern eingeflüstert wurden und die Essad des direkten
Verrates beschuldigt haben. -- (Schluß folgt)




irgend welchen Menschrankcs, gar nach jeder Sitzung in der Tasche sämtliche
Papiere nach Hause tragen und gleicherweise wieder zur nächsten Versammlung
zurückbringen mußte.

Dies sind Kleinigkeiten, aber für den ganzen Arbeit§gang typisch und sie
hatten das Ergebnis, daß die jungen und tüchtigen Kräfte keine Freude an
ihrer Wirksamkeit haben konnten. Wie im Kleinen machte sich leider ja auch
im Großen der Mangel jeder Organisierung bemerkbar. Wie der erste Staats-
sekretär keinen Schreiber erlangen konnte und sich beispielsweise gezwungen sah,
das Rundschreiben, in dem der Fürst den übrigen Staatshäuptern seinen Re¬
gierungsantritt mitteilte, eigenhändig nicht nur zu verfassen — was seines
Amtes war —. sondern auch einige zwanzig Mal abzuschreiben, so stockte über¬
haupt jede Unternehmung am Mangel an Arbeitseinteilung und System, und
es griff schon sehr bald in weiten Kreisen die Überzeugung Platz, daß man
sich nicht auf guter Bahn befand.

Da in Albanien die breite Mehrheit und auch die in den Städten die öffent¬
liche Meinung beherrschende Mittelklasse zu ungebildet ist, um Ursache und
Wirkung richtig zu unterscheiden und nach ihrem Wert einzuschätzen, sucht man
sich in solchem Falle eine Persönlichkeit, der dann mit größter Gemütsruhe alles
zur Last gelegt wird, was Mißliches und Schädliches geschieht.

Dieser Sündenbock war schließlich in Durazzo Essad.

Er war gewiß ein Hemmnis; er war, vielleicht halb unbewußt, ein
Werkzeug für italienische Pläne und Absichten — und der Plan und die Absicht
Italiens war sicher nicht, Albaniens Entwicklung zu fördern, sondern überall
dem österreichischen Einfluß und den österreichischen Interessen entgegenzutreten.
Die öffentliche Meinung schob Essad aber schließlich jeden Fehlschlag, jedes
Mißgeschick, jeden Irrtum in die Schuhe.

Unter diesen Umständen war es besonders von Nachteil, daß der Fürst
in der ersten Zeit fast nur in Essads Begleitung gesehen wurde. Man glaubte
ihn deshalb ganz unter Essads Einfluß und der Haß gegen Essad, der namentlich
unter den Süd- und Nordalbauern, unter denen das Haus Toptan niemals
Stimme und Gewicht hatte, täglich um sich griff, hätte darum leicht auch in
einen Haß gegen Fürst Wilhelm umschlagen können. Um also den Fürsten
von der öffentlichen Unbeliebtheit zu trennen, der Essad mehr und mehr anheim¬
gefallen ist, waren in jenen Tagen auch sehr gemäßigte und wirklich landes-
kundige Persönlichkeiten der Ansicht, daß in den Gunstbezeugungen gegen Essad
etwas mehr Maß gehalten werden solle. Wie aber alles durch ein Verhängnis
Albanien zum Unheil diente, so auch diese an sich berechtigte Warnung.
Der landesunkundigen Umgebung des Fürsten, dem Holländer Major Sluys.
nämlich schien sie eine Bestätigung von Verdächtigungen zu sein, die ihm stündlich
von berufsmäßigen Hetzern eingeflüstert wurden und die Essad des direkten
Verrates beschuldigt haben. — (Schluß folgt)




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/91>, abgerufen am 22.12.2024.