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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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politische Probleme des Weltkrieges


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^M6^^es möchte die deutschen Leser auf ein schwedisches'Buch auf¬
merksam machen, das zweifellos zu den beachtenswertesten
Erscheinungen der Kriegsliteratur gehört. Es handelt sich um
Kjellens "Politische Probleme des Weltkrieges", das von
Il)r. Friedrich Stieoe vorzüglich übersetzt ist. (Verlag von
B. G. Teubner, Leipzig). Sein Verfasser ist uns kein Fremder, wir kennen
ihn als den bedeutenden Interpreten der "Ideen von 1914", und als den
Verfasser der "Großmächte der Gegenwart".

Es ist ein Vorteil für das Buch, daß es ein Neutraler geschrieben hat,
und zwar der Vertreter eines Volkes, das vorläufig wenigstens dem Kriegs¬
getriebe sich materiell und geistig am fernsten gehalten hat. Denn Schweden
ist derjenige Staat, wo die "Neutralität" in dem wirklich vornehmsten Sinne
des Wortes durchgeführt worden ist. Und Schweden hat Deutschland
gegenüber weder stille Befürchtungen noch stille Hoffnungen, noch braucht es zu
fürchten, daß vielleicht durch feine geistige Haltung im Kriege seinem eignen
Selbst innere Gefahren drohen. Nur von Denkern eines solchen Staates
kann ein wirklich zutreffendes Urteil über die großen Probleme, die dieses
Weltringen herbeigeführt haben und die ihm zu Grunde liegen, gefällt werden.
Wir Kriegführende selbst sind vorläufig nicht fähig dazu, wenngleich der Deutsche
noch am ehesten das Recht für sich in Anspruch nehmen darf, sich über den
Bereich seines eignen Kirchturmhorizonts zu erheben. Wir wollen dieser letzten
Tatsache, die wohl unzweifelhaft ist, die bei uns aber nicht etwa einem Fremden¬
snobismus entspringt (der ist bei gewissen künstlerischen Kreisen in der Gegend
des Kurfürstendammes zu finden) uns zwar zur Ehre anrechnen, aber zu
gleicher Zeit so einsichtsvoll und bescheiden sein zu sagen, daß wir als militärisch
stärkster und am besten dastehender Staat uns einen solchen Luxus leisten
können. Bei den Franzosen, wo das Bewußtsein der bisherigen Niederlagen
in Haß und schäumende unwürdige Wut zum Ausdruck gebracht wurde, sehen
wir das umgekehrte Bild. In England sind immerhin für deutsche Ideale
und Gedanken anerkennende Urteile zu Worte gekommen (vgl. den Kilianischen
Aufsatz in den "Grenzboten" Heft 7 v. 1915), allerdings selten und dann unter
dem entweder arroganten oder herablassenden britischen Gesichtswinkel des
Weltherrschertums. Beides ist uns gleich unerträglich.




politische Probleme des Weltkrieges


AM/H
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^M6^^es möchte die deutschen Leser auf ein schwedisches'Buch auf¬
merksam machen, das zweifellos zu den beachtenswertesten
Erscheinungen der Kriegsliteratur gehört. Es handelt sich um
Kjellens „Politische Probleme des Weltkrieges", das von
Il)r. Friedrich Stieoe vorzüglich übersetzt ist. (Verlag von
B. G. Teubner, Leipzig). Sein Verfasser ist uns kein Fremder, wir kennen
ihn als den bedeutenden Interpreten der „Ideen von 1914", und als den
Verfasser der „Großmächte der Gegenwart".

Es ist ein Vorteil für das Buch, daß es ein Neutraler geschrieben hat,
und zwar der Vertreter eines Volkes, das vorläufig wenigstens dem Kriegs¬
getriebe sich materiell und geistig am fernsten gehalten hat. Denn Schweden
ist derjenige Staat, wo die „Neutralität" in dem wirklich vornehmsten Sinne
des Wortes durchgeführt worden ist. Und Schweden hat Deutschland
gegenüber weder stille Befürchtungen noch stille Hoffnungen, noch braucht es zu
fürchten, daß vielleicht durch feine geistige Haltung im Kriege seinem eignen
Selbst innere Gefahren drohen. Nur von Denkern eines solchen Staates
kann ein wirklich zutreffendes Urteil über die großen Probleme, die dieses
Weltringen herbeigeführt haben und die ihm zu Grunde liegen, gefällt werden.
Wir Kriegführende selbst sind vorläufig nicht fähig dazu, wenngleich der Deutsche
noch am ehesten das Recht für sich in Anspruch nehmen darf, sich über den
Bereich seines eignen Kirchturmhorizonts zu erheben. Wir wollen dieser letzten
Tatsache, die wohl unzweifelhaft ist, die bei uns aber nicht etwa einem Fremden¬
snobismus entspringt (der ist bei gewissen künstlerischen Kreisen in der Gegend
des Kurfürstendammes zu finden) uns zwar zur Ehre anrechnen, aber zu
gleicher Zeit so einsichtsvoll und bescheiden sein zu sagen, daß wir als militärisch
stärkster und am besten dastehender Staat uns einen solchen Luxus leisten
können. Bei den Franzosen, wo das Bewußtsein der bisherigen Niederlagen
in Haß und schäumende unwürdige Wut zum Ausdruck gebracht wurde, sehen
wir das umgekehrte Bild. In England sind immerhin für deutsche Ideale
und Gedanken anerkennende Urteile zu Worte gekommen (vgl. den Kilianischen
Aufsatz in den „Grenzboten" Heft 7 v. 1915), allerdings selten und dann unter
dem entweder arroganten oder herablassenden britischen Gesichtswinkel des
Weltherrschertums. Beides ist uns gleich unerträglich.


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[0417] [Abbildung] politische Probleme des Weltkrieges Wß AM/H ^^M^M ^M6^^es möchte die deutschen Leser auf ein schwedisches'Buch auf¬ merksam machen, das zweifellos zu den beachtenswertesten Erscheinungen der Kriegsliteratur gehört. Es handelt sich um Kjellens „Politische Probleme des Weltkrieges", das von Il)r. Friedrich Stieoe vorzüglich übersetzt ist. (Verlag von B. G. Teubner, Leipzig). Sein Verfasser ist uns kein Fremder, wir kennen ihn als den bedeutenden Interpreten der „Ideen von 1914", und als den Verfasser der „Großmächte der Gegenwart". Es ist ein Vorteil für das Buch, daß es ein Neutraler geschrieben hat, und zwar der Vertreter eines Volkes, das vorläufig wenigstens dem Kriegs¬ getriebe sich materiell und geistig am fernsten gehalten hat. Denn Schweden ist derjenige Staat, wo die „Neutralität" in dem wirklich vornehmsten Sinne des Wortes durchgeführt worden ist. Und Schweden hat Deutschland gegenüber weder stille Befürchtungen noch stille Hoffnungen, noch braucht es zu fürchten, daß vielleicht durch feine geistige Haltung im Kriege seinem eignen Selbst innere Gefahren drohen. Nur von Denkern eines solchen Staates kann ein wirklich zutreffendes Urteil über die großen Probleme, die dieses Weltringen herbeigeführt haben und die ihm zu Grunde liegen, gefällt werden. Wir Kriegführende selbst sind vorläufig nicht fähig dazu, wenngleich der Deutsche noch am ehesten das Recht für sich in Anspruch nehmen darf, sich über den Bereich seines eignen Kirchturmhorizonts zu erheben. Wir wollen dieser letzten Tatsache, die wohl unzweifelhaft ist, die bei uns aber nicht etwa einem Fremden¬ snobismus entspringt (der ist bei gewissen künstlerischen Kreisen in der Gegend des Kurfürstendammes zu finden) uns zwar zur Ehre anrechnen, aber zu gleicher Zeit so einsichtsvoll und bescheiden sein zu sagen, daß wir als militärisch stärkster und am besten dastehender Staat uns einen solchen Luxus leisten können. Bei den Franzosen, wo das Bewußtsein der bisherigen Niederlagen in Haß und schäumende unwürdige Wut zum Ausdruck gebracht wurde, sehen wir das umgekehrte Bild. In England sind immerhin für deutsche Ideale und Gedanken anerkennende Urteile zu Worte gekommen (vgl. den Kilianischen Aufsatz in den „Grenzboten" Heft 7 v. 1915), allerdings selten und dann unter dem entweder arroganten oder herablassenden britischen Gesichtswinkel des Weltherrschertums. Beides ist uns gleich unerträglich.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/417>, abgerufen am 27.07.2024.