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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr.

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Nordische Volksmärchen
Professor or, Robert petsch von

n unseren gegenwärtigen Bemühungen um eine Kultur von
nationalem Gepräge dürfen wir die Hilfe der Volkskunde nicht
unterschätzen: sie führt uns in verhältnismäßig ursprüngliche und
unmittelbare Äußerungen unseres Volksgeistes ein und ver¬
mittelt uns weiterhin das kräftige Bewußtsein unseres Kultur-
zusammenhanges mit anderen Völkern germanischen Stammes, die ihre ur¬
sprüngliche Art noch treuer und reiner haben wahren können, als wir es bei
unserer Lage inmitten Europas vermochten. In diesem Sinne nennt Jakob
Grimm den skandinavischen Norden einen "klassischen Boden für den, der dem
deutschen Altertum zugewandt ist", und in diesem Sinne begrüßen auch wir
die beiden schönen Bände "Nordische Volksmärchen", die der Diedenchssche
Verlag in Jena soeben seiner verdienstlichen Sammlung "Märchen der Welt¬
literatur" eingefügt hat. Sie bringen Erzählungen mannigfacher Art (denn
außer den Märchen finden wir auch Schwänke und Sagen) aus Dänemark,
Schweden und Norwegen, nur leider nicht aus Island, wo der Quell volks¬
tümlicher Überlieferung so reichlich sprudelt. Immerhin ist es der Übersetzerin,
Fräulein Dr. Klara Stwebe, gelungen, auf verhältnismäßig knappen Raum
ein farbensattes Bild der erzählenden Volksliteratur des Nordens mit ihrem
mannigfachen Inhalt und vor allem mit ihrer eigentümlichen Stimmung und
ihrer stilistischen Eigenart zu geben, soweit eine Übersetzung das vermitteln kann.*)
Gerade das Märchen hat im Norden von altersher liebevolle Pflege ge¬
funden. Die dänische Geschichte des Saxo Grammaticus**) wie die Götter¬
sagen der Edda***) sind voll von märchenhaften Zügen und beweisen, wie
frühe die Nordländer mit den Erzählungsschätzen ihrer Nachbarn, und durch
deren Vermittlung mit kostbarem Gut aus der Ferne vertraut geworden sind.





*) Ki. Stroeve hat auch wissenschaftliche Einleitungen und Anmerkungen gegeben.
Letztere sollen einiges über Eigenart und Verbreitung der einzelnen Märchen geben, bleiben
aber hinter dem zurück, was in anderen Bänden der Diederichsschen Sammlung, vor allem
in den neulich hier besprochenen "Balkanmärchen" geleistet ist. (Vergl. Heft 1 dieses
Jahrgangs). Die Verf. hätte sich am besten auf ganz knappe Hinweise auf die üblichen
Nachschlagewerke beschränkt.
**) Vergl. A. Olrik, Märchen des Ssxo Qrammaticus. Zeitschrift des Vereins für
Volkskunde, Bd. II.
***) Vergl. F. v. d. Leyen, Das Märchen in den Göttersagen der Edda, Berlin 1889


Nordische Volksmärchen
Professor or, Robert petsch von

n unseren gegenwärtigen Bemühungen um eine Kultur von
nationalem Gepräge dürfen wir die Hilfe der Volkskunde nicht
unterschätzen: sie führt uns in verhältnismäßig ursprüngliche und
unmittelbare Äußerungen unseres Volksgeistes ein und ver¬
mittelt uns weiterhin das kräftige Bewußtsein unseres Kultur-
zusammenhanges mit anderen Völkern germanischen Stammes, die ihre ur¬
sprüngliche Art noch treuer und reiner haben wahren können, als wir es bei
unserer Lage inmitten Europas vermochten. In diesem Sinne nennt Jakob
Grimm den skandinavischen Norden einen „klassischen Boden für den, der dem
deutschen Altertum zugewandt ist", und in diesem Sinne begrüßen auch wir
die beiden schönen Bände „Nordische Volksmärchen", die der Diedenchssche
Verlag in Jena soeben seiner verdienstlichen Sammlung „Märchen der Welt¬
literatur" eingefügt hat. Sie bringen Erzählungen mannigfacher Art (denn
außer den Märchen finden wir auch Schwänke und Sagen) aus Dänemark,
Schweden und Norwegen, nur leider nicht aus Island, wo der Quell volks¬
tümlicher Überlieferung so reichlich sprudelt. Immerhin ist es der Übersetzerin,
Fräulein Dr. Klara Stwebe, gelungen, auf verhältnismäßig knappen Raum
ein farbensattes Bild der erzählenden Volksliteratur des Nordens mit ihrem
mannigfachen Inhalt und vor allem mit ihrer eigentümlichen Stimmung und
ihrer stilistischen Eigenart zu geben, soweit eine Übersetzung das vermitteln kann.*)
Gerade das Märchen hat im Norden von altersher liebevolle Pflege ge¬
funden. Die dänische Geschichte des Saxo Grammaticus**) wie die Götter¬
sagen der Edda***) sind voll von märchenhaften Zügen und beweisen, wie
frühe die Nordländer mit den Erzählungsschätzen ihrer Nachbarn, und durch
deren Vermittlung mit kostbarem Gut aus der Ferne vertraut geworden sind.





*) Ki. Stroeve hat auch wissenschaftliche Einleitungen und Anmerkungen gegeben.
Letztere sollen einiges über Eigenart und Verbreitung der einzelnen Märchen geben, bleiben
aber hinter dem zurück, was in anderen Bänden der Diederichsschen Sammlung, vor allem
in den neulich hier besprochenen „Balkanmärchen" geleistet ist. (Vergl. Heft 1 dieses
Jahrgangs). Die Verf. hätte sich am besten auf ganz knappe Hinweise auf die üblichen
Nachschlagewerke beschränkt.
**) Vergl. A. Olrik, Märchen des Ssxo Qrammaticus. Zeitschrift des Vereins für
Volkskunde, Bd. II.
***) Vergl. F. v. d. Leyen, Das Märchen in den Göttersagen der Edda, Berlin 1889
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[0039] [Abbildung] Nordische Volksmärchen Professor or, Robert petsch von n unseren gegenwärtigen Bemühungen um eine Kultur von nationalem Gepräge dürfen wir die Hilfe der Volkskunde nicht unterschätzen: sie führt uns in verhältnismäßig ursprüngliche und unmittelbare Äußerungen unseres Volksgeistes ein und ver¬ mittelt uns weiterhin das kräftige Bewußtsein unseres Kultur- zusammenhanges mit anderen Völkern germanischen Stammes, die ihre ur¬ sprüngliche Art noch treuer und reiner haben wahren können, als wir es bei unserer Lage inmitten Europas vermochten. In diesem Sinne nennt Jakob Grimm den skandinavischen Norden einen „klassischen Boden für den, der dem deutschen Altertum zugewandt ist", und in diesem Sinne begrüßen auch wir die beiden schönen Bände „Nordische Volksmärchen", die der Diedenchssche Verlag in Jena soeben seiner verdienstlichen Sammlung „Märchen der Welt¬ literatur" eingefügt hat. Sie bringen Erzählungen mannigfacher Art (denn außer den Märchen finden wir auch Schwänke und Sagen) aus Dänemark, Schweden und Norwegen, nur leider nicht aus Island, wo der Quell volks¬ tümlicher Überlieferung so reichlich sprudelt. Immerhin ist es der Übersetzerin, Fräulein Dr. Klara Stwebe, gelungen, auf verhältnismäßig knappen Raum ein farbensattes Bild der erzählenden Volksliteratur des Nordens mit ihrem mannigfachen Inhalt und vor allem mit ihrer eigentümlichen Stimmung und ihrer stilistischen Eigenart zu geben, soweit eine Übersetzung das vermitteln kann.*) Gerade das Märchen hat im Norden von altersher liebevolle Pflege ge¬ funden. Die dänische Geschichte des Saxo Grammaticus**) wie die Götter¬ sagen der Edda***) sind voll von märchenhaften Zügen und beweisen, wie frühe die Nordländer mit den Erzählungsschätzen ihrer Nachbarn, und durch deren Vermittlung mit kostbarem Gut aus der Ferne vertraut geworden sind. *) Ki. Stroeve hat auch wissenschaftliche Einleitungen und Anmerkungen gegeben. Letztere sollen einiges über Eigenart und Verbreitung der einzelnen Märchen geben, bleiben aber hinter dem zurück, was in anderen Bänden der Diederichsschen Sammlung, vor allem in den neulich hier besprochenen „Balkanmärchen" geleistet ist. (Vergl. Heft 1 dieses Jahrgangs). Die Verf. hätte sich am besten auf ganz knappe Hinweise auf die üblichen Nachschlagewerke beschränkt. **) Vergl. A. Olrik, Märchen des Ssxo Qrammaticus. Zeitschrift des Vereins für Volkskunde, Bd. II. ***) Vergl. F. v. d. Leyen, Das Märchen in den Göttersagen der Edda, Berlin 1889

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330101/39>, abgerufen am 22.12.2024.